Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich
den fremden Husaren auch schon wieder zu sehen, wenn er zu seinem Wagen zurückkehrte.
Der kam aber lange nicht; wohl zwei volle Stunden stieg er zwischen den arg verwilderten Gräbern herum, und es war augenscheinlich, daß er irgend ein bestimmtes Grab suchte, aber nicht finden konnte. Endlich gab er es auf und wandte /61/ sich dem nächsten Hause zu, um dort jedenfalls Erkundigungen einzuziehen.
Das war das Gemeinde-Haus, und Brenner saß gerade unter einem vor drei Jahren dort selber angepflanzten Hollunderbusch vor der Thür und rauchte aus einem entsetzlich schmutzigen und abgegriffenen Maserkopf seinen „Knaster". Er sah den Officier auf sich zukommen und wunderte sich, was den in aller Welt hierher geführt haben könne, rührte sich aber nicht von seiner Stelle und qualmte nur in Gedanken stärker als vorher.
Der junge Mann kam heran, und als er den Bänkelsänger erblickte, redete er ihn an:
„Sagen Sie einmal, lieber Freund, sind Sie hier im Ort seit längerer Zeit bekannt?"
„Sollte denken," nickte der Alte, „ich bin hier geboren und jetzt schon eine hübsche Reihe von Jahren in dem Palast da einquartiert."
„Wohnt der Todtengräber weit von hier?" frug der Soldat hierauf.
„Weit? Lieber Gott, weit ist hier eigentlich gar nichts," lachte Brenner, „denn wenn Sie weit gehen, kommen Sie aus Sicht vom Dorf. Gleich dort neben der Kirche, wo Sie den stumpfen Thurm sehen - er ist auch zugleich Küster, Nachtwächter und Büttel. Aber was wollen Sie von ihm?"
„Es ist mir ein Grab bezeichnet worden," erwiderte der junge Officier, „das ich gern auffinden möchte, aber ich habe mir vergebene Mühe gemacht, danach zu suchen. Wie alt ist Ihr Todtengräber?"
„Oh, nicht alt, noch ein junger Bursche von einigen dreißig Jahren," sagte Brenner, „auch erst seit ein paar Jahren hier im Dienst, und sein erstes Geschäft war, den alten einzuscharren."
„Dann wird er mir auch keine Auskunft geben können," seufzte der Officier, „denn das Grab, das ich suche, muß schon weit über vierzig Jahre gegraben sein,"
„Das ist freilich lange her - und welche Inschrift trägt es? Wenn Sie nur den Namen wissen, finden wir es doch vielleicht noch nach dem Kirchenbuch." /62/
„Es trägt gar keinen Namen," lautete die Antwort, „und das einzige Erkennungszeichen, das mir angegeben wurde, sollte sein, daß zu Häupten desselben ein kleiner spitzer Stein stände, mit einem bestimmten Zeichen eingemeißelt."
„Hm," nickte der Alte, „da brauchen Sie am Ende den Todtengräber und das Kirchenbuch nicht, denn einen solchen Stein weiß ich und hab' mich schon manchmal gewundert, wer den wohl zum Leichenstein gesetzt haben könnte."
„Und wo steht der?" rief der Fremde rasch; „ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mich begleiten wollten."
„Ja, wenn Sie nicht zu rasch laufen," sagte Brenner, sich mühsam von seinem Sitz erhebend, „so humple ich mit Ihnen hinüber, aber schnell geht's freilich nicht mehr. Die Knochen werden alt."
„Ich habe reichlich Zeit; wir können so langsam gehen, wie Sie wollen."
„Na, denn man zu," nickte Brenner, „weit haben wir ja überdies nicht, denn wir hier im Gemeinde-Haus sind hübsch bequem neben dem Kirchhof einquartiert, damit wir später nicht zu viel Fuhrlohn kosten."
„Dies ist das Gemeinde-Armenhaus?"
„Ja, und hier sehen Sie einen seiner glücklichen Bewohner."
„Sie haben auch früher gedient?"
„Sollte denken," nickte der Alte, während er neben dem Officier herhinkte, „auch Anno 13 und 15 mitgemacht - aber jetzt geht's zu Ende. Na Du lieber Gott, ich darf mich nicht beklagen; ich habe schon manchen Jüngeren hier vorbeifahren sehen, und bin doch noch immer die ganze Zeit über Wasser geblieben. Lange wird's freilich nicht mehr dauern, daß ich da drüben mein Quartier beziehe."
