Alraune. Phantastischer Roman. Hanns Heinz Ewers
hängen, oben am Galgen: brüchige Knochen und faulige Fleischfetzen. Und sie nahmen dich mit, sie – die ihn aufgeknüpft hatten dort oben: deinen Vater. Dich aber griffen sie, schleppten sie heim: du solltest ihnen Geld bringen ins Haus! Rotes Gold und junge Liebe.
»Sie wussten es gut: du würdest auch Qualen bringen, elende Verzweiflung und am Ende schmählichen Tod. Sie wussten das gut – und gruben dich doch aus, nahmen dich doch mit; tauschten alles gern ein um Liebe und Gold.«
Der Geheimrat sagte: »Du hast eine hübsche Art, das alles zu sehen, mein Junge. – Du bist ein Phantast.«
»Ja,« sagte der Student, »das bin ich wohl. Bin es – so wie du.«
»Wie ich?« lachte der Professor. »Nun ich denke, mein Leben ist real genug dahingelaufen.«
Aber sein Neffe schüttelte den Kopf. »Nein, Ohm Jakob, das ist es nicht. Nur nennst du das schon sehr real – was andere Leute Phantastereien nennen. Denk nur an all deine Experimente! Für dich sind es mehr wie Spielereien, sind es Wege, die vielleicht einmal zu irgendeinem Ziele führen werden. Nie aber, nie wäre ein normaler Mensch auf deine Gedanken gekommen: nur ein Phantast konnte das tun. – Und nur ein wilder Kopf, nur ein Mann, durch dessen Adern ein Blut fliesst, heiss wie das von euch Brinkens, nur der darf es wagen, das zu tun, was du jetzt tun sollst, Ohm Jakob.«
Der Alte unterbrach ihn, unwillig und doch wieder geschmeichelt.
»Du schwärmst, Junge. – Und du weisst ja gar nicht, ob ich überhaupt Lust dazu haben werde, das Geheimnisvolle zu tun, von dem du redest. – Und von dem ich noch immer keine Ahnung habe.«
Aber der Student gab nicht nach; seine Stimme klang hell, zuversichtlich, überzeugungsstark in jeder kleinen Silbe.
»Doch, Ohm Jakob, du wirst es tun. Ich weiss, dass du es tun wirst. – Wirst es schon darum tun, weil es kein anderer kann, weil du der einzige Mensch in der Welt bist, der es vollbringen kann. Gewiss, es gibt noch einige andere Gelehrte, die heute dieselben Versuche machen, mit denen du begannst, die ebenso weit sind wie du, vielleicht viel weiter noch. Aber sie sind normale Menschen, trockene, hölzerne – Männer der Wissenschaft. Sie würden mich auslachen, wenn ich ihnen mit meinen Gedanken käme, würden mich einen Narren schelten. Oder sie würden mich gar zur Türe hinauswerfen, weil ich es wagte, ihnen mit solchen Sachen zu kommen – solchen Gedanken, die sie unsittlich nennen, unmoralisch und verwerflich. Solchen Ideen, die es wagen, dem Schöpfer ins Handwerk zu pfuschen, die aller Natur ein Schnippchen schlagen sollen. Du nicht, Ohm Jakob, du nicht! Du wirst mich nicht auslachen und nicht zur Türe hinauswerfen. Dich wird es reizen, wie es mich reizt: und darum bist du der einzige Mensch, der es kann!«
»Aber was denn, bei allen Göttern?« rief der Geheimrat. »Was denn nur?«
Der Student erhob sich, füllte die beiden Gläser zum Rande. »Stoss an, alter Zauberer,« rief er, »stoss an! Es soll ein neuer junger Wein fliessen aus deinen alten Schläuchen. Stoss an, Ohm Jakob, es lebe – – – dein Kind!« Er stiess an des Onkels Glas, leerte das seine im Zuge und warf es hoch an die Decke. Oben klirrte es – aber lautlos fielen die Scherben hinab auf die schweren Teppiche.
Er rückte seinen Sessel näher heran. »Und nun hör an, Oheim, wie ich's meine. Wirst schon ungeduldig sein über meine langen Einleitungen – – nimm sie mir nicht übel. Sie helfen mir nur, die Gedanken zurechtzudenken, sie zu kneten, sie fasslich zu machen und greifbar.
»So aber fass ich's:
»Du sollst ein Alraunwesen schaffen, Ohm Jakob, sollst diese alte Sage zur Wahrheit machen. Was tut's, ob es Aberglauben ist, mittelalterlicher Gespensterwahn, mystischer Schnickschnack aus uralter Zeit? Du, du machst die alte Lüge zur Wahrheit. Du schaffst sie: sie steht da, klar im Lichte der Tage, greifbar vor aller Welt – – kein dümmster Professor wird sie leugnen dürfen.
»Gib acht, wie du es machen sollst!
