Feuervogel. Peter Schmidt
Sie sind nicht draußen auf einer dieser verrückten Eierfeilen, Victor, um sich die Falten mit Salzwasser auswaschen zu lassen?“, murmelte Pawel. „Hat Omega vielleicht irgend etwas auf der Schippe, wovon ich wissen sollte?“
„Sie meinen den Anschlag auf Hansen?“
Pawel senkte die Zeitung. „Nein, das war nur irgendein überdrehter Irrer.“
„So? Warum glauben Sie?“
„Sie wissen doch, dass die Verrückten und die Neurotiker der Stadt Kai Hansen zu ihrem Intimfeind erkoren haben? Er verkörperte alles, was sie niemals waren und niemals sein können: Weltoffenheit, Einfühlungsvermögen, Toleranz …“
„Dann müsste es ein Irrer gewesen sein, der sich mit der komplizierten Elektronik eines Lufthansa-Ticketautomaten auskannte.“
„Na wenn schon …“
„Und die Polizei?“
„Tappt noch im dunkeln.“
„Hat man das Flughafenpersonal überprüft?“
„Ohne Ergebnis, ja.“
„Wurde der Automat von der Abflughalle oder vom Büro der Lufthansa aus manipuliert?“
„Vom Büro aus.“
„Irgendwelche Spuren am Türschloss?“
„Hören Sie, Victor“, sagte Pawel Störtebecker und faltete mit übertriebener Sorgfalt seine Tageszeitung zusammen. „Ich möchte nicht, dass sich Ihre private Ermittlungsgruppe Omega mit dem Fall befasst. Falls man es überhaupt einen Fall nennen kann. Weder mit diesem noch mit irgendeinem anderen Fall.“
„Immer noch die alten Vorbehalte, Pawel?“
„Der Senat hat nicht die Absicht, die Grillen eines überdrehten Milliardärs zu unterstützen. Ihre Eskapaden wären der Öffentlichkeit kaum plausibel zu machen. Omega arbeitet außerhalb der Legalität …“
„Sie wissen genauso gut wie ich, Pawel, dass es unsere Maxime ist, sich streng an die Gesetze zu halten. Aber es gibt auch kein Gesetz, das Ermittlungen von privater Seite verbietet. Und wenn sich diese Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität richten, dann sollte uns der Staat für jede Hilfe dankbar sein.“
„Organisierte Kriminalität … da haben wir’s wieder! Ihr Spleen bringt Sie früher oder später ins Kittchen. Hören Sie auf meine Worte, Victor. Sie denken vielleicht, weil Sie einen Lehrstuhl für Rechtswissenschaften innehaben, gibt Ihnen das auch das Recht, sich Lücken im Gesetz für Ihre privaten Rachefeldzüge nutzbar zu machen?“
„Die Organisierte Kriminalität bedroht uns alle.“
„Ich sagte schon, Victor, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Tat eines Geistesgestörten handelt.“
„Wahrscheinlichkeit, hm. Lässt sich diese Wahrscheinlichkeit in Zahlen ausdrücken?“
„Ich philosophiere nicht mit Ihnen über Wahrscheinlichkeit. Ich werde den Teufel tun, und das nicht nur, weil Sie einen Doktor in Philosophie haben.“
„Danke für Ihren Respekt vor meiner Ausbildung. Ich bilde mir nichts darauf ein. Ich glaube, gesunder Menschenverstand reicht in solchen Fällen völlig aus.“
„Dann sollte Ihnen Ihr gesunde Menschenverstand auch sagen, wann es ratsam ist, sich vornehm zurückzuhalten.“
„Was mich nachdenklich an der Geschichte macht ist die Übereinstimmung der Zeitungskommentatoren. Sie sprechen alle von ‘der Tat eines Verrückten’ – als habe ihnen jemand diese Worte in den Mund gelegt. Sieht verdächtig nach offizieller Sprachregelung aus, oder?“
„Sie hören wieder einmal die Flöhe husten, Victor!“
Pawel Störtebecker nahm wieder seine Zeitung auf und verschwand hinter ihren aufgeklappten Seiten wie jemand, der in der nächsten Stunde für niemanden mehr zu sprechen sein würde.
3
Am frühen Abend detonierten zwei Sprengsätze im Restaurant Top-Air über dem Terminal vier. Sie deckten einen Teil des Dachs über der Küche ab und rissen einen vier Meter langen Spalt in die Wand zum benachbarten Ladenlokal.
