Der Springer. Helmut H. Schulz

Der Springer - Helmut H. Schulz


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paar Augenblicke später bezog sich der Himmel tatsächlich, es begann leicht zu tropfen, klapperte auf das Wagendach. Der eintönige Klang schläferte ein. Kasch brühte Kaffee. Das war mühsam, die kleine Herdstelle brachte nur wenig Wasser zum Sieden, aber geduldig brühte Kasch Kaffee, trank, bot Gnievotta an und füllte etliche Thermosflaschen für die anderen.

      Warum Laski so lange wegbleibe, fragte Gnievotta, was da wieder los sei.

      «Wird schon kommen», sagte Kosch.

      Kaschs Ruhe, sagte Gnievotta, die möchte er haben.

      Bei schwachem Nieselregen und zunehmender Dunkelheit fuhr er raus. Nur an wenigen Stellen versanken die Räder noch bis zur Hälfte. Im Scheinwerferlicht des Wagens suchte sich Gnievotta einen trockenen Weg zum Turm. Langsam umrundete er den Turm. Durchnässte Zementsäcke sah er, aber Turm und Maschinenhaus hatten den Sturm heil überstanden. Es hätte schlimmer ausgehen können, fand Gnievotta.

      Im Lager brannten Glühlampen, als er zurückkam. Die Mannschaft saß im Geschäftswagen, trank Kaschs Kaffee, aß zu Abend. Ihre Stimmen dröhnten in dem engen Raum.

      «In einer Stunde muss raus, was Beine hat.»

      Gnievotta erwartete keinen Widerspruch, und niemand sagte etwas Ablehnendes oder Zustimmendes. Es war hartes Personal, hart im Nehmen. Gnievotta wünschte sich kein anderes. Er glich ihnen, oder sie glichen ihm. Manchmal schlug einer über die Stränge, trank zu viel und suchte Streit. Gut entsann sich Gnievotta der ersten schweren Zeit auf abgelegenen Bohrplätzen. Damals gab es noch keine behaglichen und zweckmäßigen Wohnwagen. Die Leute mussten einzeln in dörflichen Quartieren untergebracht werden. Beförderungsmittel war in der Hauptsache das Rad, häufig genug musste es auf dem Buckel durch den Dreck geschleppt werden, es fehlte auch an geeigneter Schurzkleidung, alles war in den Anfängen. Bohrten sie Salzschichten an, dann sogen sich die Jacken häufig mit Lake voll; die Kleidung wurde getrocknet und wieder angezogen. Bei feuchtem Wetter nahmen die Salzkristalle sofort Wasser auf. Nässe ging bis auf die Haut. Pionierzeit. Alle zusammen lebten sie vom Zufall, von dem Augenblick, wo eine Bohrung fündig werden würde, von dem Augenblick also, wo Erdöl aus dem Bohrloch trat, nicht gerade mit elementarer Gewalt, sondern kontrolliert; kein Springer jedenfalls, bei dem ein Gas-Öl-Gemisch hoch aufschoss, sich entzündete, brannte und schwer zu bändigen war.

      Kosch berichtete der Bohrmannschaft gerade von einem Bergmann, der an zahlreichen Krankheiten gelitten habe. Sein nahes Ende vor Augen, habe er die Geschichte seiner Leiden erzählt. Schließlich, nach Jahren uralt, sei er wirklich gestorben. In seiner Tasche habe sich ein Zettel gefunden. Darauf soll gestanden haben: Nun seht ihr es, wie krank ich gewesen bin.

      «Dann wollen wir mal», sagte Laski, «die Gesunden und die Kranken.»

      Gnievotta blieb allein zurück. Später, in der Nacht, kam ein Anruf durch, Nowacki. Die Telefonverbindungen funktionierten wieder. Auch andere Leute waren also unterwegs, um Schäden zu beheben, die Postleute, denen so wenig Gutes nachgesagt wird. Gnievotta redete lange mit Nowacki. Dann bemerkte der Schwager, im Oktober würden sie verlegt werden.

      Ob er das gestern noch nicht gewusst habe, fragte Gnievotta.

      Offiziell wisse er auch heute noch nichts, sagte Nowacki und fragte, ob ihm Katja nichts angedeutet habe.

      Wieso Katja? fragte Gnievotta, Was habe sie damit zu tun?

      Sie wisse es sicher von Ani, sagte Nowacki, oder er würde ihre Frauen schlecht kennen.

      Das war typisch für Nowacki.

      Dann kamen die Trupps herein; den Rest würden sie bei Tage erledigen.

      Es regnete. Landregen. Warme große Tropfen durchschlugen den Hemdstoff, sammelten sich zu kleinen Bächen, die angenehm die sonnenverbrannten Schultern kühlten. Zu dritt gingen sie durch das Lager. Die Lichtkegel der Lampen an den Masten leuchteten wie weit geöffnete Augen, in ihrem Schein zitterte das Regengespinst. Leise klirrte das Glas eines schlecht verriegelten Fensters.

      Er habe es vorhergesagt, meinte Laski, und er täusche sich selten, sehr selten.

