Die Faulheit der Frauen. Renate Wullstein
Angestellte hinter dem Schalter sah mich streng und ansatzweise sogar beleidigt an. Sie nahm die Bankkarte, tippte etwas in den Computer und verkündete: ”Sie haben bei uns kein Konto.”
Ich reichte ihr das Schreiben vom Finanzamt.
”Sie wissen doch ganz genau, dass ich hier ein Konto habe.”
Die Frau schüttelte unwillig den Kopf und schob das Schreiben zurück.
”Ihr Konto ist aufgelöst, die Bankkarte behalte ich ein.”
”Ja, ich weiß”, sagte ich. ”Mein Konto ist gepfändet worden, aber in diesem Schreiben steht, dass die Pfändung ein Irrtum war.”
Die Bankfrau schloss kurz die Augen. ”Ich muss Ihnen keine Auskunft geben”, sagte sie.
Ich wurde wütend, wusste aber nicht, wie ich es ausdrücken sollte. Vielleicht Schreien?
”Ich soll Ihnen dieses Schreiben geben”, sagte ich mit äußerst gepresster Stimme.
”Das Schreiben ist nur für Sie”, beharrte die Schalterfrau, deren Fettleibigkeit mir jetzt ins Auge stach.
”Es ist für die Bank”, sagte ich. “Für mich habe ich eins extra.”
Widerwillig nahm die Bankfrau das Blatt an sich, legte es aber zur Seite, ohne einen Blick drauf zu werfen. Ich bekam einen Kloß im Hals. Gleich würde ich weinen. Wenn ich nur die geringsten Schwierigkeiten an Schaltern oder bei Behörden hatte, drohten Tränen.
”Volksbank!” sagte ich grimmig, jedoch mit versagender Stimme. Ich kehrte um und verließ das Gebäude.
Es war zehn Uhr. Ich ging in den Laden, schloss von innen ab und holte aus Lorettas Werkstatt Kaffeewasser. Loretta erschrak.
”Was machst du denn hier?“
Gewöhnlich öffnete ich den Laden erst am Nachmittag.
”Ich habe einen Schock”, sagte ich.
”Was ist passiert?”
„Es ist aus, ich bin am Ende.“
Loretta starrte mich an. Diese Situation gedachte ich auszukosten.
”Ich mache Kaffee”, sagte ich. ”Dann komme ich zu dir, es gibt schlechte Nachrichten.“
Loretta legte das Werkzeug aus der Hand. Auf den Tischen und in den Regalen lagen buntes Glas, Werkzeug und Mal-Utensilien. Eine Staffelei. Im Lager stapelten sich neben fertigen Arbeiten bunte riesige Scheiben, die sie zerschnitt und zerbrach. Loretta war ihrem Wesen nach dem Glas ähnlich, bunt schillernd und spröde. Sie trug einen schmutzigen Arbeitsanzug, dazu knallrot geschminkte Lippen. Sonst nichts, kein Make-up, keine Wimperntusche, nur die Lippen. Sie bemalte das Glas gern mit scharfkantigen Figuren. Spitze Dreiecke waren weibliche Brüste. Verdrehte oder abgeknickte Körper, fuchtelnde Gliedmaßen aus der Welt der Geometrie. Böse Augenstriche. Aber alles schön bunt. Die Kunst stapelte sich in ihrem Haus seit der Wende, und Loretta verkündete immer wieder tapfer: „Arbeiten kann nicht verkehrt sein.“
Ein Leitspruch, dem nichts hinzuzufügen war. Loretta hatte ein Haus, einen Mann und zwei Kinder. Keine Ahnung warum, aber ein solches Dasein erschien mir langweilig, stupide und für meine Person vollkommen unangemessen.
Mit starrem Blick hörte Loretta nun die Nachricht vom Vollstrecker.
Ich berichtete ausführlich und sagte schließlich:
”Die Strafe muss ich wahrscheinlich gar nicht zahlen, aber der Laden ist vollkommen unrentabel, so geht es nicht weiter.“
Loretta grübelte ein paar Minuten wortlos vor sich hin.
„Kannst du dir nicht was einfallen lassen, womit man besseren Umsatz macht?“ sagte sie.
