Mein Begräbnis. Und andere Grotesken. Hanns Heinz Ewers

Mein Begräbnis. Und andere Grotesken - Hanns Heinz Ewers


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      In zwanzig Minuten schon waren wir draußen. Alle stellten ihre Räder an die Gittertüre, die vier Stärksten nahmen vorsichtig die Eierkiste auf. Der Herr Oberradler sah in meinen Instruktionen nach und befahl: »Zweiter Querweg, achter Seitengang, links vom Hauptweg! Auf der rechten Seite! Grab Numero 48.678!«

      Dahin brachten sie in feierlichem Zuge die alte Eierkiste.

      Das Grab war schon aufgeworfen, ein paar große Schaufeln steckten in dem Erdhaufen. Ganz vorsichtig krochen einige der Roten Radler in die Grube und setzten die Kiste hinein. Dann umstellten sie das Grab in weitem Kreis.

      »Jeder soll sich eine Zigarette anzünden«, befahl der Herr Oberradler. Die meisten hatten Zigaretten bei sich, den anderen bot er sein Etui an.

      »Ich kann noch nicht rauchen«, sagte Fritz. »Davon wird mir –«

      Aber ich unterbrach ihn: »Die Roten Radler besorgen alles!«

      Beleidigt blickte der Chef auf seine rote Gesellschaft. »Wer spricht da?«, rief er. »Ich verbitte mir jedes unnütze Wort! Selbstverständlich besorgen die Roten Radler alles! Da, rauch, Fritz! Ein Roter Radler muss so gut rauchen können wie beten!«

      Fritz brannte seine Zigarette an, und alle anderen auch.

      »So«, sagte der Oberradler und sah wieder in seinen Zettel, »jetzt beginnen wir die Trauerfeierlichkeit! Wir singen – nach der Melodie der ›Sänger von Finsterwalde‹ – gemeinsam diese Verse:

      Die Roten Radler – – besorgen alles!

      Sie leben und sterben – – für den Beruf!«

      Alle sangen, dass es schallte, und ich sang in meiner Kiste mit.

      »Jetzt kommt die Leichenrede«, fuhr der Chef fort und begann: »Wir haben heute die Ehre und das große Vergnügen, zum ersten Male von Berufs wegen jemanden zur letzten Ruhe geleiten zu dürfen. Wenn uns auch über die sonstigen Tugenden des Verblichenen sonst nichts weiter bekannt ist, so genügt doch die Tatsache seiner letzten Verfügungen, ihm im Herzen aller Roten Radler einen bleibenden Denkstein zu setzen – zu zwei Mark fünfundvierzig die Stunde. Aus diesem Grunde lasst uns alle einstimmen in den Ruf: Unser freundlicher Gönner weiland, der selig Verblichene – hurra, hurra, hurra!«

      Und die Roten Radler brüllten: »Hurra, hurra, hurra!«

      »Sehr gut«, sagte der Oberradler, während ich in meiner Kiste dankbar klatschte. »Zum Schluss singen wir nun das Lieblingslied des Herrn Entschlafenen:

      Toch-ter Zi-ons, freu-heu-heu-heu-heu-e dich –

      jau-hau-hau-hau-hauch-ze lau-hut Jeru-hu-hu-hu-hu-salem!«

      Da erscholl aus nächster Nähe ein anderer Gesang.

      Dritter Querweg, achter Seitengang, links vom Hauptweg fand nämlich auch eine Beerdigung statt. Numero 48.679, auf der linken Seite, also mir schräg gegenüber.

      Es war der Geheime Oberregierungsrat von Ehrenhaft, der da bestattet wurde, und es waren schrecklich viele Menschen dabei: Räte und Richter und Offiziere und Assessoren, alles feine Leute.

      Aber es war doch nur ein Begräbnis im alten Stile – ohne Rote Radler.

      Der Herr Oberradler wartete höflich, bis die Leute fertig waren, und dann rief er von Neuem: »Wir singen nun das Lieblingslied des Entschlafenen: Toch-ter Zi-ons, freu–«

      Aber er kam nicht weiter, drüben begann mit dröhnender Stimme ein dicker Pastor die Leichenrede.

      Der Oberradler wartete wieder, drei Minuten, fünf Minuten – aber der Pastor hörte nicht auf. Mir wurde ganz schlecht dabei. Solche Reden beschleunigen den Vorgang der organischen Zersetzung gleich noch einmal, sagte ich mir. Der Oberradler schien meine Gedanken zu teilen, er sah auf die Uhr.

      Aber der Pastor redete und redete.

