Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich


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unter Aufsicht der Behörde fest vermauert worden. Der Regierungsrath ließ dann die Stelle mit Kalk bewerfen und die ganze Treppe frisch malen, so daß auch die letzte Spur des hier früher befindlich gewesenen Einganges verschwand. Nach einigen Wochen sprach auch im ganzen Hause kein Mensch mehr davon. Nur Marie ging im Anfang noch mit einiger Angst, mit einem eigenen, schwer zu beschreibenden Gefühle daran vorüber. Aber auch das verlor sich bald, und der Arzt empfahl ihren Eltern jetzt Luftveränderung und Scenenwechsel für die Tochter, um die rasch vorwärts schreitende Genesung zu beschleunigen und zu sichern.

      Dem Regierungsrathe war das selbst erwünscht, Urlaub zu einer kleinen Reise zu bekommen, und er benutzte den erhaltenen, mit seiner Familie auf kurze Zeit ein Seebad zu besuchen. Auf Norderney, von dem kühlen Salzwasser gekräftigt, gesundete das junge Mädchen auch von Tag zu Tag, und als sie Ende August wieder nach Hellburg zurückkehrten, war auch die letzte Spur der Krankheit verschwunden. Selbst ein früheres Leiden, oder vielmehr eine Schwäche, die ihren Grund vielleicht ebenfalls mit in der zu großen Reizbarkeit ihrer Nerven fand, hatte sich fast ganz dabei verloren. Ihre Träume hatten nämlich in der letzten Zeit einen so hohen Grad von Lebendigkeit erreicht gehabt, daß sie im Schlafe sogar, ohne es zu wissen, aufstand und in der Stube umherging. Es war, wenn auch keine wirkliche Mondsucht, doch ein geringerer Grad derselben und hatte die Mutter schon mehrmals sehr geängstigt.

      Das war durch das stärkende Seebad, die Luftveränderung und überhaupt die durchaus gekräftigte Natur des Kindes jetzt ebenfalls überwunden worden, und die fixen Ideen aus der früheren Zeit, mit dem Einfluß, den der Traum auf sie gehabt, schienen sich ganz verloren zu haben. Wie sie bei der Rückkehr die Treppe im Hause wieder hinaufstieg, blieb sie /37/ sogar an der vermauerten Thür lachend stehen, klopfte daran und rief Gundelrebe bei Namen. Die Mutter, die noch immer nicht ohne Unruhe der damals qualvoll durchlebten Stunden gedachte, wollte sie daran hindern und bat sie, die alten Träume nicht muthwillig wieder zu erwecken. Marie schüttelte aber lächelnd den Kopf und meinte, Mütterchen dürfe sich nicht mehr davor fürchten; sie sei jetzt wieder gesund und doch auch verständiger geworden, und habe die alten thörichten Träume lange vergessen.

      Und das war wirklich der Fall. Jahr nach Jahr verging, und das alte Nachbarhaus wäre kaum mehr erwähnt worden, hätte der ewig dauernde Proceß die Aufmerksamkeit der Stadt nicht gewaltsam darauf festgehalten. Alles in der Welt nimmt jedoch zuletzt einmal ein Ende, und selbst dieser Proceß schien sich dem seinigen zu nähern. Die verschiedenen Parteien der jetzt noch lebenden Erben hatten es nämlich endlich doch satt bekommen, mit dem, was ihnen Nutzen bringen konnte, wenn sie sich darüber einigten, eine Anzahl von Advocaten und Beamten zu ernähren, und zeigten sich einer Übereinkunft geneigt.

      Verwickelt genug war die Geschichte. Der alte selige Herr Quetzlinberger hatte einen einzigen Sohn gehabt, der also auch nach seinem Tode Universalerbe geworden wäre. Wunderbarer Weise, wie die alten Acten sagten, war dieser aber mehrere Jahre vor des alten Herrn Tode eines Morgens spurlos verschwunden gewesen, und man hatte trotz aller Nachforschung der Gerichte nie herausbekommen können, was aus ihm geworden. Der alte Mann schien sich das aber entsetzlich zu Herzen genommen zu haben und schloß sich vollkommen von der Welt ab. Nur eine Haushälterin von gesetztem Alter besorgte ihm die Wirthschaft und hielt das Haus in Ordnung, das von da an kein fremder Fuß mehr betreten durfte. Wenn dann auch böse Zungen nicht müßig waren, gehässige Gerüchte darüber zu verbreiten, gelangte das entweder nicht zu den Ohren des alten Herrn, oder er kümmerte sich auch nicht. Diese Gerüchte fanden allerdings neue Nahrung, als die Nachbarn des alten Herrn einen Knaben bei ihm am Fenster sahen, von dem es bald hieß, daß er ein Neffe, bald, /38/ aß er ein Adoptivsohn sei. Die guten Frauen von Hellburg gaben sich damals die größte Mühe, Näheres über die Abstammung des Knaben zu erfahren, doch umsonst. Nicht einmal auf die Straße herunter durfte der Kleine; ja, so selten zeigte er sich selbst am Fenster, daß nur erst Wenige ihn dort gesehen hatten und Viele sogar noch seine Existenz bezweifelten. Da fuhr eines Tages eine Kutsche vor, in welche die Haushälterin mit dem Knaben stieg und zum Thore hinausrasselte; - Niemand wußte, wohin. Der alte Herr Quetzlinberger lag damals, wie mündliche Uebertragung in Hellburg lautete, im Fenster und sah ihnen nach, bis sie um die Ecke der nächsten Straße verschwunden waren. Dann machte er das Fenster zu, zog die Gardinen vor - wie sie noch bis auf den heutigen Tag hingen - und ließ sich nicht mehr sehen.

