The Crow Chronicles. Kira Beauchamp
traktierte, nachdem bereits mein Schwert dieselbe Behandlung erfahren hatte, fragte ich mich, wann wir wohl wieder weiter ziehen würden.
Man könnte von einem Gargoyle erwarten, dass er sein Leben lang am selben Ort verbringt. Schließlich hatte mein Volk früher als Wächter von Schlössern und Herrenhäusern gedient. Doch diese Zeiten liegen lange zurück und wir waren seit über zwei Jahrzehnten auf der Flucht, während die früheren Gebäude, die unter Gargoyle-Schutz gestanden hatten, längst verfielen. Schade darum, denn ich hatte mich schon seit frühester Kindheit für Architektur interessiert und manchmal davon geträumt, selbst in den Dienst eines altehrwürdigen Hauses oder einer tollen Burg zu treten.
Doch kaum dass ich alt genug gewesen war, mich solchen Gedanken zu stellen, war der Krieg über uns gekommen und jegliche Chance auf Heilung für unser Land, und auf eine normale Karriere für meine Geschwister und mich, unwiederbringlich dahin.
Nicht jedem fällt es leicht, sich in die neuen Gegebenheiten einzufügen, aber jeder bewunderte mich dafür, wie gelassen ich damit umzugehen wusste. Das Einzige war ich gut konnte, war mich hinter einer Maske zu verstecken. Okay, dies und kämpfen.
“Niemand geht besser mit Schwert und Messer um als unsere Jewel”, pflegte die alte Deedra zu sagen. Deedra war eine der älteren Gargoyles, die früher tatsächlich im Dienste eines Gebäudes hatten stehen dürfen und sie wusste eine Menge spannender Geschichten aus dieser Zeit zu erzählen. Daneben besaß sie aber ein scharfes Auge, dem nichts und niemand entging und das manche meiner Brüder und Schwestern zu fürchten gelernt hatten. Ich hingegen sah in Deedra mehr eine Mutter denn eine ältere Schwester und hatte als eine der wenigen stets die Zeit für ihre Geschichten gefunden.
“Träumst du mal wieder von fernen Ländern, Jewel?”, Ich schreckte aus meinen Gedanken auf. Irgendetwas hatte mich an der Schulter berührt, Sofort war ich hellwach und sprang auf die Füße, Schleifstein und Messer in den Händen, um mich allenfalls verteidigen zu können.
Vor mir stand Neas, der Anführer unserer kleinen Gruppe. Er war zwar nicht viel älter als ich, aber er war bereits als Krieger erzogen worden und deswegen verfügte er über die meiste Erfahrung von uns allen. Ich war diejenige die er meist zu Rate zog, auch wenn ich eigentlich nur das Kämpfen richtig gut beherrschte. Alles andere, und die Frage wie wir diesem ewigen Krieg ein Ende setzen konnten, waren mir ein Rätsel.
“Neas!”, rief ich wütend aus.
“Du hast mich erschreckt, du Volltrottel”, Für gewöhnlich war der Ton in unserem kleinen Reisegrüppchen rau und sarkastisch, die meisten hatten ihren wahren Humor ebenso wie die Lebensfreude längst hinter sich gelassen.
“Hey, ich kann doch nichts dafür wenn du mal wieder irgendwo anders bist. In der Vergangenheit?”, neckte er und runzelte die Stirn. Neas war nicht unbedingt der Geduldigste und ich war mir durchaus bewusst, dass ich mehr als oft seine Nerven strapazierte.
Ich nickte kleinlaut.
“Ich frage mich, wann dies alles ein Ende haben wird”, Ich machte eine vage Handbewegung, die alles rund um uns herum einschloss. Neas hob eine Augenbraue und blickte zum Schuppen hinüber. Die anderen saßen drinnen und der Rauch, der munter aus dem Kamin tänzelte, verriet, dass bald Zeit zum Abendessen sein würde.
“Ich würde gerne sagen, dass der Frieden nahe ist, aber alles was nahe ist, ist das tatsächliche Ende. Unseres Volkes, unserer Welt wie wir sie kennen und vielleicht von all dem hier. Wahrscheinlich werden unsere Kinder nichts von dem, was wir lieben und verteidigen, noch haben.”
Neas hatte einen Hang dazu, pathetisch zu werden und ich war dann das Biest, das ihn auf den Boden zurückholte.
“Zum Glück haben wir keine Kinder”, bemerkte ich trocken und starrte auf meine Fußspitzen.
“Du weißt genau, was ich meine, Jewel”, Seine Stimme klang scharf, anscheinend war ihm meine Bemerkung in den falschen Hals geraten und ich hob entschuldigend die Hände.
“Ist okay”, murmelte ich trotzig und kickte einen Stein davon.
