Der Jakobsweg am Meer. Michael Sohmen

Der Jakobsweg am Meer - Michael Sohmen


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der Anblick ihres furchtbaren Sonnenbrands.

      Wenig später erreichen wir das Tourismusbüro, vor dem sich eine Schlange von Pilgern gebildet hat, um sich für die Herberge anzumelden. Ich stelle mich mit Gabriel in die Reihe und bin erleichtert, als ich an die Reihe komme und nebst Stempel für meinen Pilgerausweis sogar eine Bettnummer und einen Schlüssel ausgehändigt bekomme. Nach mir ist der Belgier an der Reihe. Die Dame am Schalter schüttelt den Kopf.

      »Das war der letzte Platz in der Unterkunft«, entschuldigt sie sich. »Es tut mir leid.«

      »Ich hätte eine Isomatte dabei. Könnte ich mich nicht einfach auf den Boden legen?« Entgeistert starrt Gabriel sie an.

      »Nein, in der Herberge ist dies nicht erlaubt.«

      Als wir das Büro verlassen, ist mir klar, dass ich nur zufällig vor ihm in der Schlange stand. Er war vor mir in der Pilgergruppe und soll jetzt leer ausgehen? Mein schlechtes Gewissen meldet sich und ich biete ihm an, ihm mein Bett zu überlassen.

      »Vielen Dank, nein.« Er lehnt ab. »Das geht schon irgendwie. Ich rolle einfach meine Isomatte zwischen den Betten aus.«

      Die Spanier hatten in der Zwischenzeit vor dem Eingang gewartet und dabei die Adresse eines Arztes herausgefunden.

      »Wir gehen mit Jennifer zum Doktor. Danach entscheiden wir, wie es weitergeht.«

      Die Arztpraxis ist nicht weit entfernt. Bis zum Termin müssen wir jedoch eine halbe Stunde warten. Jennifer hatte ihre Schuhe ausgezogen und nun ist zu sehen, dass ihr rechter Fuß auf die doppelte Größe angeschwollen ist. Als sie aufgerufen wird, schließt sich auch Marina an, da ihr Sonnenbrand jetzt Wirkung zeigt und sie sich Schmerzmittel verschreiben lassen will. Als die zwei zurückkommen, schütteln sie traurig den Kopf. Es bedeutet nichts Gutes.

      »Nach der Diagnose des Arztes wird Jennifer zwei Wochen lang nicht laufen können«, erklärt Mario, der Spanier, als wir zurück zum Stadtzentrum laufen. »Wir haben beschlossen, die Tour abzubrechen und nach Madrid zurückzufahren.«

      »Bleibt ihr noch eine Nacht?«, frage ich, da wir noch als Gruppe unterwegs sind.

      »Nein. Die Herberge liegt auf dem Weg, direkt beim Bahnhof.«

      Als wir ankommen, finde ich des Rätsels Lösung: Die Pilgerherberge ist das ehemalige Bahnhofsgebäude und befindet sich zwischen den Gleisen.

      Mit dem Belgier gehe ich zur Unterkunft und schließe die Eingangstür auf. Innen befindet sich ein Empfangstisch. Gabriel gelingt es, sich an der Kontrolle vorbei zu schummeln. Abends bin ich erleichtert, dass sich keiner beschwert, als er die Isomatte zwischen den Stockbetten ausbreitet, mit der die Bewegungsfreiheit im Raum stark beeinträchtigt wird.

      Betrug

      5. August, Deba → Markina-Xemein / Bolibar

      Morgens sitze ich mit Gabriel im Café und wir schweigen uns an. Ich bin noch nicht richtig wach und spüre Muskelkater. Bisher gab es nur Bekanntschaften, die sich nach kurzer Zeit wieder verloren haben und nicht einmal der Blick durch die Panoramafensterscheibe versetzt mich in Pilgerstimmung. Nieselregen fällt, es ist grau und trüb. Der Wind, der zur Tür hereinweht, macht mir klar, dass es stark abgekühlt hat. Am Tresen sitzen einige Ortsbewohner und trinken ihr morgendliches Glas Rotwein. Oder zwei. Es scheint hier ein typisches Morgenritual zu sein.

      Irgendwann überwinden wir unsere Trägheit und begeben uns auf dem Weg. Dieser entfernt sich vom Meer und wir wandern durch eine alpine Landschaft.

      »Dies sind eigentlich Kampfstiefel für den Einsatz in der Wüste«, bricht der Belgier sein Schweigen und zeigt auf seine sandfarbenen Schuhe. »Sie sind extra hochgeschlossen, damit der Sand nicht hereinrieselt. Solches Schuhwerk tragen die Marine-Soldaten im Irak auch. Ich habe gleich zwei Paar gekauft.«

      »Ich habe schlechte Erfahrungen mit Stiefeln. Meine sind beim Wandern auseinandergefallen. Seitdem setze ich auf Turnschuhe«, erwidere ich in Erinnerung an meine Bergstiefel, die ich kaum benutzt hatte und deren Sohle sich unterwegs gelöst hatte. Sie waren mit einem Kunststoff zusammengeklebt, der nach wenigen Jahren zerfiel. Auch ein zweites Paar Stiefel hat sich in der gleichen Weise verabschiedet. Teure Markenstiefel waren es. Gabriel lässt sich jedoch nicht beirren und erzählt weiter.