      Drei Tage lang blieb das Haus verschlossen, und die Nachbarn vergingen fast vor Neugierde, ob die alte Haushälterin zurückkäme, oder sich der Doctor eine „neue" nähme. Der alte Herr schien aber weder das Eine noch das Andere zu beabsichtigen. Thüren und Fenster blieben verschlossen; aus den Schornsteinen stieg kein Rauch auf; alles Klopfen an der Thür, als man doch ernstlich besorgt wurde, blieb unbeantwortet, und wie die Gerichte endlich, kraft ihres Amtes, sich gewaltsamen Eintritt in das dunkle Heiligthum erzwangen, lag der alte Herr Quetzlinberger in seinem gelbseidenen Schlafrock im Bette und war todt.

      Einen halben Tag waren hierauf die Gerichte damit beschäftigt, ein Testament unter den vorhandenen Papieren des Dahingeschiedenen zu entdecken. Sie fanden nichts Derartiges, und nur im Schreibtische einen Zettel, nach dem sein Neffe Konrad G. Schierling, im Falle sein verschwundener Sohn nicht wieder aufgefunden würde, zu seinem Universalerben eingesetzt werden solle.

      Der alte Herr wurde hierauf begraben, das Haus versiegelt, und der Proceß um die Hinterlassenschaft, da sich die übrigen Erben einem so unvollständigen Testamente nicht fügen wollten und für die Ansprüche des verschollenen Sohnes ein Fremder auftrat, begann. Advocaten und Erben /39/ starben - der Proceß lebte fort, ja schien mit den Jahren, je schwieriger es wurde ihn zu sichten, nur immer neue Kraft zu gewinnen.

      Zu dem alten Hause gehörte dabei noch ein sehr bedeutendes Areal von Bauplätzen und Ackerland in der unmittelbaren Nähe der Stadt. Einem alten Uebereinkommen nach war dieses durch das Gericht selber alljährlich verpachtet worden, um aus dessen Ertrag eben so regelmäßig die fortlaufenden Proceßkosten zu bezahlen. Diese hatten dadurch vollständige Sicherheit erhalten und mehrere Geschlechter von Juristen lebenslängliche Renten daraus bezogen, bis eine vernünftigere Generation von Erben sich einem Vergleiche geneigt zeigte.

      Außer dem bestrittenen Universalerben, dem jungen Schierling, erhob die Hauptansprüche ein Doctor Hetzelhofer, der eine von dem jungen Quetzlinberger selbst ausgestellte Verschreibung besaß, worin ihm, oder vielmehr seinem Vorfahren, sämmtliche Ansprüche desselben übertragen wurden. Woher er sie erhalten, blieb ziemlich ungewiß. Doctor Hetzel- hofer aber behauptete, sein Großvater habe dem damals noch jungen Manne wichtige Dienste geleistet, der junge Quetzlinberger selber sei aber später auf einer heimlich unternommenen Seereise verunglückt.

      In sein Interesse hatte er dabei einen andern weitläufigen Verwandten des alten Herrn Quetzlinberger, der auch dessen Namen trug und ein sehr geschickter Advocat war, gezogen - vielleicht hauptsächlich mit des Namens wegen. So bildeten die Herren Hetzelhofer und Quetzlinberger gegen Schierling oder dessen Erben, mit einem größeren Anhang weitläufiger Verwandter, die beiden Hauptparteien des Processes.

      Um aber die Sache an Ort und Stelle besser betreiben zu können, war Doctor Hetzelhofer, der Enkel des Doctor Hetzelhofer, welcher die ersten Ansprüche erhoben hatte, nach Hellburg selbst, und zwar dem „alten Hause" gerade gegenüber, in die nämliche Wohnung eingezogen, in der Mariens Großeltern in früheren Jahren gewohnt hatten. Durch Briefe, die er mitbrachte, war er dabei ebenfalls an Regierungsrath Hechncr empfohlen und mit diesem bekannt gewor-/

      40/den, und wenn auch der Regierungsrath selber keine große Freude an dem etwas abstoßenden, verschlossenen Manne fand, lernte doch die indeß herangewachsene Marie die ihr an Jahren allerdings überlegene Schwester des Doctors kennen und lieb gewinnen, und war von da an oft in des Doctors Hause.

      Helene, wie des Doctors Schwester hieß, mochte zwei- oder dreiunddreißig Jahre alt sein und führte, von einer alten Dienstmagd unterstützt, welche die gröberen Arbeiten verrichtete, ihrem Bruder die Wirthschaft. Sie war dabei ernst und häuslich, und vielleicht von einem mehr schwärmerischen als prosaischen Charakter, gegen dessen Uebertreibung sie aber schon ihre Jahre wie ihre Ruhe schützten. Dennoch war es das vielleicht gewesen, was Marien besonders zu ihr hingezogen hatte.

      Marie, die indessen ihr siebzehntes Jahr erreicht, schien ihren Körper in der raschen Entwickelung eher gekräftigt und die frühere


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