Buntes Treiben. Gerstäcker Friedrich
stand aufrecht in ihrem Canoe, das Ruder fest, und zu augenblicklichem Gebrauche bereit, in beiden Händen. Der Tehei war wieder von ihren Schultern gefallen; ihre langen Locken umgaben wild ihr Haupt, aus dem die Augen in Zorn, aber auch in Angst hervorfunkelten, denn sie hatte der Götter Rache angerufen, und der Augenblick nahte, in dem sie sich erfüllen sollte.
„Maita, um Deiner Seele willen, Mädchen, rette mich!" stöhnte Patoi und suchte sich auf das schlüpfrige Canoe /109/ hinauf zu schnellen. In dem Moment schoß wieder der eine feurige Strahl heran. Ein gellender, furchtbarer Schrei kreischte über die Fluth, die in demselben Augenblick gurgelte und aufschlug, daß sie mit ihren Gluthfunken das Meer ringsum erleuchtete - dann war Alles todtenstill. – Drüben von dem Ufer Eimeos her, über das Donnern der Brandung herüber, tönte noch aus weiter Ferne der muntere Trommelschlag und verrieth die Stelle, wo sich das junge Volk am Tanz vergnügte - und unter ihr? - Maita schauderte zusammen, als sie im Geist ihrem Opfer in die Tiefe folgte - aber es war geschehen! Oro, der wilde Gott, hatte ihr Gebet erhört - er war mächtiger gewesen als der Gott der Bleichgesichter - fort von hier. Ein eisiges Gefühl umspannte ihr Herz, fast unwillkürlich senkte sich das Ruder wieder in die klare Fluth, und über die Schreckensstelle hinweg glitt der Kahn seine einsame, stille Bahn entlang.
Patoi kehrte nie wieder nach Tahiti zurück. Die Missionäre forschten nach ihm - Niemand konnte ihnen Auskunft geben. Maita war allein zu ihrem Vater zurückgekehrt, und am nächsten Morgen hatte die Seebrise Stücke eines zerschmetterten Canoe, das an den Riffen zerschellt sein mußte, an die Küste von Eimeo geworfen. - War er mit diesem verunglückt? Niemand wußte oder erfuhr es, und die Missionäre suchten nur sein junges Weib mit der Versicherung zu trösten, daß, was auch aus dem Körper geworden, seine Seele doch wenigstens gerettet wäre.
Die Privat-Lotterie.
In Memphis - nicht etwa in dem alten, zerstörten egyptischen, sondern in dem neuen, blühenden amerikanischen - dicht am Ufer des Mississippi, aber auf der dort sehr hohen Uferbank, dem sogenannten Bluff, gebaut, gab Tom Scissors eine neue Zeitung heraus, den Memphis Advertiser, die aber, wie das bei neuen Zeitungen und alten Uhren sehr häufig geschieht - nicht recht gehen wollte.
Tom war ein liebenswürdiger, gescheidter Bursch, außerordentlich gewandt mit der Feder und dabei voll von humoristischen Einfällen, sobald er sich in lustiger Gesellschaft und hinter einem Glase Wein befand. Sowie er derartige Sachen aber zu Papier bringen wollte, gerieth er in eine Art von stilistischer Schnörkelei, die auch die besten Ideen und Einfälle abschwächte und langweilig machte und deshalb dem größeren Publikum unverdaulich blieb. Sein Advertiser kam deshalb nicht in Gang und Schwung; die paar Abonnenten, die er hatte, zahlten ihm die Kosten nicht, und wenn er gleich durch Colportage noch Einiges absetzte, gerieth er doch sehr bald dermaßen in finanzielle Schwierigkeiten hinein, daß er sich schon überlegte, ob er mit einem stromauf- oder stromabgehenden Dampfer durchbrennen solle, denn daß er überhaupt durchbrennen müsse, schien außer aller Frage. /111/
Früher hatte er sich einmal um Hülfe an einen Freund gewandt, der in Vicksburg ebenfalls eine Zeitung redigirte und Richard Chalker hieß. Mit Geld konnte ihn dieser zwar ebenfalls nicht unterstützen, machte ihm aber einen andern Vorschlag, und zwar den, als Mitarbeiter in seine Zeitung einzutreten, da er fest überzeugt war, daß Scissors unter vernünftiger Leitung ein ganz brauchbarer Hülfsarbeiter sein würde, wenn er auch nicht im Stande war, selbstständig etwas durchzuführen. Um das zu betreiben, fuhr er endlich, da die Korrespondenz in's Stocken gerieth, selber nach Memphis hinauf und war ziemlich fest überzeugt, daß Scissors den Vorschlag annehmen würde, denn er sicherte ihm doch wenigstens vor der Hand einen Lebensunterhalt, und das Weitere fand sich später.
