Mein Begräbnis. Und andere Grotesken. Hanns Heinz Ewers

Mein Begräbnis. Und andere Grotesken - Hanns Heinz Ewers


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lassen, wie es mir Spaß macht. Gehen Sie also! Hier in diesem Loch und in dieser Kiste bin ich Hausherr, und ich rate Ihnen, keinen Hausfriedensbruch zu begehen.«

      »Ein Skandal!«, sagte der Herr mit den Orden. »Ein beispielloser Skandal!«

      Dann kam der Herr Staatsanwalt. »Man muss diesen Possen ein Ende bereiten!«, zischte er mich an. »Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes! Ich ersuche die Schutzleute, ihre Pflicht zu tun!«

      Die Schutzleute stiegen in das Loch und legten mir ihre Tatzen auf die Schulter. Aber ich blickte sie scharf an und sagte: »Haben Sie denn alle Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Todes verloren?«

      »Er ist gar nicht tot! Schwindler!«, rief ein sehr mutiger Reserveleutnant.

      »So?«, lachte ich. »Bitte sehr!« Damit reichte ich den Schutzleuten meinen Totenschein. »Überzeugen Sie sich selbst! – Und außerdem«, fuhr ich fort, »falls Ihnen der Zettel des Bezirksarztes nicht genügt, schnuppern Sie doch mal, Sie alter Esel!«

      Der Herr mit den Orden streckte die Nase ein wenig vor. »Pfui Teufel!«, rief er und fuhr zurück.

      »Bewahren Sie die Grenzen des Anstands, mein Herr!«, ermahnte ich ihn. »Bedenken Sie, wo Sie sind! Es ist ein glühheißer Julitag und gerade Mittag. Ich bin eine Leiche und habe also ein Recht darauf, zu stinken!«

      Aber der Staatsanwalt beruhigte sich nicht.

      »Das geht mich gar nichts an«, meinte er, »ich sehe nur, dass hier grober Unfug begangen wurde. Und dieser grobe Unfug bedarf gerichtlicher Sühne! Ich ersuche die Schutzleute, den Herrn in seine Kiste zu stecken und fortzubringen; die anderen aber bitte ich, mir zu folgen!«

      Die Schutzleute griffen zu, ich versuchte, mich zu wehren, so gut es ging. Aber sie waren viel stärker, steckten mich rasch in die Kiste und trugen mich aus dem Friedhof hinaus zu einem Wagen. Alle folgten, die Herren stiegen in ihre Kutschen, und die Roten Radler sprangen auf ihre Räder. Sogar die Totengräber kamen mit; ich freute mich nur, dass der Geheime Oberregierungsrat, der mich mit seinem altmodischen Leichenbegängnis so gestört hatte, nun ganz allein und verlassen dalag.

      Musste der sich ärgern!

      Meine Kiste stand auf dem Kutschbock, und der dicke Schutzmann saß oben drauf. Gott sei Dank konnte ich durch ein Astloch ein wenig hindurchgucken. Wir fuhren in scharfem Trab zurück in die Stadt. Dann hielten wir vor dem Gerichtsgebäude.

      »Saal einundvierzig!«, rief der Staatsanwalt. Die Schutzleute trugen mich in meiner Kiste hin, alles drängte eilends nach.

      Der Amtsrichter saß oben zwischen seinen Schöffen. Der Herr Staatsanwalt entschuldigte sich, dass er plötzlich die Sitzung unterbreche, aber es handele sich um eine sehr eilige, dringliche, wirklich unaufschiebbare Sache. Dann erzählte er den ganzen Vorgang.

      »Der Kerl behauptet, tot zu sein«, schloss er, »und ist auch im Besitze eines amtlich ausgestellten Totenscheins.«

      Der Herr Amtsrichter hieß mich aus meiner Kiste herauskommen.

      »Befindet sich vielleicht ein Arzt im Publikum?«, fragte er. Es kamen gleich drei heran: ein gewöhnlicher Arzt, ein Stabsarzt und ein Medizinalrat, der Vorsitzende der Landesirrenanstalt.

      Sie untersuchten mich, hielten sich dabei aber ihre Taschentücher dicht unter die Nasen.

      Sie machten es kurz: »Ganz zweifellos eine Leiche!«

      Ich triumphierte.

      »Ich werde gegen den Herrn Staatsanwalt wegen Leichenschändung vorgehen!«, rief ich.

      »Einstweilen stehen Sie hier als Angeklagter!«, fuhr mich der Vorsitzende an.

      »Nicht zu lange mehr, lieber Herr!«, antwortete ich. »Ich bin im Stadium des –«

      »Schweigen Sie!«, schrie er.

