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solche Angst und könne nicht allein schlafen. Und mit ihrer Miss auch nicht – – vielleicht sei die auch so ein verkleideter Lustmörder. Sie wolle bei ihrer Freundin bleiben. Sie fragte ihre Mama erst gar nicht, nur Frieda und deren Mutter.

      »Meinswegen!« sagte Frau Gontram. »Aber verschlaft euch nicht, dass ihr zur rechten Zeit in die Kirch kommt.«

      Die Mädchen knixten und gingen hinaus. Arm in Arm, eng umfasst.

      »Fürchtest du dich auch?« fragte die Prinzess.

      Frieda sagte: »Es ist alles gelogen, was der Papa sagt.« Aber Angst hatte sie trotzdem. Angst – – und daneben ein seltsames Wunschgefühl nach diesen Dingen. Nicht sie zu erleben – o nein, gewiss nicht. Aber sie sich auszudenken, sie auch so erzählen zu können. »Ach, das wären Sünden für die Beichte!« seufzte sie.

      Oben trank man die Bowle aus, Frau Gontram rauchte noch eine letzte Zigarre. Herr Manasse war aufgestanden, hinausgegangen ins Nebenzimmer. Und der Justizrat erzählte der Fürstin eine neue Geschichte. Sie versteckte ihr Gähnen hinter dem Fächer, versuchte immer wieder auch einmal zu Wort zu kommen.

       »Ach ja, liebster Herr Justizrat,« sagte sie rasch, »ich vergass es fast! Darf ich Ihre Frau Gemahlin morgen mittag mit dem Wagen abholen? Ein bisschen mitnehmen nach Rolandseck?«

      »Gewiss,« antwortete er, »gewiss – – wenn sie will.«

      Aber Frau Gontram sagte: »Ich kann nich ausfahre.«

      »Und warum denn nicht?« fragte die Fürstin. »Es würde Ihnen doch gewiss recht gut tun, ein wenig hinauszukommen in die frische Frühlingsluft.«

      Frau Gontram nahm langsam die Zigarre aus den Zähnen. »Ich kann nich ausfahre. Ich han keine anständige Hut aufzusetze – –«

      Die Fürstin lachte, tat, als ob das ein Scherz hätte sein sollen. Sie wolle gleich morgen die Modistin schicken, mit neuen Frühlingsmodellen zum Aussuchen –

      »Meinswegen,« sagte Frau Gontram. »Aber dann schicken Se die Becker, die von der Quirinusjass – die hat de besten.« Sie erhob sich langsam, betrachtete bedächtig ihren ausgebrannten Stummel. »Un jetzt jeh ich schlafe – gute Nacht!«

      »O ja, es ist Zeit, ich muss auch gehen!« rief die Fürstin hastig. Der Justizrat brachte sie hinunter, durch den Garten zur Strasse. Half ihr in die Equipage, schloss dann bedächtig das Gartentor.

      Als er zurückkam, stand seine Frau in der Haustüre, die brennende Kerze in der Hand.

       »Mer könne nich zu Bett jehe,« sagte sie ruhig.

      »Was?« fragte er. »Warum denn nicht?«

      Sie wiederholte: »Mer könne nich zu Bett jehe. – Dä Manasse liegt als im Bett!«

      Sie stiegen die Treppen hinauf in den zweiten Stock, gingen ins Schlafzimmer. In dem riesigen Ehebett lag, hübsch quer und fest schlafend, der kleine Rechtsanwalt. Seine Kleider hingen sorgfältig über dem Stuhl, die Stiefel standen daneben. Ein reines Nachthemd hatte er aus dem Schrank genommen und angezogen. Neben ihm, wie ein Igeljunges, knüllte sich sein Cyklop.

      Justizrat Gontram nahm die Kerze und leuchtete.

      »Und der Mann schimpft mich aus, dass ich faul sei!« sagte er in kopfschüttelnder Verwunderung. »Und ist selbst zu faul, um nach Haus zu gehen!«

      »Sss!« machte Frau Gontram. »Sss, sonst weckste se alle beide auf.«

      Sie nahmen Bettzeug und Nachtwäsche aus dem Schranke und gingen. Ganz leise. Frau Gontram machte unten zwei Lager zurecht, auf den Sofas.

      Da schliefen sie.

       Alle schliefen im weiten Hause. Unten neben der Küche Billa, die starke Küchenmagd, bei ihr die drei Hunde; im Nebenzimmer die vier wilden Buben, Philipp, Paulche, Emilche und Jösefche. Oben schliefen die beiden Freundinnen, in Friedas grossem Balkonzimmer; schlief nebenan Wölfche mit seinem schwarzen Tabakschnuller; schliefen im Salon Herr Sebastian Gontram und seine Frau. Im zweiten Stock schnarchten um die Wette Herr Manasse und sein Cyklop, und ganz oben, in der Mansarde, schlief Söfchen das Stubenmädchen, das vom Tanzboden zurückgekommen und leise hinaufgeschlichen war über die Treppen. Sie alle schliefen, schliefen. Zwölf Menschenkinder und vier scharfe Hunde.

