REMEMBER HIS STORY. Celine Ziegler

REMEMBER HIS STORY - Celine Ziegler


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      „Zum Beispiel werde ich bald auf eine Musikhochschule gehen“, sage ich stolz und fange wieder an, mit dem Besen die Blumen freizuschippen. „In ein paar Wochen …“

      „Ja, ist mir eigentlich scheißegal“, unterbricht Nathan mich und steht stöhnend auf. „Ich musste nur ein wenig Zeit schinden, damit der Chef denkt, ich hätte dir wirklich geholfen.“ Er geht zur Tür. „Viel Spaß noch.“ Und kurz bevor er durch die Tür verschwindet, dreht er sich noch mal um. „Und die Sache mit den scheiß Blumen ist noch nicht vergessen … Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dich nicht verraten werde.“

      „Also notier dir bitte den 3. Februar“, sagt Misses Baskin, während ich meine Violine in meinem Koffer verstaue. „Du darfst den Vorspieltermin nicht verpassen. Geh am besten in der Woche nicht zu viel raus, damit du nicht krank wirst, das ist wirklich sehr, sehr wichtig.“

      Eine weitere vierstündige Probe an einem weiteren Samstagabend mit weiteren Reden von Misses Baskin darüber, wie wichtig das Vorspiel ist und wie absolut grausam ich meine Sonate spiele, geht vorüber. Diese Probe war ich sogar noch schlechter als die ganze Woche. Dadurch, dass Mama und Misses Baskin mir noch mehr Druck mit dem Vorspiel in Birmingham machen, scheine ich umso unkonzentrierter.

      Und dann ist da natürlich noch Nathan. Egal, wie wenig ich an ihn denken mag, tue ich es trotzdem. Die Art, wie er mit mir umgeht, empört mich mehr als genug und dass er gleichzeitig noch so viele Geheimnisse hat, die ich gerne lüften würde, nimmt mir einfach jegliche Konzentration. Ich weiß nicht, wieso, aber er ist interessant, auch wenn er stets aufmüpfig und gemein ist. Nur ob er auf eine positive Art interessant ist, würde ich nicht behaupten. Er ist interessant als Mensch an sich, wieso er so ist, wie er nun mal ist, ein Mysterium, das man gerne hinterfragen und näher betrachten würde, doch mehr nicht. Ich bin mir beinahe sicher, dass er diese Art schlechter Mensch ist, die kein Gewissen und jegliche Humanität schon vor Jahren abgelegt hat. Zumindest verhält er sich so. Ich sollte mich nicht mit so jemanden auseinandersetzen, doch irgendwas lässt meine Gedanken doch immer wieder zu ihm schweifen.

      „Und sei morgen früh pünktlich um neun Uhr hier“, redet Misses Baskin weiter und sammelt die vielen Notenblätter ein. „Ich dulde diesmal keine Unpünktlichkeit wie die ganze letzte Woche.“

      Ich bin nur einmal fünf Minuten zu spät gekommen, würde ich sie gerne korrigieren, doch ich nicke gehorsam und nehme meinen Koffer in die Hand. „Aber wenn ich pünktlich sein muss, dann sollten wir zehn Uhr machen. Morgen früh sind wir in der wöchentlichen Kirchenmesse, das wissen Sie doch.“

      „Oh, stimmt.“ Sie hält mir den Ordner mit den Notenblättern hin. „Dann morgen um zehn Uhr. Pünktlich.“

      „Versprochen, Misses Baskin“, sage ich und lächle ihr noch mal zu, bevor ich das Gebäude erschöpft verlasse.

      Früher haben mir die Proben jeden Tag Spaß gemacht, doch heute ist es nur noch pure Folter, der ich nicht aus dem Weg gehen kann. Seit ich diesen Druck im Hinterkopf habe, weil ich unbedingt dieses Vorspiel schaffen muss, klappt gar nichts mehr. Selbst das Üben zu Hause bekomme ich nur halbherzig hin, weil mir die Lust und der Wille zu alledem einfach fehlen. Ich schaffe es ja doch nicht.

      Doch weil der Tag nicht schon schlimm genug war, bekomme ich genau in der Sekunde einen Regentropfen ab, als ich den ersten Schritt nach draußen mache. Klasse. Der Weg nach Hause ist lang und meine Karte, um U-Bahn zu fahren, habe ich schlauerweise nicht dabei. Genervt halte ich mir den Koffer über den Kopf und gehe mit schnellen Schritten nach Hause. Ich laufe eine Abkürzung durch ein paar Gassen, damit ich schneller zu Hause bin, die ich sonst nicht laufe, weil ich es hier nicht mag. Es ist dreckig und hier stinkt es immer widerlich nach Einöde. Hier wohnen auch Leute, doch diese Menschen tun mir nur leid, denn hier zu wohnen, muss eine Plage sein.

