Feuervogel. Peter Schmidt

Feuervogel - Peter Schmidt


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Gespür für Indizien und Vermutungen hatte ihn mehr als einmal davon überzeugt, dass das menschliche Gehirn weitaus leistungsfähiger war, als sich die meisten materialistisch denkenden Buchhalterseelen da draußen vorstellten.

      Doch diesmal blieb ihm wenig Gelegenheit dazu. Er hörte ein knarrendes Geräusch von der hölzernen Außentreppe – die lose dritte Planke –, und seine rechte Hand griff automatisch in die Schublade, um die Walther herauszunehmen und auf dem Schoß bereitzulegen.

      Der Mann, der seinen Kopf zur Hintertür hereinsteckte, sah aus wie ein alter griechischer Weiser im Pennerlook. Sein markanter Kopf mit dem üppigen grauweißen Haar hätte einem Heraklit oder Aristoteles nicht schlecht angestanden. Doch der lange, etwas muffige Wollmantel mit den ausgebeulten Taschen machte daraus eine Vogelscheuche.

      „Boolsen …“, sagte Jacobi erleichtert. „Wer über diese Treppe vom Hafen kommt, ist entweder Killer oder ein guter Freund.“

      Harry Boolsen war das schon vor gut dreißig Jahren gestrauchelte Kind einer mexikanischen Hure und eines Hamburger Seemanns.

      „Hab’ die letzten Nächte unter den Eisenträgern der kleinen Brücke verbracht.“

      „Kein schlechter Platz bei dieser Witterung …“

      „Einer der besten.“

      Jacobi nickte und zeigte auf den Ledersessel an der Wand. „Tee oder Rotwein?“

      „Gern. Ein halbes Wassergläschen Aquavit wäre jetzt genau das Richtige.“

      „Ich erinnere mich nicht, von Aquavit gesprochen zu haben?“

      „Im Kühlfach Ihres Schreibtischs“, sagte Boolsen mit treuherzigem Augenaufschlag, als sei er sich des Geschäftes, das er gerade im Begriff war abzuschließen, mehr als sicher.

      „Wieder mal die Flöhe in der Kanalisation husten gehört, Harry?“

      „Diesmal war’s der goldene Griff, Victor.“

      „War’s denn nicht schon beim letzten Mal der goldene Griff?“

      „Die Sache wird Sie eine Menge kosten. Mindestens zwei Flaschen Aquavit.“

      „Immer der Reihe nach, Harry. Erst die Ware, dann das Geld.“

      „Sie erinnern sich, was ich über die kleine Brücke sagte?

      Hab’ die letzten Nächte unter den Eisenträgern verbracht, weil es da so ein kuscheliges kleines Plätzchen gibt, wo einem niemand auf den Wecker geht. Irgendwann morgens hielt über mir ein Wagen und drei Männer stiegen aus – ich glaube, um sich die Füße zu vertreten oder weilt sie glaubten, sie seien auf dem Wendeplatz am Brückenpfeiler ungestört.“

      Harry sah Victor Jacobi erwartungsvoll an.

      „So was soll vorkommen, Harry.“

      “Sie unterhielten sich auf Spanisch … Sie wissen, dass ich ganz gut Spanisch spreche?“

      „Weil deine Mutter Mexikanerin war.“

      „Einer drohte, wenn sie jetzt nicht spuren würden … warten Sie mal, Victor, – Pájaro de fuego, ja, so hieß das Ding, dann würde Feuervogel das Kaufhaus in der Mönckebergstraße mit einem Raketenwerfer in Schutt und Asche legen.

      „Wenn wer nicht spuren würde?“

      „Keine Ahnung. Darüber haben sie nicht gesprochen.“

      „Aber du könntest die Männer identifizieren?“

      „Nein.“

      „Du hast sie doch gesehen?“

      „Sie standen genau über mir. Zwischen den Planken der Fahrbahn ist nicht viel Platz. Aber ich konnte die Farbe ihres Wagens erkennen. Er war rot. Ausländisches Fabrikat, glaube ich.“

      „Und was bedeutet ‘Feuervogel’?“

      „Hab’ den Namen auch zum erstenmal gehört.“

      „Hm …“ Victor Jacobi schüttelte nachdenklich den Kopf. „Das wird nicht reichen, Harry.“

      „Sie meinen, die Information, dass man ein Kaufhaus mit einen Raketenwerfer in Schutt und Asche legen will, ist keine zwei Flaschen Aquavit wert?“, fragte Boolsen enttäuscht.

