REMEMBER HIS STORY. Celine Ziegler
schon als Kind wichtig, andere Menschen glücklich zu machen.
Ich öffne wieder die Augen.
Und sehe unmittelbar auf eine schwarze Jeans.
„Oh, mein Gott“, keuche ich erschrocken und zucke zusammen, weil Nathan genau vor mir steht und mich mit verschränkten Armen anstarrt.
Allerdings sieht er nicht glücklich aus. Eher genau das Gegenteil. Wieder extrem einschüchternd. Wie hat er nur diesen Blick in seine Augen bekommen? „Wieso zur Hölle folgst du mir?“, faucht er zornig. „Habe ich dir vorhin nicht klar und deutlich gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst? Was bist du? Ein beschissener Stalker?“
„Nein“, sage ich wortkarg. Er muss denken, ich bin verrückt. Aber das schüchtert mich nur noch mehr ein. „I-Ich … E… Es …“
„Du, was? Stotter nicht so rum.“
Ich knicke vor seiner festen Stimme ein. Mir kommt die ganze Situation mehr als bekannt vor. Damals war es ganz genauso, jedes Mal, wenn ich mit ihm reden wollte, hat er mich auf diese Art und Weise zurückgewiesen. Nur scheint er jetzt seine stille Art abgelegt zu haben, sondern hat keine Scheu mehr, auch mal auf jemanden zuzugehen und ihn zu beleidigen. Beziehungsweise mich. Nathan scheint sich kein Stück geändert zu haben, wenn, dann ist er schlimmer geworden.
„I-Ich wollte dir nicht folgen“, erkläre ich unsicher meine Situation. „Ich … Es tut mir leid.“ Es bringt sowieso nichts. Wenn er nicht merkt, dass ich ihm gefolgt bin, dann muss er dumm sein und das war er damals nicht und heute ist er es mit Sicherheit auch nicht.
Kurz gafft er mich einfach nur mit etwas zusammengekniffenen Augen an und von hier unten sieht er noch bedrohlicher aus. Vor allem, weil es immer dunkler wird und so nimmt seine Aura noch mehr an Dunkelheit zu. „Hat Eduard dich geschickt?“, fragt er schließlich giftig.
Ich blinzle. „Eduard? Nein, ich – niemand hat mich geschickt.“
Er scheint mir direkt in die Seele zu blicken, um herauszufinden, ob ich die Wahrheit sage. Dann dreht er sich etwas und zieht sich wieder die Kapuze über. „Du solltest besser verschwinden. Das ist keine Gegend für kleine Mädchen wie dich.“ Dann geht er auch schon wieder über die Straße.
Ich stehe auf und sehe mich um. Er hat recht. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich hier noch nie war, und gleichzeitig sieht es mehr als gruselig auf. Es sieht so viel anders aus als die Straßen zu Hause. Schnell schultere ich meine Tasche und gehe um das Auto rum. „Wo bin ich hier?“, rufe ich Nathan hinterher, der kurz davor ist, um die Ecke zu verschwinden. „Ich weiß nicht, wie ich wieder zurückkomme!“
„Nicht mein Problem! Die Scheiße hast du dir selbst eingebrockt!“
„Bist du schon aufgeregt?“, fragt mich meine Mutter, als wir beide am Montagmorgen um halb acht aus dem Auto steigen, um in das Hotel meines Grandpa zu gehen.
Ich richte mir den Kragen meines weißen Hemdes und folge ihr durch den Eingang. „Ich weiß nicht, vielleicht ein wenig.“
Uns beiden werden die großen Eingangstüren von zwei Pagen geöffnet und wir betreten das riesige Gebäude. Ich war zwar schon öfter im Ealswirth-Hotel, aber es beeindruckt mich doch jedes Mal wieder. Man sieht sofort, dass mein Grandpa viel Geld hier reingesteckt hat. Dadurch sind auch keine einfachen Leute hier, sondern Menschen mit einem gewissen Kontostand.
Mama und ich gehen durch die Lobby zur Rezeption, wo schon eine junge Frau in der typisch dunkelblauen Hoteluniform steht und uns anlächelt. „Guten Morgen. Wissen Sie zufällig, wo sich mein Vater rumtreibt? Er … ach, da ist er ja schon.“
Mein Grandpa kommt in einem Anzug um die Ecke und lächelt uns zu. Er ist eine der nettesten Personen, die ich kenne, dafür liebe ich ihn so. „Ein guter Hotelfachmann kommt nie unpünktlich“, erklärt er und stellt sich zu uns. „Merk dir das, Marie“, sagt er zu mir und wir drücken uns liebevoll. Grandpa nennt mich mit Grandma als Einziger Marie. Warum weiß niemand, er macht es einfach.