Bei dem Anschlag starb ein unbekannter Mann. Das Personal und die übrigen Gäste kamen mit dem Schrecken davon.
Ein glücklicher Zufall hatte es gewollt, dass sie sich wegen der Geburtstagsfeier des Chefs im Saal nebenan aufhielten: Das Anschneiden der Geburtstagstorte hatte ihnen das Leben gerettet …
Die Polizei ordnete eine Nachrichtensperre an. Vermutlich sei ein geistesgestörter Einzeltäter für die Anschläge verantwortlich. Keine Angaben zu seiner Identität.
Die Nachrichtensperre enthob sie der Verpflichtung, sich konkreter zu dem Verdacht zu äußern. In den Medien tauchten schon bald Vermutungen auf, dass es sich um Erpressung handele. Allerdings sickerte aus eingeweihten Kreisen durch, es gebe bisher weder ein Bekennerschreiben noch Geldforderungen.
Victor Jacobi beschloss das Omega-Team zu aktivieren.
Er sah Elisabeths zierliche sportliche Gestalt durch die offene Tür im Nebenzimmer telefonieren. Sie sprach mit einem ihrer Golfpartner – Gimblan, ein smarter Engländer, der ihr nach Victors Geschmack etwas zu unverhohlen den Hof machte.
Aber vielleicht war das ja die beste Gewähr dafür, dass Elisabeth ihm die Treue hielt? Nein, sie war nicht der Typ, um ihn mit Gimblan zu hintergehen. Er führte eine glückliche Ehe.
Jacobi winkte ihr kurz zu, als er die Tür seines Büros schloss. Dann genehmigte er sich eine seiner seltenen Havannas und ein Gläschen Mouton Cadet Rothschild.
Er hielt das Glas so gegen das Licht der Deckenlampe, dass die rote Farbe einen warmen gelblichen Einschlag bekam.
Der Mann, der beim Anschlag im Restaurant ums Leben gekommen war, hatte eine Menge Blut verloren, ehe er starb. Jacobi dachte an seine Entführung. Damals hatte er ebenfalls viel Blut verloren. Manche glaubten sogar, er habe noch ein wenig mehr dabei verloren: seinen inneren Halt.
Aber da unterschätzten sie seine Verfassung. Er hatte seine Gefühle besser unter Kontrolle als jeder andere. Nein, die Entführung hatte ihm nur noch einmal auf handgreifliche Weise vor Augen geführt, wozu eine private Ermittlergruppe wie das Omega-Team von Nutzen war …
Jacobi wählte Jensens Nummer, damit sie sich mit den anderen in Verbindung setzte. Obwohl erst Mitte Zwanzig, war sie in der Gruppe „für Diplomatie und Intrigen“ zuständig. Wenn Victor Schwierigkeiten hatte, Beck von seinen Gewichten im Verein oder Klinger aus seiner Stammkneipe in Ottensen loszueisen, dann setzte er Jensen ein.
„Ich glaube, Klinger ist ins Kino gegangen. Stirb langsam 4 mit Bruce Willis – oder irgend so ein Stuss …“
„Hol ihn bitte aus der Vorstellung, ja? Auf die Weise kapiert er am ehesten, dass wir es eilig haben.“
„Irgend etwas, das ich wissen sollte?“, fragte Jensen.
„Bereden wir alles in meinem Büro am Hafen.“
Das Hafenbüro war das alte Reederei-Büro seines Vaters. Dort hielt er sich am liebsten auf, weil dort alles beim alten geblieben war (und er achtete darauf, dass es so blieb): kein Kunststoff, keine modernen Möbel. Statt dessen uraltes Holzparkett und englische Tapeten.
Die Segelschiffnachbildungen stammen aus dem vorigen Jahrhundert. In der Vitrine aus geschliffenem Glas im Vorraum stand eines jener kostbaren Schiffschronometer des englischen Uhrmachers John Harrison, mit der es im achtzehnten Jahrhundert zum ersten Mal möglich geworden war, für die Navigation eine brauchbare Längenbestimmung durchzuführen.
Victor Jacobi genoss es, sich in einen der knarrenden Ledersessel zu setzen und die Silhouetten der alten Speicher und den Flug der Möwen über dem Wasser zu beobachten.
Er