      „Wir haben nicht genug Informationen, um irgend etwas zu unternehmen.

      Aber vielleicht laufen dir die Burschen ja noch mal über den Weg? Ich gebe dir den Rest der Flasche, Harry. Hör dich mal um. Versuch ein wenig mehr über die Sache herauszufinden, ja?“

      4

      Beck hatte es sich wie immer auf seinem Platz am Fenster bequem gemacht, angeblich, weil er von dort das Hafenbecken überblicken konnte.

      Aber über Jensens Gesicht huschte sofort ein verstehendes Grinsen. Obwohl Beck nach jedem Boxkampf im Verein duschte, wurde sie nicht müde, sich über seine „animalischen Gerüche“ lustig zu machen.

      „Was du da riechst, Kleines, sind nur seine Sexualhormone“, juxte Klinger. „Seit seine Ehe in die Brüche gegangen ist, war er nie wieder mit einer Frau zusammen.“

      „Unsinn“, widersprach sie. „Hab’ gehört, dass er jede Woche mindestens einmal ins Bordell geht …“

      „Also bitte“, mahnte Victor Jacobi. „Wir haben zwei Tote – etwas mehr Takt, ja? Der Innensenator versucht mir weiszumachen, dass es sich um die Anschläge eines Irren handelt.

      Die Behörden haben eine Nachrichtensperre verhängt. Angeblich soll es sich bei dem zweiten Opfer um einen aus der Psychiatrie entflohenen Verrückten handeln.“

      „Vielleicht der Täter selbst?“, fragte Beck.

      „Nein, unwahrscheinlich. Der Mann saß beim Essen. Niemand macht es sich genau da gemütlich, wo er gerade zwei Bomben platziert hat. Die anderen Gäste hielten sich glücklicherweise im Nebenraum auf.“

      „Reichlich viele Verrückte, oder?“

      „Und warum sollte uns der Innensenator eigentlich hinters Licht führen wollen?“, erkundigte sich Jensen.

      „Ihr kennt ja seine Animositäten gegen Omega“, sagte Jacobi.“

      „Oder es steckt mehr dahinter als sie zugeben wollen?“, fragte Klinger.

      „Möglich, ja.“

      „Politische Hintergründe?“

      „Durchaus denkbar.“

      „Schon irgendeinen Verdacht?“

      „Nein, kein Ahnung. Hansen war kein Politiker. In der Politik ist er ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ich möchte, dass du zum Flughafen fährst und dich dort umhörst“, sagte Jacobi an Klinger gewandt. „Wen hat man in den Fall eingeschaltet? Sind wirklich nur die örtlichen Polizeibehörden damit befasst? Warum wurde eine Nachrichtensperre verhängt? Wer war der Tote im Restaurant?

      Und du, Jensen, beschäftigst dich mit unserem Fernsehmoderator. Lassen sich in Hansens letzten Sendungen Hinweise auf einen möglichen Attentäter finden? Gab es Drohungen? Wie waren seine familiären Verhältnisse. Soviel ich weiß, hatte er eine sehr attraktive Freundin – Sarah. Sie war erst vor kurzem wieder zu ihm zurückgekehrt.

      Beck kümmert sich um die Behörden und die örtliche Presse. Wer hat die Vermutung ‘Tat eines Verrückten’ lanciert – und aus welchen Gründen? Wen genau haben sie dabei im Auge? Was ist dran an den Gerüchten, dass es sich um Erpressung handelt?“

      Nach ihrer Lagebesprechung im Slomann-Haus fuhr Victor Jacobi in die Innenstadt, um seine Theaterkarten für Samstag Abend abzuholen. Elisabeth hielt gar nichts davon, dass er das den Bodyguards überließ.

      Sie argwöhnte immer, nur er höchstpersönlich bekäme die besten Plätze.


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