„Natürlich, Grandpa“, sage ich und stelle mich von Mama zu ihm.
„Dad, bitte übertreibe es nicht mit den Aufgaben“, sagt meine Mutter zu ihm. „Das ist heute ihr erster Tag, sei gnädig. Und du weißt ja, dass sie eine Hausstauballergie hat, also lass sie am besten nicht in den Keller. Außerdem …“
„Diana“, unterbricht Opa sie. „Ich kenne meine Enkelin genauso gut wie du. Wir schaukeln das schon. Geh nach Hause und … Tu das, was du auch immer tust.“ Er legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich in einen Flur. „Schönen Tag noch!“
Ich sehe über meine Schulter zu Mama, wie sie durchatmend an der Rezeption steht und uns gereizt hinterhersieht. Sie und Grandpa hatten schon immer ein seltsames Verhältnis. Er ist mehr der gelassene Typ und sie ist ein Perfektionist. Das sorgt oft für Reibereien, doch natürlich wird sich nie ernsthaft gestritten. Manchmal ist es ganz lustig, wie Opa sie auf den Arm nimmt, weil sie oftmals wirklich übertreibt. Da kommt er einem viel jünger vor als sie.
„Du kennst dich hier ja schon aus, deswegen können wir uns den Rundgang sparen“, meint Grandpa und setzt sich seine Brille richtig auf die Nase. „Hast du schon gefrühstückt?“
Ich nicke. „Ja, ausgiebig.“
„Schade. Du hättest dich an dem riesigen Frühstücksbüfett bedienen können.“
„Aber ich soll doch arbeiten.“ Ich lache.
„Hach, deine Mutter muss das ja nicht wissen. Ich gestalte dir die paar Wochen hier schon erträglich. Also möchtest du sicher nichts essen? Denn sonst muss ich dir wohl oder übel eine Aufgabe geben.“
Ich schmunzle. „Ich habe wirklich keinen Hunger.“
Er seufzt. „Na schön.“ Er öffnet eine große Eisentür und wir stehen in einer riesigen Halle. Das ist die Veranstaltungshalle, in der Silvester und das Sommerfest stattfinden. Es gibt dann jedes Mal ein prächtiges Feuerwerk und die Feiern hier sind einfach die besten. Auch, wenn ich nicht in diesem Hotel arbeite, gehe ich gerne zu diesen Festen.
„Weil bald Silvester ist, muss die Halle ein wenig aufgemotzt werden“, erklärt Grandpa und wir gehen durch den riesigen Raum. „Darum wirst du dich hauptsächlich kümmern.“
„Allein?“, keuche ich entsetzt.
„Natürlich nicht, mein Schatz. Du hilfst meinen Angestellten beim Aufbauen und dem ganzen Kram, die erklären dir das alles schon. Der Hausmeister sollte hinten in der Küche sein, ihn kannst du fragen, was du machen sollst.“ Er geht auf ein paar Schalter an der Wand zu und drückt mehrere Knöpfe, damit viele Lichter in der Halle angehen und erst jetzt ist die ganze Größe zu erkennen. „Kann ich dich hier allein lassen?“
„Ja, das sollte kein Problem sein“, sage ich und sehe mich in der großen Halle um.
„Gut. Ruf mich einfach an, wenn du was brauchst. Und vergiss nicht, Pause zu machen. Du kennst die Zeiten.“
Ich nicke lächelnd. „Versprochen, Grandpa.“
Er lächelt zurück. „Ich bin mir sicher, dass ich mich auf dich verlassen kann. Wir sehen uns spätestens in der Mittagspause, klar?“
„Klar.“
Dann verschwindet er aus der großen Halle und ich stehe allein hier. Er meinte, der Hausmeister stehe in der Küche, also sollte ich dort wohl als Erstes hingehen. Deswegen gehe ich durch die Halle zu der Küche, in der ebenfalls Licht brennt. Ab und zu hört man jemanden werkeln. Ich gehe durch einen kleinen Flur und sehe in der Küche einen Mann auf dem Boden liegen, der mit seinem Oberkörper gerade unter einer Spüle steckt.
„Hallo?“, frage ich, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Plötzlich ertönt ein lauter Knall und darauf ein lautes „Fuck!“. Er kommt unter der Spüle hervor und sieht zu mir.
Und mir stockt sofort der Atem.
Nathan sieht mich mit der Hand am Kopf reibend, vernichtend