      Schließlich dauerte es dem Herrn Oberradler zu lange. Er war ja nur für zwei Stunden bezahlt. Er kommandierte von Neuem, und diesmal platzten alle fünfundvierzig Radler auf einmal los: »Toch-ter Zi-ons, freu-heu-heu-heu-heu-e dich!«

      Der Pastor kämpfte und wollte nicht nachgeben. Aber was ist der stimmgewaltigste Prediger gegen fünfundvierzig Rote Radler? Ich konstatierte mit Genugtuung, dass die Jugend siegte und die modernen Ideen, und dass die alte bürgerliche Welt beschämt das Schlachtfeld räumen musste: Der Pastor schwieg.

      Nun aber gibt die Geistlichkeit nie eine Niederlage zu, niemals.

      Der Pastor sprach mit ein paar Herren im Zylinder, und diese sprachen wieder mit einigen Schutzleuten. Die Schutzleute setzten ihren Helm auf den Kopf und kamen zu meinem Grab herüber. Sie redeten auf den Herrn Oberradler ein, aber der hielt stand.

      »Wir stehen hier in Ausübung unseres Berufs«, sagte er kalt.

      »Haben Sie eine Genehmigung?«, fragte einer der Schutzleute.

      »Jawohl!«, antwortete der Herr Oberradler und griff in die Tasche. »Hier ist sie! Eine amtliche Genehmigung für mein ›Institut der Roten Radler‹.«

      »Hm«, machte der Schutzmann. »Aber eine Genehmigung für Begräbnisse?«

      »Die Roten Radler besorgen alles!«, erklärte der Chef stolz.

      »Bravo! Bravo!«, rief ich in meiner Kiste.

      »Hier hat niemand Bravo zu rufen!«, knurrte der Schutzmann. Er verlangte, dass die Roten Radler sich entfernten, aber der Oberradler wollte nicht. Er sei noch nicht ganz fertig mit der Feierlichkeit, für die er bereits bezahlt sei.

      Die Schutzleute schrien, aber der Oberradler schrie noch viel mehr.

      »So ein Schlaumeier!«, dachte ich. »Nun wird die Sache in die Presse kommen und tüchtig Reklame für ihn machen!«

      Dann kamen langsam all die Herren des oberregierungsrätlichen Begräbnisses her und mischten sich ein, die Räte und Richter und Offiziere und Assessoren. Ganz zuletzt kam der Pastor.

      Er sah die Roten Radler in ihren roten Mützen und Jacken, die Zigaretten im Maul.

      »Pfui!«, sagte er. Dann setzte er die Brille auf und las auf meiner Eierkiste: »Glas!« und »Zerbrechlich!« und »Vorsicht!« und »Nicht stürzen!«

      »Was geht hier vor?«, fragte er scharf.

      Der kleine Fritz gab ihm eine überraschende Antwort.

      Er konnte wirklich noch nicht rauchen, und die Zigarette war ihm sehr schlecht bekommen. Er beugte sich vor, zurück und wieder vor – da geschah das Unglück – gerade über den guten schwarzen Rock des Herrn Pastors.

      Der war erst sprachlos, dann aber, wie sich alle mit ihren Taschentüchern um ihn bemühten, fasste er sich und erklärte: »Das übersteigt wirklich alle Grenzen. – Ich nehme daran öffentlich Anstoß.«

      »Ich nehme auch öffentlich Anstoß!«, stimmte ihm ein Herr mit siebenundzwanzig Orden bei.

      »Wir nehmen von Amts wegen öffentlich Anstoß!«, sagten die Schutzleute.

      Nun wurde mir die Sache doch zu bunt, und ich sah ein, dass ich den Roten Radlern zu Hilfe kommen musste.

      Ich stieß den Deckel von der Kiste, richtete mich auf und rief zornig: »Und ich, meine Herren, ich nehme an Ihrer ungebetenen Teilnahme an meinem Begräbnis öffentlich Anstoß!«

      Der Pastor starrte entsetzt in die Grube. »Ist das hier – etwa ein christliches Begräbnis?«, stammelte er.

      »Nein«, sagte ich, »das ist ein modernes Begräbnis mit Roten Radlern!«

      Ich setzte mich auf meine Kiste, klemmte mein Monokel ins Auge und schaute die Leute an. Ich war im Pyjama, aber da ich befürchtete, mich im Grab zu erkälten, hatte ich mir meinen Pelz mitgenommen.

      Das imponierte den Herrschaften – schließlich war es mitten im Sommer!

      Ihr alter Geheimer Oberregierungsrat hatte gewiss keinen Pelz an.

      »Machen


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