Die Beiden schritten von da an schweigend und Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt die kurze Strecke hinüber, die sie noch vom Kirchhof trennte, und als sie diesen jetzt erreichten, sah sich Brenner erst eine Weile um, als ob er selber nicht mehr ganz sicher sei, wo er das bezeichnete Grab suchen solle, und stieg dann vorsichtig und mit augenscheinlicher Be¬/63/schwerde über die Gräber weg, quer durch den Gottesacker hin, bis fast zur andern Ecke.
Dort war lange Niemand mehr beerdigt worden, und der Platz lag arg verwildert und von hohem Gras und Buschwerk überwachsen; es wurde auch selbst dem alten Manne schwer, sich hier zu orientiren, und er bedurfte einiger Zeit, bis er nur genau die Gegend angeben konnte. Dann aber unterstützte ihn der junge Fremde in seinem Suchen, und den Säbel aus der Scheide ziehend, schob er damit das lange Gras zurück, bis plötzlich der alte Bänkelsänger rief:
„Halt! da ist er - Sie stehen gerade davor. Wie das Unkraut hier in den letzten Jahren aufgeschossen ist! Früher führte ein ordentlicher Weg zu der Stelle."
„Welcher Platz?" fragte der junge Officier, sich vergebens nach dem bezeichneten Stein umsehend.
„Da dicht vor Ihnen, Sie treten ja fast auf den Stein."
„Der? Ja mein Gott, den hätte ich im Leben nicht allein gefunden, denn ich hatte ihn mir nach der Beschreibung viel größer gedacht. Aber ist das auch der rechte?"
„Einen anderen spitzen Stein giebt's auf dem ganzen Kirchhofe nicht mehr," erwiderte Brenner; „nicht einmal viel viereckige, denn die Bauern setzen immer nur ein hölzernes Kreuz mit einem Regendach darauf, daß der liebe Gott die Inschrift von oben gar nicht lesen kann."
„Das muß wirklich der Stein sein," rief aber auch jetzt der junge Fremde, der indessen mit dem Säbel das darüber gewachsene Moos abgekratzt hatte, so daß er die eingegrabenen Zeichen erkennen konnte. „Er soll früher zu einer Sonnenuhr gedient haben, und wurde nur damals, nach der Schlacht, als man den Erschossenen hier eingegraben, als vorläufiges Zeichen auf das Grab gesetzt. Die Familie zog aber fort aus Deutschland, und ich habe erst jetzt den Auftrag bekommen, das Grab aufzusuchen und später die Ueberreste des Verstorbenen in unsere Familiengruft zu schaffen."
„Hm, so?" sagte der Alte nachdenkend, „und leben noch Anverwandte von dem Todten in dieser Gegend?"
„Nein, außer unserer Familie keine mehr; sie zogen da-/64/mals weit weg, und wir haben nie wieder von ihnen gehört. - Weshalb?"
„Oh, ich meinte nur," nickte Brenner; „aber eine arme Frau, die jedoch einmal weit bessere Tage gesehen haben mußte und jetzt dort drüben in der Ecke begraben liegt, hat, als sie noch lebte, oft Stunden lang bei diesem nämlichen Steine gesessen."
„Eine Frau?"
„Ja, die mit zwei Kindern hierher zog, einem Knaben und einem Mädchen - der Knabe starb bald und die Frau nachher auch."
„Und wie hieß sie?"
„Sie nannte sich hier die Edmunden."
„Der Name ist mir völlig fremd. Seit wann ist sie todt?"
„Oh, schon eine Reihe von Jahren; wir können nachher einmal an ihrem Grabe vorbeigehen."
„Und die besuchte dieses Grab?"
„Es war ihr einziger Spaziergang viele Jahre lang."
„Das ist sonderbar; vielleicht eine alte Dienerin des Hauses."
„Na, so alt war sie gerade noch nicht, aber so 'was muß es jedenfalls gewesen sein, denn sie starb in großer Armuth, und das Mädchen kam nachher in's Gemeinde-Haus."
„Und steht ihr voller Name auf dem Grab?"
„Sicher; sie hat ein Kreuz bekommen, so gut wie die Anderen. Was sie hinterließ, reichte gerade aus, um das zu bezahlen."
„Es war jedenfalls eine der Dienerinnen, die mit seltener Treue an ihrer alten Herrschaft hing. Bitte, zeigt mir einmal das Grab, Freund, damit ich mir den Namen aufschreibe. Ich habe jetzt hier gefunden, was ich suchte, und werde nach einiger Zeit zurückkehren, um