Wilde Welt. Gerstäcker Friedrich
sie bei dem Courier gerade an den Rechten. Nicht umsonst hatte er die weite einsame Bahn durchritten und in jedem Ort, auf jeder estancia die schrecklichsten Geschichten über einst verübte und für künftig befürchtete indianische Greuelthaten aufgegriffen, um sie hier nicht wieder an dankbare und ängstlich lauschende Zuhörer verwerthen zu sollen. Um ihn hergedrängt in dichter Masse standen denn auch bald Männer und Frauen, seinen furchtbaren Schilderungen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu horchen, und kein Wort, das er sprach, fiel auf unfruchtbaren Boden.
Der alte Gaucho kam indessen mit den eingetriebenen Pferden zurück, und daß diese augenblicklich vorgeführt und gesattelt wurden, verrieth Diego, wie kurze Zeit der Correo hier zu verweilen gedenke. Vergebens hatte er indessen gesucht, auch nur in die entfernteste Sicht von der jungen Fremden zu kommen, die von dem Argentiner so scharf gehütet wurde. Sie ließ sich auch draußen nirgends blicken. Nur jetzt eben glaubte er vom Hof aus an einem der kleinen Fen-/44/ster den Schein ihres lieben Antlitzes zu erkennen. Im Nu war es aber wieder verschwunden, und Don Pasquale selber, der in diesem Moment in den Hof trat, machte seinen weiteren Forschungen ein so rasches wie unvermutetes Ende.
„Seňor," sagte er, sich zu dem Fremden wendend, „ich möchte Sie fragen, wohinaus Ihr Ziel liegt?"
„Mein Ziel?" frug Don Diego erstaunt. „Ich weiß nicht, Seňor, ob Sie ein Recht haben, mich danach zu fragen. Da es aber gerade kein Geheimniß ist, so mögen Sie es auch eben so gut erfahren. Ich hatte im Anfang die Absicht, von hier nach Buenos Ayres zu gehen; die furchtbaren Geschichten aber, die der Correo von den Indianern erzählt, haben mir nicht gefallen, und ich werde mich hüten, meine Kehle ihrer Barmherzigkeit preiszugeben."
„Kehlen sind hier billig im Lande," brummte der Officier. „Es trägt Mancher eine mit sich herum, die er ungemein in Acht nimmt, während sie doch schon nicht einmal mehr sein ist und in der „Stadt" vielleicht für einen Spottpreis verkauft wurde."
„Sie haben Recht, Seňor," sagte kaltblütig der Fremde, „und wir thun möglicher Weise den Rothhäuten sehr unrecht, sie wild und grausam zu nennen. So flink mit ihren Messern sind sie noch immer nicht bei der Hand, als die Mashorqueros Sr. Excellenz, den Gott uns noch lange erhalten möge."
„Amigo," sagte der Officier, indem er zu ihm trat und seine Hand derb vertraulich auf dessen Schulter legte, „wenn man Ihnen in's Herz sehen könnte, möchte man vielleicht einen andern Wunsch darin finden, aber - was thut's? Jedenfalls habe ich um die Ehre Ihrer Gesellschaft nach San Luis zu bitten, wohin ich Auftrag habe, den Correo zu geleiten."
„San Luis?" scherzte Don Diego, „ich wüßte nicht, daß ich die mindeste Lust verspürte, San Luis zu besuchen. Meine Heimath ist in Cordova, und wenn ich Cruzalta verlasse, wird es nur geschehen, dorthin aufzubrechen."
„Sie werden sich den Befehlen Sr. Excellenz nicht widersetzen wollen."
„Den Befehlen Sr. Excellenz? Ich zweifle sehr, ob Sr. /45/ Excellenz überhaupt weiß, daß ich auf der Welt bin," engegnete Don Diego. – „Hier waltet jedenfalls ein Irrthum ob, oder – eine Willkür, der ich mich dann vielleicht nicht gutwillig fügen würde.“
„Wie Sie sich fügen, bleibt sich gleich, Seňor,'' sagte in barschem Ton der Officier, „daß Sie aber dem Befehl gehorchen, ist meine Sorge."
,Und kennen Sie mich denn überhaupt auch nur meinem Namen nach?"
„Wie Sie sich gegenwärtig nennen, bleibt sich gleich, sagte der Officier, „mir ist die Beschreibung Ihrer Person zugekommen; sie genügt."
„Von Buenos Ayres?"
„Von San Luis."
„Bueno," sagte Don Diego gefaßt, indem er sich abwandte, seine innere Bewegung zu verbergen. „Das Woher bleibt sich ebenfalls gleich. Einem Regierungsbefehl darf ich mich nicht widersetzen. Jedenfalls ist es ein Mißverständniß, das sich rasch aufklären wird. Wann reiten Sie?"
„In einer Viertelstunde."
„Allein mit dem Correo?"
„Ich habe Auftrag, ihn mit dreißig Mann zu begleiten."