      »Ich habe vor kurzem meinen Wehrdienst in Belgien abgeleistet. Als Soldat konnte man die Stiefel für 50 Euro kaufen. Normalerweise kosten sie ein Vielfaches.«

      Inzwischen wird die Gegend bestimmt durch Wald, Wiesen und endloses Gebirge. Eine Herde Rinder, die an einem steilen Hang weiden, ziehen mich magisch an. Sie sind außergewöhnlich. Eines trägt besonders auffällige Hörner. Während das linke nach unten gebogen ist, weist das rechte Horn in die Höhe. Ungemein spannend. Als ich das Naturwunder betrachte und mein belgischer Kollege weitermarschiert, höre ich ein schrilles Pfeifen. Verärgert blicke ich mich um, wer diese Naturidylle stört. Ein Bartträger mit Strohhut. Schon auf den ersten Blick wirkt er unsympathisch. Ich entscheide mich, ihn zu ignorieren und betrachte die Kuh.

      »Sieht komisch aus«, höre ich den Friedensstörer ausrufen, der nach einem kurzen Stopp seinen Weg wieder fortsetzt.

      Es ist Mittagszeit, als sich mitten in der Einsamkeit eine grüne Ebene öffnet. In der Ferne blitzt ein größeres Haus auf, wir halten darauf zu. Mit Freude treten wir ein, denn dieses Gebäude beherbergt ein Café. Auf einer Terrasse haben sich Pilger bei Kaffee und spanischen Tortillas niedergelassen, diesen Leckerbissen will ich mir jetzt auch gönnen.

      Gabriel ist der Gesprächigere von uns. Als ich mein Mittagsmahl auf die Terrasse trage, plaudert er schon mit zwei Rucksackträgerinnen. Zwei Französinnen. Als Belgier ist er sprachlich im Vorteil, während ich danebensitze und zuhöre.

      Nach der entspannten Pause von fast einer Stunde habe ich meinen zweiten Kaffee und die dritte Tortilla beendet und wir setzen unseren Weg jetzt zu viert fort. Obwohl Gabriel in seiner Muttersprache kommunizieren kann, besitze ich einen anderen Vorteil. Die Französinnen sind etwa in meinem Alter, während er mit zwanzig Jahren halb so alt ist wie ich und die beiden Pilgerinnen. Hin und wieder kann ich auch ein paar Worte mit ihnen wechseln. Sie tragen die schönen Namen Juli und Ann-Claire.

      Am frühen Nachmittag erreichen wir die Stadt mit dem unaussprechlichen Namen Markina-Xemein. Nicht nur ihr Name ist baskisch. Wer in dieser Region noch nie gewandert ist, dem sagt ›typisch baskisch‹ sicher wenig. Herausgeputzte kleinbürgerliche Häuser, saubere Parks und schmucke Vorgärten scheinen hohe Priorität zu haben. Alles wirkt sehr gepflegt und wird nicht von moderner Stahl- und Glasarchitektur gestört. Von Übungen moderner Architekten ist das Ortsbild vollkommen verschont geblieben und der Protz nur innerhalb der Kirchen erlaubt. Allerorts sind Transparente aufgehängt, die für die Unabhängigkeit werben, als Union aus baskischen Gebieten in Spanien und Frankreich.

      Wenn die Einwohner dieser augenscheinlich wohlhabenden Region davon überzeugt sind, dass sie wesentlich anders wären als der Rest der Spanier, warum sollten sie nicht einen eigenen Staat bekommen und unabhängig leben? Unter der Franco-Diktatur haben die Basken am meisten gelitten und dabei wurde versucht, ihre Kultur und Sprache vollkommen auszulöschen. Wenn man sich in einer Volksabstimmung mehrheitlich für eine vollkommene Autonomie entscheiden sollte, warum sollte man ihnen die nicht gewähren?

      In dieser altehrwürdigen Stadt begeben wir uns sogleich auf die Suche nach einer Herberge. Laut Plan gibt es einige. Die erste am Weg ist ein ehemaliges Kloster und hat die größte Zahl an Betten. In der Halle werden wir von einer langen Schlange Pilgern gestoppt und sehen uns im Kreuzgang um, wo unzählige Rucksäcke herumstehen und einige Dutzend Leute warten. Nach einer Viertelstunde trottet ein Mann in schwarzer Kutte an uns vorbei und verkündet eine unheilvolle Botschaft.

      »Wir sind komplett! Alle Plätze sind vergeben!«

      Enttäuschung in allen Gesichtern. Schnell löst sich die Schlange auf, Rucksäcke werden geschultert und alle eilen davon, als hätte es soeben eine Bombendrohung gegeben. Die zwei Französinnen greifen die Gelegenheit am Schopf, gehen ins Empfangszimmer und diskutieren mit dem Mönch. Dieser schüttelt beharrlich mit dem Kopf. Der Belgier und ich warten, bis die beiden zurückkehren


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