Finn und Tea bei den Kreuzrittern. Anja Obst
dass sie Tea heißt«, Finn zog die Stirn kraus, »und dass sie gaaaaanz viel weiß.«
»So, so«, murmelte der Vater, »dann hätten wir uns das Lexikon ja sparen können.«
»Papa, du nimmst mich nicht ernst!«
Finns Mutter drehte ihren Kopf zur Seite und tat, als ob sie husten müsste.
»Was ich ernst nehme«, sagte sie dann bemüht locker, »ist eine gute Grundlage für den Tag. Lasst uns endlich frühstücken!«
Finns Vater zog die Decke weg und hob seinen Sohn aus dem Bett. Heute durfte er zur Feier des Tages im Schlafanzug frühstücken. Über die Schulter seines Vaters warf Finn einen letzten Blick auf die Packung mit der Hexenpuppe, die halb unter der Decke vergraben war. Nur den langen Hut und das Gesicht bis zur Nase konnte er hinter dem Plastik sehen. Ihm war, als ob sie ihm zuzwinkerte.
»Ich weiß, das meiste kann man auch im Internet finden, aber ein Buch ist noch immer etwas Handfestes, oder?«
Finns Mutter hatte gerade den letzten Teller in die Spülmaschine gestellt und stand nun hinter ihrem Sohn. Finn saß noch am Esstisch und schmökerte in dem neuen Lexikon. Wenn Bilder von Schiffen und Burgen zu sehen waren, blätterte er immer etwas langsamer.
»Stimmt«, pflichtete er ihr bei, »zum Lesen finde ich Bücher auch oft besser als einen E-Reader. Aber die sind halt praktisch.«
Finns Mutter legte ihre Arme um seine Schultern und fragte fast beiläufig:
»Die Puppe gefällt dir nicht so sehr, oder?«
»Geht so.«
»Du hast ja auch Recht, was will ein Junge schon mit einer Puppe.«
Die Mutter lächelte.
»Aber als ich sie im Laden sah, musste ich an das Mobile denken, das über deinem Babybett hing. Erinnerst du dich? Da hingen statt der üblichen Tiere oder Monde und Sterne Halloween-Figuren dran. Hexen, Magier, Gespenster und so. Mit denen hattest du, als du dann größer warst, auch noch lange Zeit gespielt. Vor allem mit der Hexe, die die schwarze Katze auf der Schulter hatte. Du hast ihr sogar einen Besen gebastelt.«
»Ja, stimmt, an die Figuren erinnere ich mich.«
Finn zögerte.
»Dass sie eine Puppe ist, stört mich ja auch gar nicht.«
Etwas unbehaglich löste er sich aus der Umarmung und drehte sich zu seiner Mutter.
»Sie ist nur so unheimlich.«
»Weil du sie schon vorher gesehen hattest?«
»Ja, genau!«
»Bist du sicher, dass du nicht den Karton schon zufällig hier irgendwo gesehen hattest?«
»Ganz bestimmt nicht! Ich suche nicht mehr nach Geschenken, ehrlich!«
Die Peinlichkeit, als er vor dem letzten Weihnachtsfest beim Stöbern in den Schränken seiner Eltern erwischt wurde, trieb ihm noch nachträglich die Schamesröte ins Gesicht.
Die Mutter setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Dann ist es natürlich ein sehr großer Zufall, dass du ausgerechnet in der Nacht zu deinem Geburtstag von dieser Hexe träumst.«
»Es war kein Traum!«
Finn sprang auf und wühlte im Mülleimer.
»Hier«, rief er dann und hielt das kleine Holzstückchen nach oben, »mit diesem Zweig habe ich in sie reingepiekst, aber sie hat den einfach mit ihrer Zauberkraft zerbrochen. Das ist alles, was davon übrig ist.«
Er setzte sich wieder an den Tisch.
»Den kannst du doch irgendwann vom Spielen draußen mit reingebracht haben.«
»Nein, ganz sicher nicht!«
Finn stütze seinen Kopf auf die Hände.
Seine Mutter fegte einige Brötchenkrümel vom Tisch und schlug vor:
»Komm, wir packen sie gemeinsam aus, ja? Willst du sie holen?«
Finn nickte zögerlich.
