Es ist genug. Simone Lilly

Es ist genug - Simone Lilly


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      Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Die leuchtende Farbe ihrer Augen ließe Terre beschämt zu Boden blicken. Der Unterricht an seiner Universität schien vergessen. Vergessen waren die Worte des Lehrers, die Geräusche der Klasse, wenn sie neue Blätter aus ihren Blöcken riss, oder ihre Stifte auf die Tische knallten. Ihr feuerrotes Haar war ihr in einem dicken Zopf zusammengebunden worden und hing lässig über ihre Schulter. Ihre zierlichen Sommersprossen ließen sie kindlich wirken. Ihn faszinierte ihr goldener Nagellack, den er sah, wann immer sie sich damit durch das Gesicht fuhr. Alessandra Montas. Befangen stützte Terre seinen schweren Kopf auf seinen Arm. Sie stammte aus Italien, hatte ihre Haare vermutlich gefärbt. Doch das war ihm egal. Sie war schön so wie sie war. Wehmütig musste er zwangsläufig an seine erste Frau, Anne, denken. Sie war mit ihren zierlichen sechzehn Jahren an ihn verheiratet worden. Damals, zu Zeiten Louis dem XVI. Terre wurde schwer ums Herz und er wandte sich wieder seinem Geschichtsheft zu. Anne war wunderschön, schön, mit einer Vermählung einverstanden. Ihre gesamte Familie drängte darauf, Nackommen zu erhalten, männliche. Terre aber, lehnte es ab, Vater zu werden. Es war zu dieser Zeit sein erstes Leben. Alles war neu, auch die Erkenntnis, anders zu sein. Macht zu haben. Klar und deutlich erinnerte sich an seinen allerersten Namen. An seine allererste Familie. Francois Bélarius-Fumier, Sohn von Bernadette et Raphaél-Francois Bélarius-Fumier Graf von… Angestrengt kniff er seine Augen zusammen. Von…! Verdammt! War er überhaupt Graf gewesen? Ja, er war höher gestellt als andere…. Aber, Graf?

       Das Geräusch, das verursacht wurde, wenn ihr Professer seine schwere Aktentasche zuklappte, die Verschlüsse klirrend aufeinander schlugen und er die Tür hinter sich schloss, rissen ihn aus seinen pansichen Überlegungen. Er würde Laglace fragen, sein Bruder konnte sich alles merken. Alles, was mit der Vergangenheit zu tun hatte.

       Alessandra verließ wie die anderen kurz den Vorlesungsraum. Ihre nächste Stunde würde erst nach der kurzen Mittagspause beginnen. Zeit genug, um sich etwas zu Essen zu holen. Terre entschied sich dazu sitzen zu bleiben. Er hatte an der Schule keine wirklichen Freunde. Sie alle hatten eigentlich keine Freunde. Wozu auch? Sie würden sowieso irgendwann sterben. Warum sich also zusätzliche Laster schaffen, indem man ihnen hinterhertrauerte. So wie Anne. Sie wurde keine dreißig Jahre alt. Hätte er ihr helfen können? Bestimmt. Sie war ein Lebewesen der Erde, was bedeutete, dass er Macht über sie hatte. Über seine eigene Frau.

       In Gedanken versunken fixierte er Alessandras Platz. Sie mochte Nelken, das wusste er. Noch bevor jemand etwas merkte, ließ er wunderschöne, rote Nelken, zu einem festen Blumenstrauß gebunden und mit einer Karte darin, wachsen. Direkt auf ihrem Tisch. Gezeichnet von einem Unbekannten. Terre war sich bewusst, dass es nichts brachte, solange er sich nicht zu erkennen gab, er wusste auch, dass Alessandra bereits einen Freund hatte. Karl Fingus. Aus der Oberstufe. Leider konnte man nicht einmal sagen, dass er dümmlich wirkte, dass er gemein war. Nein, er war klug und aufrichtig. Was Terre zutiefst bedauerte.

       Es läutete, die erste Gruppe, nach Rauch stinkender Schüler kam zu ihm herein. Eigentlich wollte er sich noch einmal den letzten Geschichtseintrag nahe bringen. Nachdem er schon nicht aufgepasst hatte. Doch noch bevor er einen Handschlag ausführen konnte, wurde ihm schlecht, seine Nase begann zu pochen und warmes Blut spritzte aus ihr hervor. Erschrocken presste er seine Hand auf sein Gesicht und bahnte sich rasch seinen Weg hinaus, auf die Toiletten. Dort angekommen beugte er sich röchelnd über das Waschbecken, welches schon bald rot verfärbt wurde. „Verdammt!“, fluchend legte er sich ein kaltes Tuch in den Nacken und wartete, wartete, bis es vorbei war. War es aber nicht. Die Zeit verstrich wie im Fluge, und als Terre sich auch nur annähernd erhob, wurde es mehr, und mehr. Was war los?! Erbost riss er sich das Tuch vom Leib, stellte sich vor den Spiegel, ließ seine Hand mit einer kurzen Bewegung über seinen Kopf kreisen und war verschwunden.