Ich versprach es. Im Lager suchte ich eine Pappe heraus und beschriftete sie mit dem schönen Wort: INVENTUR, stellte es ins Schaufenster und beschloss, was ich noch nie getan hatte, Toni in seinem Büro aufzusuchen. Ich verließ den Laden, überquerte die Hauptstraße in Richtung Tischlerei. Toni und seine Mitarbeiter bauten Fenster, Türen und Treppen. Nebenbei sanierten sie das barocke Vorderhaus, das einer von ihnen gekauft hatte. Sein Büro im Seitenflügel diente ihm gleichzeitig als Übergangswohnung. Denn später würde er eine selbst entworfene Wohnung im Vorderhaus beziehen.
Sieben oder acht Leute standen im Hof und blickten nach oben. Unter ihnen eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Wahrscheinlich war sie die neue Architektin, von der Toni einmal gesprochen hatte. In einem Ton, der mir gleich verdächtig vorgekommen war. Ich ging an der Gruppe vorbei und nickte mit dem Kopf. Alle grüßten zurück, außer Toni.
Ich setzte mich auf einen Stapel Kanthölzer in die Sonne und betrachtete die Architektin. Ein paar Minuten würde Toni Zeit haben. Ich wollte warten. Wahrscheinlich war heute Donnerstag und der wöchentliche Rapport zur Instandsetzung des Vorderhauses wurde abgehalten. Am Abend danach regte sich Toni jedes Mal sehr auf. Gleich nach der Wende hatte er angefangen Architektur zu studieren und wieder aufgehört. Ich beobachtete, wie er mit wichtiger Miene an den Lippen der Architektin hing. Die junge Frau sah keineswegs so aus, wie er seine Traumfrau beschrieben hatte. Sie trug eine seltsam altmodische Bluse, Jeans, eine Frisur fast wie Dauerwelle und hatte eine Hakennase. Ich wartete, baumelte mit den Beinen und wurde allmählich unruhig. Ich schlug die Beine übereinander und betrachtete meine Knie. Vom Alter her passt die Architektin zu Toni, dachte ich, aber sonst wohl kaum. Er rührte sich nicht von der Stelle. Ich sah zum wiederholten Mal auf die Armbanduhr, die er mir vor kurzem zum Geburtstag geschenkt hatte.
Damit du unabhängig bist, hatte er gesagt. Meine Geduld war am Ende. Ich machte mich bereits lächerlich, wie ich da saß und wartete. Endlich sprang ich vom Holzstapel und verließ grußlos und aufrecht den Hof.
Auf dem Weg ins Holländerviertel verfertigte ich einen druckreifen Monolog gegen meinen jungen Freund. Ich schloss den Laden auf und besorgte erneut Kaffeewasser. Ich schaltete das Radio ein, setzte mich an den Schreibtisch und fühlte mich taub. Ich blätterte in einer Illustrierten. Ich war zornig und zum Äußersten entschlossen. Das Äußerste bedeutete: Trennung. Unwiderruflich. Schluss. Aus.
Die Tür ging auf, und Toni stiebte herein. ”Was war das?” fragte er scharf.
”Was war was?” sagte ich, um Zeit zu gewinnen.
”Dein Auftritt während unserer Versammlung?”
”Das war eine Versammlung?”
Toni nahm eine Tasse und goss sich selbst Kaffee ein.
”Das war eine Versammlung, und das weißt du ganz genau.”
”Alle haben mich gegrüßt, nur du nicht”, sagte ich. ”Hattest du nicht mal fünf Sekunden Zeit, mich zu fragen, was los ist?”
Toni schüttelte den Kopf.
”Nein, so nicht, meine Liebe, nicht mit mir. Warum bist du nicht einfach zu mir gekommen, wenn es so wichtig war?”
”Pah, unterbrichst du mich etwa, wenn ich gerade Kundschaft habe? Du hast doch gesehen, dass ich da war. Denk nach.”
”Wir waren gerade fertig, als du gegangen bist”, lenkte er ein.
”Und woher sollte ich das wissen, bitte schön?”
”Das ist mir zu kompliziert”, sagte Toni. ”Seit wann interessierst du dich eigentlich für Boxen?”
Das Interview mit Henry Maske lag noch auf dem Schreibtisch.
”Schon immer”, sagte ich. ”Ist sehr interessant, musst du mal lesen.”
Nein. Toni wollte nicht. Neulich hatte ich ihm ein Interview mit Niki Lauda gegeben, das fand er gut. Niki Lauda als Rennfahrer, Niki Lauda als Unternehmer, Niki Lauda als Frauenheld.
Nun hatten wir uns wieder vertragen. Insgeheim sann ich jedoch über eine kleine Rache nach.
”Weshalb warst du bei mir?” fragte er. Er saß auf