Chalker erreichte Memphis, stieg den etwas beschwerlichen Weg von der untern Landung bis zum „Bluff" hinauf und betrat endlich das kleine, sehr bescheidene Holzhaus des Freundes, das eigentlich an der Front nur wie ein großes Anzeige-Schild aussah, denn es enthielt auf weißem Grund mit schwarzen Riesenlettern die Ankündigung, daß dort der Memphis Advertiser nicht allein geschrieben, sondern auch gedruckt und ausgegeben würde und Annoncen durch ihn die „weiteste Verbreitung" fänden. Chalker blieb übrigens sehr erstaunt in der Thür stehen, denn er hatte natürlich erwartet, den armen Teufel in einer fast mehr als bedrängten Lage und sehr niedergeschlagen anzutreffen, und statt dessen saß Tom jetzt neben seinem Schreibpult an einem kleinen Tisch und frühstückte - und zwar nicht etwa ein Glas Wasser mit einem Stück trockenen Schiffsbiscuit dazu, wie er ihn das letzte Mal überraschte - sondern hinter einer Flasche Champagner, mit einer offenen Büchse Sardinen und einem delicat aussehenden Häringssalat, während ein kleiner Negerbursch eben mit einem Eimer voll Eisstücken in's „Comptoir" keuchte, um den Champagner darin kalt zu stellen.
„Chalker, alter Junge!" schrie Scissors, von seinem Stuhl emporspringend, als er den Freund erkannte. „Nein, das ist wunderbar! Eben in dem Moment dachte ich mir, wenn Du jetzt ein Zauberer wärst, so würdest Du einen Kreis /112/ ziehen, eine richtige Beschwörung machen und Deinen Vicksburger Dick hierher citiren, und wie aus dem Boden heraufgewachsen stehst Du plötzlich auf der Schwelle. Hierher, old boy, hierher - da rück‘ Dir den Stuhl zum Tisch. Du, Sip, gieb noch ein Glas aus dem Schrank dort, und Messer, Gabel, Teller. So, und nun trink erst einmal vor allen Dingen und stoß mit mir an: Es lebe die Intelligenz!“
„Höre einmal, tom“, sagte Chalker, der sich von seinem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte. „Wenn wir in Californien wären, so würde ich die Sache ganz natürlich finden und glauben, Du wärst über irgend einen kürbisgroßen Goldklumpen gefallen, der Deine Umstände so mit einem Schlag verbesserte. Da aber, so viel ich weiß, in Tennessee noch keine Goldlager entdeckt sind, so muß ich Dir aufrichtig gestehen -“
„Du begreifst nicht, wie ich zu dem Champagner komme, heh?“ lachte Tom – „hier, sto9ß an, alter Junge, Du sollst Alles erfahren – Sip, Du kannst jetzt verschwinden und – aber da kommt der Postbote, warte einen Augenblick, Dick – ich will nur ein halbes Dutzend Geldbriefe in Empfang nehmen, nachher darf uns Niemand stören, und wir frühstücken con amore.“
Der Briefträger kam wirklich und brachte eine ganze Hand voll Briefe – sämmtlich mit Geld, die eer quittiren mußte, und als er sie vor Dick auf den Tisch warf, bemerkte dieser zu seinem Erstaunen, daß keiner weniger als zwanzig Dollars, manche aber auch vierzig – einer sogar hundert enthielt, die Scissors mit eine rnonchalance behandelte, als ob er von Jugend auf nichts Anderes gethan hätte, als derartige Werthbriefe in Empfang zu nehmen. Er brach sie nicht einmal auf, sondern warf sie nur in eine Schublade, und seinen Stuhl wieder zum Tisch rückend, rief er aus:
„So - und nun den Champagner, der sich indessen wird abgekühlt haben. Nach gethaner Arbeit ist gut ruhen.“
„und was arbeitest Du jetzt, wenn man fragen darf?“
„Geldbriefe quittieren“, erwiderte Scissors mit der ruhigsten Miene von der Welt, indem er dem Freund den Schaumtrank in das Glas füllte – „weiter nichts, denn meine /113/ Zeitung bersorgt mir jetzt ein junger Deutscher, den ich dafür engagirt habe.“
„Nun löse mir aber auch einmal das Räthsel.“
„Mit dem größten Vergnügen – ich begreife nur nicht, daß es für Dich ein Räthsel ist. Hast Du denn meine Annonce in dem Memphis Advertiser nicht gelesen, in welcher ich mich als junger Ehemann mit einem Vermögen von zehntausend Dollars selber ausgespielt habe?“
„Ach, mach‘ keinen Unsinn – der alte schlechte Witz. Du hast keine zehntausend Cents im Vermögen und, ich glaube sogar, auch noch nie gehabt.“
„Hast Du es nicht gelesen?“
„Gewiß hab‘ ich, und darüber gelacht. Bei Mangel an Stoff war es ein famoses Mittel, um den Raum auszufüllen.“
„Mein lieber guter Freund“, rief Tom, „da bist Du verwünscht auf dem Holzweg, denn es war mehr als das, und ich versichere Dir, es giebt gar nichts so Unsinniges in der Welt, wofür ich nicht eine Anzahl von Gläubigen gewinnen könnte.“
„Höre, Tom, ich vermuthe, Du hast mehr Gläubiger als Gläubige.“
„Früher ja, aber jetzt nicht mehr; doch hör‘ mich nur