„Pest," verschluckte Don Diego hinter den Zähnen und es war gut für ihn, daß Don Pasquale in diesem Augenblick seine Aufmerksamkeit weit mehr dem oberen Fenster, als seinem neuen Gefangenen zugewandt hatte. Zum Ueberlegen blieb ihm aber nicht mehr Zeit, die Würfel waren gefallen, und was jetzt geschehen sollte, mußte eben geschehen.
Einen Augenblick dachte er freilich an Flucht. Wenn er sich jetzt auf sein Pferd warf - es war ein wackeres, schnelles Thier, und einmal vor dem Feind einen Vorsprung, so konnte er vielleicht jene Gegend erreichen, in der, wie er wußte, die Indianer im Hinterhalt lagen - aber auch nur vielleicht. Außerdem berührte schon von draußen das Lachen und Schreien der sich sammelnden Reiter sein Ohr. Der Befehl zum Aufbruch war gegeben, und ein Blick auf die gerüstete Schaar überzeugte ihn, daß jeder Versuch zur Flucht Wahnsinn gewesen wäre. /46/
„Geduld," flüsterte da eine, leise vorsichtige Stimme an seiner Seite, und als er flink den Kopf danach wandte, sah er den alten Gaucho, der, ohne auch nur einen Blick auf ihn zu werfen, gleichgültig an ihm vorüber und dem Gepäck des Correo zuschritt, das er mit kundiger Hand begann auf die Sättel der beiden Lastthiere zu schnüren. Der Correo war zu ihm getreten und bezeichnete ihm die bequemste Lage der in rohe Häute fest eingeschnürten Packete, half ihm auch hier und da sie richten und heben, daß sie die Thiere nicht drückten oder sich wieder locker schüttelten, und schien im Augenblick für weiter nichts Sinn und Auge zu haben, als für seine Fracht.
„Sind Sie fertig, Seňor?" sagte da der Officier, der wieder an seine Seite trat. „Bedeutendes Gepäck werden Sie wohl überdies nicht mit sich führen - sonst mag es auf das Damenpferd geladen werden."
„Nichts weiter, als was in meiner Satteltasche Raum hat," sagte Diego - „aber nehmen Sie Damen mit?" - Ein leichtes Roth färbte die Wangen des Soldaten, als er antwortete:
„Ich selber bin in San Luis heimisch - Donna Josefa wird dort bei meiner Mutter wohnen, bis wir - die Unitarier ausgerottet haben."
„Donna Josefa -"
„Ist meine Braut," sagte mit einem festen und drohenden Blick der Soldat, und damit, als ob Alles erschöpft wäre, was sich über die Sache eben sagen ließ, wandte er Diego den Rücken und schritt langsam seinen Leuten zu.
Diese brauchten keine weitere Vorbereitung - nur ein breitgeschnittenes Stück Fleisch hieb sich jeder von einem vor wenigen Minuten erst mit den Lasso niedergerissenen und abgestochenen Stier, dem zwanzig geschickte Hände in kaum einer halben Minute die Haut abstreiften. Eben so rasch ward der noch blutige Braten zwischen dem Sattel und einem darauf gebreiteten Schaffell untergebracht; ein dünner Riemen schützte es vor dem Abfallen, und ihrer Nahrungsmittel so für den Tag versichert, standen die wilden Burschen, ihre Linke an der /47/
Mähne ihrer Thiere, schäkernd und plaudernd des Rufs gewärtig, der sie in ihre Sättel schnellte.
Dreißig sonnengebräunte, wettermitgenommene Gestalten, alle in die malerische Uniform der argentinischen Kavallerie gekleidet, lehnten so neben eben so vielen Pferden, während ihre Kameraden, deren Thiere noch draußen auf der Weide herumliefen, neugierig und auch wohl neidisch sie umdrängten. Die hatten es gut, die durften jetzt wieder frei und flüchtig über die Steppe jagen, vielleicht heute oder morgen schon den wilden Feind zu treffen, während sie hier, eingeengt in die schmutzigen, von Ungeziefer bevölkerten Lehmmauern, Tag um Tag verträumen mußten und vor Langerweile hätten an den Wänden hinauflaufen mögen.
Womit sich auch beschäftigen? - Geld hatte Keiner von ihnen, denn das Wenige, was sie gehabt, war lange in caňa vertrunken, und außerdem schon auf den nächsten Löhnungstag gesündigt, - womit sollten sie also spielen, und eine weitere Unterhaltung kannte Keiner von ihnen.
Die Aufmerksamkeit der Leute richtete sich plötzlich auf die schmale Thür, die in den innern Hof führte. Das Pferd mit dem Damensattel war dort vorgeführt; ein junger Bursche hielt es am Zaum, und der alte Gaucho, der heute bei dem Gepäck eine bedeutende Rolle zu spielen schien, ging hinein und kam nach etwa zehn Minuten mit einer kleinen leichten