       Die Welt formte sich neu, als er, immer noch blutend auf einer dicht bewachsenen Lichtung ankam. Es war drückend heiß und für einen Moment hatte er Schwierigkeiten, klar zu atmen. Laute Geräusche von Motoren drangen an sein Ohr und Terre machte sich zielsicher auf den Weg zu ihnen. Die hoch gewachsenen Bäume ließen kaum einen Schimmer Tageslicht zu ihm hinunter, doch als er nicht weit eines alten, majestätischen Baumes innegehalten hatte, fühlte er, wie ihm sämtliche Tiere, fluchtartig entgegenströmten. Flehend biss er die Lippen zusammen, warmes Blut tropfte auf die Erde, als auch schon die ersten Bäume nicht weit von ihm zu Boden fielen und den Waldboden erschütterten. Seine Nase pochte unaufhörlich und er schmeckte Blut. Wieder kam die surrende Maschine näher, steuerte auf weitere Bäume zu. Zu seinen Füßen schlängelte sich eine Schlange entlang, zu ihm nach oben. Er ließ sie gewähren. Als sie ihn erreicht hatte, nahm er sie tröstend in die Hände. Lange Zeit wechselten sie verzweifelte Blicke, ehe er sie sinken ließ, wenige Schritte nach hinten ging, sich zu einer gefällten Lichtung begab. Das verdorrte Land begutachtete, seine Hand zittrig ausbreitete, und ruckartig, mehere Bäume gen Himmel schießen ließ. Es kostete ihm viel Kraft und Überwindung, sich zurückzuhalten und sich zu ermahnen, wieder in den Unterricht zu müssen. Mordgedanken schossen ihm durch den Kopf und er wischte sich auf Rache gesinnt, das noch nicht getrocknete Blut vom Mund.

       2.

      „Tut es sehr weh?“, vorsichtig strich seine Mutter über seinen krebsroten Sonnenbrand. Die Berührung brannte, doch Lair schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, es geht schon.“

       Noch einmal tauchte Kathrin ihre Finger in die kühlende Salbe und verteilte sie auf seinem Rücken. „Das denke ich nicht. Du hättest besser aufpassen sollen.“

       „Das habe ich doch!“

       „Weiß ich, deshalb kannst du dich jetzt auch nicht mehr bewegen.“

       Es war Mitte des Sommers und die heißerste Zeit. Die Sonne strahlte unbarmherzig auf sie hinab und beinahe täglich musste die heilende Salbe bedient werden. Eigentlich wollte Lair mit seinen Freunden nach der Schule an die Küste gehen. Surfen, grillen und zugegeben, Alkohol trinken, doch schon nach wenigen Minuten war er mit einem schweren Sonnenstich zurückgekehrt.

       „So, du bist fertig. Ruh dich jetzt aus.“, mahnend stellte sie die Schale in den Badezimmerschrank. „Solltest du noch einmal raus gehen wollen, denk an den Sonnenschutz.“

       Er nickte, dann ging sie aus der Tür. „Ich mache jetzt Essen.“

       Wieder nickte er, doch das konnte Kathrin nicht mehr sehen. Sein Hals wurde trocken und er musste Husten. Für einen Moment bereute er es sichtlich, sich im Gegensatz zu seinen Brüdern verjüngert zu haben. Immerhin war er erst sechzehn, während seine Geschwister die zwanzig schon erreicht hatten. Warum hatte er es getan? Weil er Veränderung wollte, wollte nicht immer mit ihnen gleichgestellt sein. Aber, war das eine gute Idee gewesen? Sie konnten frei entscheiden, wohin sie gingen, was sie taten, er hingegen hatte auf seine Eltern zu hören, musste zur Schule gehen. Der Husten wurde stärker und ihm wurde schwindelig. Der Juckreiz behinderte ihn zu atmen, sodass er sich rröchelnd über das Waschbecken beugte und kaltes Wasser seine Kehle hinabfließen ließ. Es tat gut, doch merkte Lair, dass ihm aufgrund des Sonnebrandes schnell übel wurde und weiße Sterne begannen, vor seinen Augen auf und ab zu tanzen. Rasch setzte er sich auf die Toilette und blickte umher. Das gesamte Bad war weiß gestrichen, die Dusche war weiß, der Duschvorhang, die Toilette, das Waschbecken, der Schrank, die Bademäntel, welche an der Tür hingen und auch ihre Zahnbürsten und deren Behälter.

       Wieso hatte er sich bei seinem neuen Leben für Australien entschieden? Dem wärmsten Ort überhaupt. Er lebte in der Wildniss, fern ab vom zivilisierten Leben. Zwar waren hier die Preise für ein Grundstück billig und sie bewohnten ein dementsprechend geräumiges Haus mit großen, angrenzenden Feldern. Wehleidig und mit verzogenem Gesicht stapfte er hinunter in die Wohnstube und schaltete den Fernseher ein. Nicht lange danach, gesellte sich sein Vater mit einem kühlen Bier bewaffnet, dazu. „Geht’s dir besser?“

       „Nein.“

       „Kann ich was für dich tun?“

       „Nein.“

       Dann herrschte wieder Schweigen. Im Fernsehen liefen die Nachrichten. Sie zeigten Überschwämmungen im Süden des Landes. Auch gestrandete Tiere an der Küste Australiens. Lair musste sofort an Leau denken. Die Menschen konnte nur wenige retten und töteten die übriggebliebenen. Angeekelt biss


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