Leider gehörte Neas nicht zu den Menschen, die sich von meiner abweisenden Miene abschrecken ließen. Zu schade. Ich bereute nicht zum ersten Mal in seiner Anwesenheit, mich nicht in Stein verwandelt zu haben. Wir hatten ausgemacht, dies in der Gruppe ohne vorherige Absprache zu unterlassen, aber momentan wäre es mir lieber gewesen, in Ruhe über das Geschehene nachdenken zu können.
“Wie lange bleiben wir diesmal?” Ich versuchte gelangweilt zu klingen, aber in Wahrheit brannte mir diese Frage schon lang auf der Zunge.
Neas zuckte mit den Schultern - eine Reaktion, die mich zur Weißglut treiben konnte. Mühevoll versuchte ich, die steinerne Fassade aufrecht zu erhalten und die unbewegte Miene nicht zu verziehen. Doch Neas kannte mich zu lange, um zu übersehen wie sehr es in meinem Inneren brodelte.
“Nicht lange genug, um damit anzufangen uns heimisch zu fühlen und hoffentlich nicht lange genug um von unseren Häschern entdeckt zu werden. Bisher ist alles so gut gelaufen und es wäre schade, wenn sich das ändert”, erklärte er und sein Gesichtsausdruck strahlte tatsächlich Optimismus aus.
“Furchtbar gut gelaufen, mhm”, machte ich düster. Er schnalzte missbilligend mit der Zunge, doch ich hatte nichts weiter zu sagen und schwieg, während ich bockig die Arme vor der Brust verschränkte.
Seit Monaten schon waren wir auf der Jagd, mal auf Seiten der Häscher, aktuell auf der der Gejagten. Obwohl ich die meiste Zeit unterwegs an der frischen Luft verbrachte, war das Gefühl, eingesperrt zu sein im Laufe der Zeit immer stärker geworden. Inzwischen gab es Tage, an denen mir die Fesseln meines Schicksals die Luft abzudrücken schienen.
EDEN
“Und warum bitteschön immer nur rot? Warum müssen wir alle rote Stoffe für unsere Festgewänder verwenden, wenn mir doch weiß viel besser steht und außerdem zu meinem Gefieder viel besser passt?” Ich stampfte nervös mit dem Fuß auf und keuchte gleichzeitig. Die Schuhe, die ich gerade anprobierte, hatten drei dünne Absätze, deren Durchmesser nicht dicker war als ein Federkiel.
“Es ist so vorgeschrieben, Mistress Eden”, erklärte die Schneiderin unterwürfig, aber ich hatte kein Interesse, mich besänftigen zu lassen.
“Vorschriften über Vorschriften. Denken Sie nicht, dass mir das gleichgültig ist?”, giftete ich hochnäsig und wandte ihr demonstrativ den Rücken zu. Sie nahm schweigend weiterhin meine Maße, während ich aus dem Fenster starrte und dem Schnee zuschaute. Langsam legten sich die weißen Flocken wie ein Mantel über das schwarze Land. Den Rest des Termins brachten wir schweigend hinter uns. Mir tat die Frau leid, die, seit ich denken konnte, von meiner Familie mit allen Schneiderarbeiten betraut wurde. Ich wusste selber, dass ich mich daneben benommen hatte und sie schließlich ebenso wenig für die vorgeschriebenen Kleiderfarben verantwortlich war wie ich. Ich war zu stolz, um eine Entschuldigung vorzubringen. Zurück blieben ein Haufen roter Stoffe und einige Skizzen von mir, auf denen die Schneiderin Maße notiert hatte. Eine Assistentin würde kommen, alles aufräumen und in das Schneideratelier in der Stadt bringen. Ich ließ ein letztes Mal meine Finger über die seidigen Stoffe gleiten. Die fühlten sich zwar unglaublich gut an und konnten schließlich nichts für die Vorschriften des Kartells. Dennoch - ich sah rot, rot und noch mehr rot. Frustriert kehrte ich in mein Schlafgemach zurück. Ein Blick in die Runde verriet sofort, dass ich hier keine Ablenkung von meinem Frust finden würde.
“Ist dein Kleid für den Tag der Ernennung bereits fertig?” Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Gray hinter mir hereingekommen war. Ich verdrehte die Augen. Wieso bloß musste mich mein kleiner Bruder überall hin verfolgen?
“Nein, natürlich nicht!”, keifte ich genervt.
“Wird es wenigstens schön?”, bohrte er ungerührt nach und besaß die Frechheit, ständig zu lächeln.
“Es wird rot”, zischte ich. Noch ein Wort und ich würde ihn hochkant aus dem Raum befördern. Ich hatte ernsthaft wichtigere Probleme, als dieses unglückselige