»Soll ich mitkommen?«
»Quatsch!«
Vermutlich hat sie sowieso Recht, und er hatte sich alles nur eingebildet. Er hat doch keine Angst vor einer Puppe!
Nicht ganz so schnell wie sonst ging Finn die Treppe zu seinem Zimmer hoch. Vor der offenen Tür blieb er stehen. Was, wenn sie doch lebendig ist? Und sogar nur darauf wartet, dass er alleine zurückkommt? Will sie ihn vielleicht verzaubern? Ihn in eine hässliche Kröte verwandeln wie im Märchen?
Finn hielt vor seiner Tür inne und reckte seinen Kopf nur so weit ins Zimmer hinein, bis er das Ende des Bettes sehen konnte. Die Schachtel lag noch immer halb verdeckt an der gleichen Stelle. Auch konnte er den schwarzen Schatten des Hutes unter der Folie erkennen. Finn schob seinen rechten Fuß zur Türschwelle und lauschte. Erst war alles still. Dann hörte er ein dumpfes Klicken. Danach ein leises Rauschen, das immer stärker wurde. Plötzlich verschwand das Rauschen und eine Art Summen erklang. Finn fixierte die Schachtel. Hatte sie sich bewegt? Nein! Aber woher kamen die Geräusche? Wieder ertönte ein Klicken und gleich darauf erneut. Das Summen setzte abermals ein. Er drehte leicht den Kopf und war dann sicher: Das kommt nicht aus seinem Zimmer. Finn stutzte kurz und schlug sich dann mit der Hand an die Stirn. Natürlich, in der Küche hatte das Lieblingsgerät seiner Mutter mit der Arbeit begonnen: die Spülmaschine!
Laut stieß Finn den angehaltenen Atem aus. Nur Prinzen werden verzaubert, aber keine Geburtstagskinder, redete er sich ein. Mit diesem Gedanken betrat er sein Zimmer, griff seinen Pullover, der auf dem Stuhl lag, und warf ihn auf die Schachtel. So verpackt schnappte er sich den Karton und lief hinunter in die Küche.
»Oh, gut, dass du dir deinen Pulli mitgebracht hast. Nur im Schlafanzug könnte es vielleicht doch schnell kalt werden«, empfing ihn seine Mutter. S
ie klappte das Lexikon zu und zog Finns Stuhl neben ihren.
»Ja, unheimlich sieht sie schon aus«, bestätigte die Mutter, nachdem Finn die Schachtel auf den Tisch gelegt und den Pullover angezogen hatte. Sie schob ihm den Karton zu. Noch stehend öffnete Finn die Schachtel und zog die Puppe heraus. Irgendwie kam er sich albern vor. Es ist schlicht eine Puppe. Mehr nicht.
»Oma und Opa kommen!«, rief der Vater aus dem Wohnzimmer.
Finns Mutter stand auf und fragte, als sie schon in der Tür stand:
»Kommst du?«
»Ja!«
»Ich bin gespannt, was dir deine Großeltern mitgebracht haben!«
Das war nicht die Stimme seiner Mutter!
Und schon gar nicht die des Vaters!
Finn schaute in das zerknautschte Gesicht der Puppe. Wo eben noch eine dünne Naht den grimmigen Mund angedeutet hatte, war nun ein Lächeln zu sehen.
»Nein, du träumst nicht.«
Tatsächlich, jetzt hatten sich auch die Lippen der Puppe bewegt!
»Ich muss träumen, Puppen reden nicht!«
Die schnelle Bewegung der kleinen Puppenhand bemerkte Finn gar nicht. Er spürte nur den leichten Schlag auf seiner Hand.
»Aua!«
Richtig weh tat es natürlich nicht, letztendlich hatte Tea ja nur weiche Stoffhände. Es war viel mehr der Schreck, weshalb Finn Aua schrie. Trotzdem rieb sich der Junge die Stelle, an der er getroffen wurde.
»Wieso . . . », begann er, » . . . was bist du?«, korrigierte er sich dann.
»Ich bin eine Hexe.«
»Aber du bist doch eine Puppe!«
»Ich bin eine Hexenpuppe«, betonte Tea.
»Finn,