Es ist genug. Simone Lilly

Es ist genug - Simone Lilly


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sich auf den Boden und lies das Wasser auf sich tropfen, wieder andere zogen sich bis auf die Unterwäsche aus und warfen ihre Kleidung achtlos fort. Über seine Tat glücklich ging er weiter, wenigstens für den Moment konnte er ihnen helfen.

       Der Pfad wurde breiter, ordentlicher und belebter. Gebeultet bog er nach links und befand sich schon bald mitten im Stadtgeschehen. Autos, Motorräder, Fahrräder und Fußgänger kreutzen seinen Weg. Alle waren spärlich bekleidet und beinahe ein jeder trug einen Handventilator mit sich.

       „Alejandro!“

       Die Stimme war ihm vertraut, anstatt anzuhalten und auf die Person zu warten, ging er weiter. „Hallo, Illnios.“ Illnios war einer seiner Arbeitskollegen. Er war bestimmt erst siebzehn Jahre alt, groß gewachsen und trug eigentlich immer eine dunkelbraune Kordhose, ein weißes Hemd und Flipflops. Seine schwarzen Locken fielen ihm ungezähmt ins Gesicht und verklebten durch die Hitze sofort zu einem dicken Knäul verfiltzter Haare.

       „Ich wusste gar nicht, dass du heute Schicht hast?“

       Er lachte auf. „Das wusste ich bis eben auch noch nicht.“

       „Denkst du sie werden dich jetzt arbeiten lassen?“

       Ein Auto schnitt ihnen den Weg ab. Hier in diesem Ort wurden Verkehrsregeln wenig beachtet, was dazu führte, dass jeder fuhr wie es ihm gerade passte. Kein Problem wenn man es wusste. Fluchend blickte Alejandro dem roten PKW hinterher. „Warum nicht? Sie brauchen immer jemanden, der die Maschinen reinigt.“

       Maschinen reinigen war keine angesehene Arbeit, das wusste Alejandro, doch war es wenigstens eine Tätigkeit, die er außerhalb seines Hauses, und ohne seine Familie erledigen konnte.

       Schon bald hatten sie das hohe Firmengelände auf dem sie arbeiteten, erreicht, sich in die Umkleiden begeben um sich ihre Uniformen überzuziehen. Ihr Betrieb fertigte billige Kleidung. Das wussten alle. Auch nicht immer unter fairen Bedingungen. Dagegen unternehmen wollte er nichts. Was auch? Ihm reichte es, wenn er so sein Geld verdiente.

       „Darf ich dich was fragen?“

       Rasch schloss er seinen Spint und ging durch die übrigen Reihen nach draußen in die große Fertigungshalle. Diese Halle war so vollgestellt mit Tischen von Näherinnen, von Lärm erfüllt von den arbeitenden Maschinen und so stickig, dass ihm jedes Mal aufs Neue übel wurde. Wenn man ihn fragte, waren es Zustände wie zuletzt vor dreißig Jahren.

       „Ja, frag ruhig.“, stimmte er zu und zog seine Dienstkarte durch ein kleines Lesegerät am Eingang.

       Illnios tat es ihm nach. „Woher hast du die eigentlich?“

       Er merkte, dass es seinem Kollegen peinlich war ihn darauf anzusprechen, konnte es ihm aber nicht verübeln. Seinen gesamten Arm und Oberkörper zierten kleine Narben, sie gingen ineinander über, lagen übereinander und dehnten sich immer weiter aus. Alejandro musste schlucken. Die Schmerzen waren sein ständiger Begleiter, morgens, abends, mittags, nachts. Zu jeder Zeit des Tages überkamen sie ihn. Matt senkte er den Kopf. Noch schlimmer war die Erkenntnis, warum sie ihn übermannten. Das jedesmal Lebewesen starben, getötet wurden, gefoltert wurden. „Ist nicht so wichtig. Ein Unfall.“, winkte er ab und machte sich daran, eine abgenutzte Nähmaschine zu polieren.

       „Protas! Was willst du hier?“

       Alejandro tauchte den Lappen in einen Eimer voll mit Seife, tunkte ihn mehrmals unter und wrang in triefend aus. Reagieren wollte er nicht.

       Sein Vorgesetzter wurde wütender. „Protas, hast du heute nicht frei?“

       Er nickte knapp. „Ja, habe ich.“

       „Was machst du dann hier?“

       „Arbeiten.“

       „Das sehe ich! Aber wer soll das bezahlen?!“

       „Sie.“

       Erbost schüttelte der Mann seinen muskulösen Kopf, sodass seine zusammengebundenen Haare wild durcheinander schaukelten. „Sicherlich nicht. Geh‘ du hast hier heute nichts zu suchen.“

       „Wenn Sie meinen.“ Gleichgültig warf er den Lappen in den Eimer, dass das Wasser lautstark auf den Boden klatschte, kehrte Illnios den Rücken und verließ das Gebäude. Ohne sich vorher umzuziehen.