      Ich muss nur noch um eine Ecke laufen, dann habe ich es schon geschafft und ich komme wieder an die weniger gruseligen Stellen von Cardiff. Doch genau in der Sekunde, in der ich um die Ecke laufe, guckt mich ein Hund an. Ich bin tierlieb und es würde mich nicht stören, wenn ein streunender Hund vor mir steht, doch dieser Hund … Kann man so etwas Hund nennen? Man sieht ihm augenblicklich an, dass er aus dieser Gegend hier kommt, sein Fell ist zerpflückt und ihm fehlt das rechte Auge, das ihn noch angsteinflößender wirken lässt.

      Ich bleibe stocksteif stehen und hoffe, dass er mir nichts tut, weil er mir genau in die Augen sieht und mich anknurrt. Als ich vorsichtig versuche, einen Schritt nach rechts vorne zu machen, um an ihm vorbeizulaufen, bellt er plötzlich lauthals und ich schrecke auf Anhieb auf, lasse einen leisen Schrei los, der mehr wie ein Wimmern klingt.

      „Lieber Hund“, rede ich vor Angst zitternd mit ihm, als er mit gefletschten Zähnen und Sabber aus dem Maul laufend auf mich zukommt. „Ganz ruhig.“ Ich gehe ein paar Schritte zurück, während er mir immer näher kommt. Zu meinem Pech komme ich auch schon mit einer kalten Steinwand in Berührung, die den Abstand zwischen dem einschüchternden Tier und mir verringert.

      Ich handle schnell. Ich renne so schnell ich kann nach links um eine Ecke, hoffe, ich komme irgendwo an, wo ich schnell verschwinden kann, doch mal wieder habe ich Pech. Ich stehe in einer Sackgasse. Der wildgewordene Hund folgt mir bellend und ich verstecke mich wie ein Kleinkind hinter einem Müllcontainer und bete, dass er jeden Moment verschwinden wird. Er steht einfach am anderen Ende der Sackgasse und starrt zu mir hinüber.

      Und gerade als ich denke, er würde verschwinden, legt er sich seelenruhig auf den Boden und scheint zu warten. Worauf? Wahrscheinlich darauf, bis er mich endlich zu Tode beißen kann. Weil das noch nicht reicht und der Abend nicht noch schlimmer werden kann, höre ich ein polterndes Donnern und der Regen wird heftiger.

      Ich setze mich in die Ecke der Sackgasse auf den dreckigen Boden und halte mir meine Jacke etwas über den Kopf, damit ich nicht noch nasser werde. Gleichzeitig kämpfe ich damit, nicht jeden Moment einen Herzinfarkt zu bekommen, weil Gewitter meine absoluten Erzfeinde sind.

      Selbst nach fünfzehn Minuten und bereits eingefrorenen Gliedern sitzt der Hund noch immer dort und sieht mich an.

      Ich will nach Hause.

      Doch dann sehe ich einen Hoffnungsschimmer.

      Jemand joggt an der Sackgasse vorbei. Schnell stehe ich auf. „Hallo?“, rufe ich. „Ich brauche Hilfe!“ Doch der Jogger joggt weiter und scheint mich nicht zu hören. Ich traue mich, etwas weiter zum Ende der Sackgasse zu laufen und hoffe, der Hund bleibt still. „Hallo! Bitte!“

      Schließlich bleibt der Jogger stehen und durch die Dunkelheit erkenne ich, dass es ein Mann ist. Er kommt zurückgelaufen und scheint den Hund gar nicht gesehen zu haben, denn er geht einfach in die Sackgasse hinein.

      Schnell gebe ich mich zu erkennen und rufe von weiter weg: „Können Sie mir helfen?“

      Als der Mann näher kommt, erkenne ich ihn erst. Nathan. Was für ein verflixter Zufall. Natürlich muss er in solch einer Gegend herumlaufen.

      „Honor?“, lacht er und kommt näher. „Was zur Hölle?“

      Doch ich bin viel zu verängstigt durch den gruseligen Hund und das Gewitter über unseren Köpfen, um jetzt nicht glücklich darüber zu sein, dass jemand hier ist, sei es auch nur Nathan. „Nathan“, sage ich erleichtert und gehe mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Zum Glück bist du da!“

      „Zum Glück bin ich da? Bist du breit?“ Erst jetzt fallen mir seine Sportklamotten auf. Eng anliegende Hosen, schwarze Handschuhe und schwarzer Kapuzenpullover, darunter trägt er eine schwarze Mütze. Wie immer ganz in Schwarz.

      „Bitte sei einmal nicht gemein“, flehe ich und schäme mich für mein jämmerliches Auftreten. „Kannst du mir einfach helfen, hier rauszukommen? Bitte … Auch wenn du mich nicht leiden kannst.“

      Er schiebt seine Brauen zusammen. „Was hält dich davon ab, hier rauszukommen?“

      Zitternd zeige ich hinter ihn zu dem schwarzen Hund, der wie ein Teufelshund durch die Dunkelheit wirkt.

      Nathan sieht hinter sich, dann sieht er amüsiert zu mir. „Wegen des Hundes?“


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