      Dunkelheit umfing die drei Männer. Gnievotta hielt das Gesicht in den Regen. Nach diesen Hundstagen erfrischte das linde Wasser, anscheinend ging mit dem Unwetter die Hitzeperiode zu Ende. Überhaupt war es ein merkwürdiger Sommer gewesen. Unbeweglich standen die drei im Regen wie Scherenschnittfiguren. Schwarz hoben sie sich gegen den Lampenschein ab.

      «No», sagte Kosch, «hauen wir uns auch hin.» No bedeutete so viel wie gut, in Ordnung.

      Ein ausgedehntes Regengebiet wusch den Staub von den Straßen der Städte.

      Dies war die Zeit, in der Gnievotta seine Züge noch ungenau berechnete. Er hat den Tag noch nicht erlebt, wo er aufstehen will, wie jeden Morgen, gegen fünf, um das Gas anzuzünden, Wasser für seinen bitteren Kaffee aufzustellen, sich zu rasieren. Er steht nicht auf, er bleibt einen Augenblick länger liegen als gewöhnlich, er ist nicht voll da wie sonst, merkt er. Die Mitte seines Lebens ist überschritten, wird ihm bewusst. Er hat sich erprobt. Kein Gedicht könnte er mehr schreiben, kein Lied mehr singen; keine Frau umarmen, ohne sich zu wiederholen. Gnievotta hat natürlich nie ein Gedicht geschrieben. Frauen hat er dagegen reichlich umarmt, auch Lieder hat er gesungen, bis die anderen gegen seinen Gesang protestierten.

      Diesen Gnievotta gibt es noch nicht.

      Er steht auf einer Straße, in Sandalen, Hose, Hemd und Weste, ein Netz trägt er über der Schulter. Ohne Eile geht er pfeifend die Straße entlang, das Lockern und Straffen seiner Muskeln genießend. Sein Haar ist vor der Zeit ergraut, aber das macht nichts. Dunkelhaarige ergrauen schneller als Blonde. In einem Gartenlokal sitzt Gnievotta. Das Netz hat er über die Lehne eines Stuhles gehängt. Die Frau neben ihm ist jung. Er wird aufstehen und diese Frau nach Hause begleiten, in ihren Armen wird er liegen und zufrieden sein. Ohne Bedauern wird er sich von dieser Frau wieder trennen.

      An einem anderen Tag geht Gnievotta in die Stadtbibliothek. Er hat an diesem Tag Sorgen, er redet sich ein, Sorgen zu haben. Deshalb tritt er ernst und sachlich auf, verlangt bestimmte Bücher, wird an Karteikästen verwiesen, sucht lange, weil er das System nicht durchschaut, findet endlich, was er sucht. Bestellscheine füllt er aus und reicht sie der Bibliothekarin. Die sagt, für diese oder jene Schrift bedürfe es einer Sondergenehmigung, es sei denn, Herr Gnievotta bediene sich der Bücher im Lesesaal des Hauses, unter Aufsicht. Dazu hat Gnievotta keine Lust und auch keine Zeit. Sie nennt die Dienststelle, die Sondergenehmigungen erteilt. Gnievotta erklärt, er brauche die Bücher, er sei Bergbauingenieur, könne sich sogar ausweisen. Es ist ein nettes Mädchen, sieht er, das bei den Männern einen bestimmten geistigen Typ bevorzugt. Sie wolle sehen, sagt die Bibliothekarin und holt den Leiter der Bücherei. Der will sich mit Gnievotta mal unterhalten. Lange betrachtet er den Betriebsausweis Gnievottas und kann eine Ausnahme machen, wenn Herr Gnievotta die Sondergenehmigung nachreicht. Gnievotta erhält also die Bücher. Eine Bescheinigung wird er nicht bringen, die Bibliothek wird er nur noch einmal betreten, um die Bücher zurückzubringen, nach zwei, drei Mahnungen. Die Bücher nutzten ihm auch nichts, sie lagen zu Hause herum, bis Katja fragte: «Was wird denn mit den Schwarten?»,

      In einer Dorfkneipe. Gnievotta muss einen Streit schlichten, muss seinen Leuten sagen, haltet Ruhe hier, sonst schick ich euch nach Hause. Eindeutig gehört seine Sympathie seiner Mannschaft, die Dorfbengels haben sie herausgefordert. Wenn ihre Mädchen keiner anfassen darf, dann sollen sie die Ischen gefälligst zu Hause lassen. So einfach.

      Gnievotta bei einer Demonstration. Am Rande des Marktes der Kleinstadt sind Buden aufgestellt, dort hat sich Gnievotta schon ein paar Biere genehmigt und Laski und Kasch dabei verloren. Während der Rede müssen die Budiken schließen. Das ist so, weil sonst der Marktplatz zur Hälfte voller Besoffener sein würde. Gnievotta schiebt sich zur Tribüne durch. Vielleicht treiben sich Laski und Kosch da vorn herum. Gnievotta fasst die Arme und Hüften der Frauen an, es sieht zufällig aus, absichtslos. Gnievotta hat einen besonderen Griff, und das fällt in dem Gedränge kaum auf. Er tut es eben und quittiert die empörten oder Einverständnis ausdrückenden Reden der Frauen mit einem Augenzwinkern.

      Das alles wird so lange gehen, bis dieser Morgen kommt, wo Gnievotta eine große Müdigkeit


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