       Geladen versuchte er sich etwas abzureagieren. Konnte es aber nicht. Er hatte einfach genug! Genug von seinem Leben! Unzufrieden lehnte er sich gegen einen kleinen Zaun, der die Ausfahrt des Geländes zeichnete. Einmal, so erinnerte er sich zurück, war er der Sohn einer Frau gewesen, welche eine Prostituierte war, Drogen nahm, immer schlecht gelaunt war und welcher er ihr schließlich genommen wurde. Ja, Alejandro war sich sicher schon alles mitgemacht zu haben. Hätte er es nicht wäre es auch langweilig, immer nur ein und das selbe Leben zu führen, und das für immer. Ein müdes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Das war auch der Grund gewesen, warum sie sich dazu entschieden hatten, sich immer wieder, wenn sie ein hohes Alter erreicht hatten, von neuem aufwachsen zu lassen. Die Sache war eigentlich eine einfache. Immer wenn es an der Zeit war, suchten sie sich ein beliebiges Paar, setzten ihnen den Gedanken in den Kopf, sie als Kinder zu haben, verwandelten sich zurück und lebten bei ihnen. Ein erneuter Schmerz ließ ihn seine Gedanken unterbrechen. Was sollte er nur dagegen tun? Sein Körper war schon voller Narben. Gut, auch früher hatte er zahlreiche Narben gehabt, denn die Menschen hatten schon immer Fischfang betrieben, Fische und Meerestiere getötet, das er jedoch in so jungen Jahren, nämlich erst mit 26 schon dermaßen entstellt war, gab ihm zu denken. Tat er nichts dagegen und erreichten diese Narben sein Herz, war es vorbei, das war ihm bewusst. Und der Gedanke gefiel ihm nicht. Schon oft hatte er daran gedacht, aufzuspringen und den Menschen zu sagen, sie sollen aufören. Aufhören ihn weiterhin zu quälen.

       Er schluckte.

       Sie waren vier Brüder. Alejandro, Nils, Benjamin und Nikolai. Sie alle hatten sich neue Familien gesucht und folglich andere Namen angenommen. Er war Leau- Gott des Wassers – er war, er verkörperte das Wasser, dessen Lebewesen und litt aber auch, wenn ihnen etwas zustieß.

       Sein älterer Bruder war Lair, Benjamin. Er vertrat die Luft, den Himmel und alles was sich dort befand.

       Nils wurde von ihrem Vater Terre getauft. Herrscher über die Erde, über die Bäume und über sämtliche Tiere an Land.

       Laglace lebte in Russland und litt am meisten, musste er doch Tag für Tag sehen, fühlen, wie das Eis schmolz, Eisbären, Pinguine dem Tode geweiht waren und die Temperaturen stetig stiegen.

       „Bist du immer noch da? Ich sagte doch du sollst nachhause gehen!“

       „Ja, ich bin schon weg.“, brüllte er seinem Boss entgegen, sprang aufgescheucht über den Zaun und bahnte sich seinen Weg durch mehrere, ihm entgegenkommende Menschenmassen.

       Ihr Vater war Faout gewesen. Er war soweit er wusste der einzigste ihrer Art gewesen. Faout hatte alles miterlebt, den Beginn der Menscheit. Ihr Streben, aber auch ihr Scheitern. Mit der Herrschaft Heinrich dem Achten hatte er beschlossen, seine Macht in vier Teile zu teilen, denn er hatte erkannt, wie groß sein Leiden mit den Jahren wurde. Ihre Mutter war Französin. Vielleicht war das der Grund, weshalb er Wasser, Nikolai Eis, Benjamin Luft und Nils Erde hießen. Und das auf ihrer Muttersprache. Kurz nachdem sie geboren wurden, entschied sich Faout dazu, sein Dasein zu beenden.

       „Ich bin es leid den Menschen zu dienen. Wenn ich eines über die Jahre gelernt habe, dann ist das die Erkenntnis, dass nur ich es war, der etwas gelernt hat“, waren seine letzten Worte, ehe er verschwand.

       Unachtsam sprang er über eine Blechhaube eines haltenden Autos und ging stur weiter geradeaus. Ein dunkles Donnergrollen war zu hören und er hoffte für einen Moment, Lair würde es regnen lassen. Doch das durfte er nicht. Er musste die Natur im Gleichgewicht halten, dazu durfte er es nicht einfach gewittern lassen.

       Er überlegte: nur einer von ihnen war auserwählt worden, Kinder haben zu dürfen. Terre. Verständlich, denn hätten sie allesamt Kinder, diese hätten magische Kräfte, würden ewig leben, wäre die Gefahr zu groß, ihr eigen Fleisch und Blut könne sich gegen sie wenden. Wie oft waren sie verheiratet gewesen, wie oft hatten sie daran zu nagen gehabt, keine Nachkommen haben zu dürfen, wie oft hatte Terre ihnen versichert er würde niemals welche zeugen wollen. Er, der Auserwählte!


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