»Den Verbrecher, Onkel, wirst du leicht finden. Es ist gleich, denk ich, ob er am Galgen starb und am Kreuzwege. Wir sind fortgeschrittene Leute; der Gefängnishof und unsere Guillotine sind ja viel bequemer. Auch für dich bequemer: dank deiner Verbindungen wirst du es leicht anstellen können, den seltenen Stoff zu bekommen, dem Tode selbst ein neues Leben zu entreissen.
»Und die Erde? – Greif das Symbol heraus, Oheim, das ist: die Fruchtbarkeit. Die Erde ist das Weib, sie nährt den Samen, der ihrem Schosse anvertraut wurde. Nährt ihn, lässt ihn keimen, wachsen, blühen und Früchte tragen. So nimm du das, was fruchtbar ist, wie die Erde selbst – nimm das Weib.
»Aber die Erde ist auch die ewige Metze, sie ist allen dienstbar. Sie ist die ewige Mutter, ist die immer feile Dirne für unendliche Milliarden. Keinem versagt sie den geilen Leib, jeder, der will, mag sie haben. Alles, was Leben hat, befruchtet ihren gebärfreudigen Schoss, durch die Jahrtausende hin.
»Und darum, Ohm Jakob, musst du eine Dirne wählen. Nimm die schamloseste, nimm die frechste von allen, nimm eine, die geboren wurde zur Metze. Nicht eine, die ihr Gewerbe treibt aus Not, eine die der Verführung erlegen ist. O nein, die nicht! Nimm eine, die schon Buhlerin war, als sie gehen lernte, eine, der ihre Schande eine Lust ist und das einzige Leben. Die musst du wählen. Ihr Schoss wird sein wie der der Erde. Du bist reich – o du wirst sie finden. Bist ja kein Schulbub in solchen Dingen, du magst ihr viel Geld geben, sie dir kaufen für deinen Versuch. Und wenn sie die rechte ist, wird sie sich winden vor Lachen, wird dich an ihren fettigen Busen pressen und dich abküssen vor Lust. Weil – du ihr etwas bietest, was ihr kein anderer Mann je bot – vor dir!
»Was dann kommt, weisst du besser als ich. Wirst das ja wohl auch mit Menschen zustande bringen, was du mit Affen machst und mit Meerschweinchen. Bereit sein ist alles, bereit für den Augenblick – in dem deines Mörders Kopf fluchend in den Sack springt!«
Er war aufgesprungen, lehnte sich an den Tisch, sah zu dem Alten hinüber mit starren, eindringlichen Augen. Und der Geheimrat fing seinen Blick, parierte ihn schielend. Wie ein schmutziger krummer Türkensäbel, der sich kreuzt mit schwankem Florett.
»Und dann, Herr Neffe?« sagte er. »Und dann? Wenn das Kind zur Welt kommt? Was dann?«
Der Student zögerte; langsam, tropfend, fielen seine Worte. »Dann – werden wir – ein Zauberwesen haben.« Seine Stimme schwang leise, schmiegsam und klingend, wie Saitentöne. »Dann werden wir sehen – was Wahres ist an der alten Geschichte. Werden hineinschauen können in den tiefsten Bauch der Natur.«
Der Geheimrat öffnete die Lippen, aber Frank Braun fiel ihm ins Wort, ehe er noch sprach. »Dann mag sich zeigen, ob es etwas gibt, irgendein Geheimnisvolles, das stärker ist als alle Gesetze, die wir kennen. Mag sich zeigen, ob es der Mühe wert ist, dies Leben zu leben – – auch für uns.«
»Auch für uns?« wiederholte der Professor.
Frank Braun sagte: »Ja, Ohm Jakob, – auch für uns! Für dich und für mich und die paar hundert Menschen, die – über dem Leben stehn. Und die doch gezwungen sind, die Strassen zu gehen, die alle Herden ziehen.« – Und plötzlich, unvermittelt fuhr er auf: »Ohm Jakob, glaubst du an Gott?«
Der Geheimrat schnalzte ungeduldig die Lippen. »Ob ich an Gott glaube? – – Was soll das hier?«
Aber der Neffe drängte ihn, liess ihn nicht überlegen: »Antworte mir, Ohm Jakob, antworte: glaubst du an Gott?« Er beugte sich nieder zu dem Alten, hielt ihn fest im Blick.
Und der Geheimrat sagte: »Was geht's dich an, Junge? – Mit dem Verstande – – nach alledem, was ich erkannt habe – glaube ich ganz gewiss nicht an einen Gott. Nur mit dem Gefühl – aber das Gefühl ist etwas so Unkontrollierbares, etwas so –«
»Ja, ja, Onkel,« rief der Student, »mit dem Gefühl also –?«
Der Professor wehrte sich noch immer, rückte hin und her in seinem Sessel. »Nun – wenn ich offen sein soll – manchmal – selten genug – in langen Zwischenräumen –«
Da schrie Frank Braun: »Glaubst du – glaubst du an einen Gott!! Oh, ich wusste das wohl. Alle die Brinkens taten es, alle – bis hinab zu dir.« Er