      »Nein!«, sagte ich. »Ich werde nicht schweigen. Ich habe als Preuße das Recht, meine Meinung in Wort, Schrift oder bildlicher Darstellung frei zu äußern!«

      Da lachte er. »Wir sind hier nicht in Preußen! – Und außerdem sind Sie auch kein Preuße mehr, sondern eine Leiche!«

      »Ich bin kein Preuße mehr?«

      »Nein!«

      »Dann bin ich ein toter Preuße!«

      »Und ein toter Preuße hat gar keine, aber auch nicht die allergeringsten Rechte. Das muss Ihnen doch schon Ihr gesunder Menschenverstand sagen!«

      Ich dachte nach: Der Mann hatte leider Recht.

      Ich schwieg gekränkt.

      »Sie stehen hier«, begann er wieder, »unter der Anklage des groben Unfugs, der Erregung öffentlichen Ärgernisses, der Beamtenbeleidigung und des Widerstandes gegen die Staatsgewalt! Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung anzuführen?«

      »Ich bin eine Leiche«, wimmerte ich.

      »Das ist keine Entschuldigung«, behauptete der Vorsitzende. »Im Gegenteil ist zu sagen, dass gerade Leichen sich eines äußerst ruhigen und gesitteten Betragens zu befleißigen haben, sie sollen gewissermaßen den Lebenden ein leuchtendes Beispiel für alle Bürgertugenden sein. Als ehemaliger Preuße sollte Ihnen doch der Spruch bekannt sein, dass Ruhe die erste Bürgerpflicht ist! Und das gilt in allererster Linie für sogenannte Leichen. – Gestehen Sie die von Ihnen begangenen Delikte ein? Oder wollen Sie, dass ich die Zeugen vernehme?«

      Da platzte ich los: »Das ist mir alles ganz egal, lassen Sie mich in Ruhe! Ich bin eine Leiche, und Sie sind ein Idiot, und alle Ihre Zeugen sind auch Idioten!«

      Der Vorsitzende schnappte nach Luft, aber ehe er noch ein Wort sagen konnte, erhob sich der Staatsanwalt: »Ich stelle den Antrag, den Beschuldigten zur Beobachtung seines Geisteszustandes auf sechs Wochen der Landesirrenanstalt zu überweisen!«

      Da trat schnell der Medizinalrat, der Direktor dieses Instituts, vor und erklärte: »Die Landesirrenanstalt muss unter diesen Umständen die Internierung des Angeklagten ablehnen, ich kann durchaus keine Garantie dafür übernehmen, dass er sich sechs Wochen lang hält!«

      Es trat eine kleine Pause ein; dann fragte einer der Schöffen: »Ja – aber was fangen wir dann mit ihm an?«

      »Wir werden ihm eine Geldstrafe aufbrummen!«, sagte der Amtsrichter.

      »Das wird Ihnen nichts nützen«, motzte ich, »ich bin tot und habe jetzt ebenso wenig Geld wie im Leben. Meine letzte Barschaft habe ich für ein menschenwürdiges Begräbnis ausgegeben!« Der Chef der Roten Radler machte eine Verbeugung in meine Richtung.

      »Dann muss man ihn – im Nichtbeitreibungsfalle – eben einlochen!«, warf der Staatsanwalt ein.

      »Aber die Gefängnisverwaltung wird ebenso wenig Leichen annehmen wie die Landesirrenanstalt!«, wandte der Vorsitzende ein.

      Schon glaubte ich, triumphiert zu haben, als sich plötzlich der Pastor vorschob.

      »Erlauben Sie mir, einen bescheidenen Vorschlag zu machen, meine Herren!«, sagte er. »Ich glaube, es wird das Beste sein, wenn wir die Leiche des Herrn Angeklagten christlich bestatten.«

      »Ich will nicht christlich bestattet werden!«, schrie ich wild.

      Aber der Pastor achtete gar nicht auf mich.

      »Also christlich – und gut bürgerlich bestatten!«, fuhr er fort. »Ich glaube, das wird einerseits die Milde und Würde des Gerichts bei allen anständig denkenden Menschen in das rechte Licht setzen, andererseits aber auch bei dem bedauernswert verwirrten Geiste des Herrn Angeklagten wie eine Strafe wirken. Dazu übernehme ich die Garantie, dass eine auf diese Weise beerdigte Leiche sich in Zukunft durchaus ruhig und still verhalten und somit den hohen Behörden weiterhin zu einem notwendigen Eingreifen keinerlei Veranlassung mehr geben wird.«

      »Sehr gut! Sehr gut!«, nickte der Herr Vorsitzende. Und der Staatsanwalt nickte und die beiden Schöffen nickten – alle nickten.

      Ich schrie, tobte, ich wandte mich in


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