      Aber irgend etwas schlief nicht. Schlurfte langsam um das weite Haus –

      Draussen, am Garten vorbei, zog der Rhein. Hob seine in Mauern geschnürte Brust, schaute in die schlafenden Villen, drängte sich eng an den Alten Zoll. Katzen und Kater schoben sich durch die Büsche, fauchten, bissen, schlugen einander, fuhren los mit runden, heiss funkelnden Augen. Nahmen sich, lüstern, versagend, in schmerzender, quälender Lust –

      Und hinten, weit hinten aus der Stadt her, tönte der trunkene Sang wilder Studenten –

      Etwas kroch um das weisse Haus am Rhein. Schlich durch den Garten, vorbei an zerbrochenen Bänken und lahmen Stühlen. Schaute wohlgefällig auf das Sabbathtreiben der liebegierigen Katzen –

      Stieg um das Haus. Kratzte mit hartem Nagel an die Wände, dass der Stuck klirrend herabfiel. Knipste auch an die Türe, dass sie leise erbebte. Wie ein Wind, so leicht.

       Dann war es im Haus. Schlurfte über alle Treppen, kroch bedächtig durch alle Zimmer. Blieb stehn, sah sich rings um, still lächelnd.

      Schweres Silber stand im Mahagonibüfett, reiche Schätze aus der Kaiserzeit. Aber die Fensterscheiben waren gesprungen und die Sprünge mit Papier verklebt. Holländer hingen an den Wänden, gute Bilder von Koekkoek, Verboekhvoeven, Verwée und Jan Stobbaerts. Aber sie hatten Löcher und die alten Goldrahmen waren schwarz von Spinnweben. Aus des Erzbischofs bestem Saale stammte der herrliche Lüster – aber seine zerbrochenen Kristalle klebten von Fliegendreck.

      Etwas schlich durch das stille Haus. Und wo es hinkam, da brach etwas. Nur ein Nichts fast, nur eine unnennbare Kleinigkeit. Aber wieder und immer wieder.

      Wo es hinkam, wuchs aus der Nacht ein kleinstes Geräusch. Knirschte hell eine Diele, löste sich ein Nagel, bog sich ein altes Möbel. Knarrte es in den verquollenen Läden oder klirrte seltsam zwischen den Gläsern –

      Alles schlief in dem grossen Hause am Rhein. Aber irgend etwas schlurfte langsam herum –

      Zweites Kapitel,

      das erzählt, wie es geschah, dass man Alraune erdachte

      Die Sonne war schon herunter, und die Kerzen brannten im Kronleuchter des Festzimmers, als Geheimrat ten Brinken eintrat. Er sah feierlich genug aus, war im Frack, den grossen Stern auf dem weissen Hemd und die Goldkette im Knopfloch, von der zwanzig kleine Orden baumelten. Der Justizrat stand auf, begrüsste ihn, stellte ihn vor, und der alte Herr ging herum um die Tafel mit einem abgetragenen Lächeln, sagte jedem ein süsses Wort. Bei den Festmädchen blieb er stehn, überreichte ihnen hübsche Lederetuis mit Goldringen, einen Saphir für die blonde Frieda und einen Rubin für die schwarze Olga. Hielt ihnen beiden eine sehr weise Ansprache.

      »Wollen Sie nachexerzieren, Herr Geheimrat?« fragte Herr Sebastian Gontram. »Wir sitzen schon seit vier Uhr da – siebzehn Gänge! Fein, was? Da ist das Menü – suchen Sie sich was aus!« Aber der Geheimrat dankte, er habe schon gegessen –

      Dann trat Frau Gontram ins Zimmer. Im blauen, etwas altmodischen, seidenen Schleppkleide, hochfrisiert.

       »Mer könne kein Eis esse,« rief sie, »dat Billa hat dä Fürst Pückler in der Backofe jestellt!«

      Da lachten die Gäste: so etwas musste ja kommen, sonst fühlte man sich nicht wohl im Gontramhause. Und Rechtsanwalt Manasse rief, man solle die Schüssel hereinholen, das sähe man nicht alle Tage: Fürst Pückler frisch aus dem Backofen!

      Geheimrat ten Brinken suchte nach einem Stuhle. Er war ein kleiner Mann. Glattrasiert, dicke Tränensäcke unter den Augen; er war hässlich genug. Wülstig hingen die Lippen, fleischig die grosse Nase. Tief hing deckend das Lid über dem linken Auge, aber das rechte stand weit


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