Commissario Paola Rossi. Cinzia G. Agostini
gehen, doch dann kam der Vice Questore Dal Molin um die Ecke und bat um eine kurze Unterredung. Diese kurze Unterredung dauerte eine gute Stunde und danach war sie völlig ausgebrannt. Dal Molin wollte ihr doch noch einmal die zahlreichen Delikte der Taschendiebe ans Herz legen.
»Commissario Rossi, denken Sie nur an folgende Schlagzeile: Wieder haben Taschendiebe in unserer schönen Stadt Verona zugeschlagen!«
Er faltete seine Hände und schaute sie mit einem mitleiderregenden Blick an, dann schüttelte er seinen Kopf und sagte: »Sie müssen etwas unternehmen! Die Statistiken sehen besorgniserregend aus.«
Paola seufzte und nickte ihm zu.
Sie saß vor ihm, während er einen Monolog führte, nickte dann und wann, unterstrich es zeitweilig mit einem besorgten Blick. Paola wartete geduldig, bis er sie aus dem Gespräch entließ.
Als sie endlich wieder an ihrem Schreibtisch in ihrem Büro saß, gönnte sie sich einen caffè mit viel Zucker. Ihre Lebensgeister wurden wieder aktiv.
Dal Molin war ein schlaksiger Mann, Anfang sechzig, verheiratet mit einer Frau, die seine Tochter sein könnte. Seiner Meinung nach sollten Frauen an den Herd und sicherlich nicht Commissario werden! Ihre Position hatte sie sich hart erarbeitet, doch er machte keinen Hehl daraus, dass er mit ihr als Frau mehr als nur ein Problem hatte. Trotz ihrer guten Erfolgsbilanz behandelte er sie eher als eine Schreibkraft und nicht als die erfolgreiche Polizistin, die sie zweifelsfrei war. Die beiden hatten in der Vergangenheit zahlreiche hitzige Diskussionen bezüglich ihrer Vorgehensweise. Bislang endete jeder Fall dennoch so, wie sie es sich dachte. Dieser Umstand machte die Zusammenarbeit der beiden nicht gerade leichter.
Ihr Geheimnis, wie sie es letztlich doch immer schaffte, ihn umzustimmen: ›Diplomatie‹ und ihm ihre Idee als seine zu verkaufen. Manches Mal hatte sie zwar das Gefühl, dass er sie durchschaute, doch dann ruderte sie schnell zurück und schaute ihn hilfesuchend an. Das half immer! Ihr Telefon klingelte: »Pronto! Commissario Rossi am Apparat!«
»Ciao, Bella, hier ist Francesco!«
»Mio caro, Francesco, bist du schon auf dem Weg nach Hause?«
Sie strahlte, sobald sie die Stimme ihres Mannes hörte.
»Ich konnte früher aus der Klinik. Ich habe eingekauft und will uns etwas kochen.«
Sie hauchte einen Kuss durch das Telefon.
»Wenn ich dich nicht schon längst geheiratet hätte, würde ich es jetzt sofort tun!«
»Paola, du bist mein Herz! Wann kommst du? Hast du noch eine Einweisung in Polizeiarbeit bei Dal Molin?«, dann lachte er.
»Die hatte ich schon. Ich schaue mir noch eine Akte an und dann mache ich mich auf den Weg. Sind Luca und Giulia schon da?«
»Sind sie! Sie haben Bärenhunger!«, erneut lachte er los.
»Verstehe! Ich mach mich gleich auf den Weg. Baci und bis gleich«,
»Fahre vorsichtig und centomila Baci zurück.«
Sie legte auf und schaute sich die Akte an. Dann beschloss sie sich auf den Weg zu machen. Sie musste noch eine gute halbe Stunde mit dem Auto fahren. Vor fünf Jahren hatten sie sich ein Haus in Desenzano del Garda gekauft. Es lag unweit des Lago di Garda. Ein idyllisches Fleckchen Erde. Die ersten Jahre hatten sie in Verona gewohnt, doch als die Kinder größer wurden zog es sie aus der Stadt hinaus. An den Wochenenden verbrachten sie entweder die Zeit am See, schwammen, picknickten oder machten es sich in ihrem Garten gemütlich. Das war der perfekte Ausgleich zu ihrem Beruf. Bei ihrer Familie konnte sie abschalten und Energie tanken. In ihrem Beruf sah sie viel Leid, Kummer und Dämonen. Wenn es nach Dal Molin gehen würde, hätte sie nur mit Taschendiebstählen zu tun, doch die Wirklichkeit sah anders aus.
Perfide Verbrechen, brutale Morde, zwielichtige Gestalten. Doch jetzt wollte sie einfach nur noch heim.
2
Clarissa bog in die Seitenstraße ein. Nur noch ein paar Minuten Weg und sie würde bei ihren Eltern sein. Wie schön sie endlich wiederzusehen. Seit sie in Milano studierte, konnte sie nur ab und zu bei ihnen sein. Da sie über Kopfsteinpflaster lief, hörte man das Klacken ihrer Absätze. Sie blieb stehen und wollte ihren Schlüssel herausholen.
Die Schritte hinter ihr hörten abrupt auf.
War da jemand?
Sie drehte sich um. Es war niemand zu sehen.
Wo war nur der Schlüssel?
Sie kramte in ihrer Tasche und fragte sich, warum der Schlüssel immer unter all den Sachen in der Tasche vergraben lag. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht. Endlich fand sie ihn, sie setzte ihren Weg fort.
Erneut hörte sie hinter sich Schritte.
Sie blieb stehen, drehte sich um.
Ein Schatten verschwand hinter einer Häuserwand. In ihr kroch ein unangenehmes Gefühl auf. Ihr Gang wurde schneller.
Die Straße war menschenleer.
Warum hatte sie nur ihre hohen Schuhe angezogen?
Die Schritte hinter ihr waren wieder zu hören.
Ihr Herz schlug schneller. Nervös drehte sie sich um und sah wieder nur einen Schatten.
Panik kroch in ihr hoch.
Noch ein paar Meter und sie hatte ihr Elternhaus erreicht, sie bog nach links, sie fing an zu beten.
Plötzlich bemerkte sie einen stechenden Schmerz. Sie verlor das Gleichgewicht und sackte zusammen.
Sie hörte ein Rufen aus der Ferne: »Signorina, hören Sie mich?«
Dann verschwand alles wie im Nebel um sie herum.
3
Paola schloss die Tür zu ihrem Haus auf. Ein köstlicher Geruch empfing sie an der Haustür. Schnell legte sie die Schlüssel und ihre Tasche im Flur ab, steuerte dann geradewegs in die Küche. Francesco hantierte mit diversen Töpfen und Pfannen.
»Ciao, Francesco!«, rief Paola, lief auf ihn zu und küsste ihn.
»Bella«, entgegnete er. Francesco sah seine Frau an und strich ihr eine Locke aus der Stirn. Sie sah umwerfend aus, mit ihren lockigen dunklen Haaren. Paola hatte ein ebenmäßiges Gesicht und braune Augen mit leichten goldenen Sprenkeln, wenn das Sonnenlicht in ihr Gesicht schien.
»Francesco, ich bin so froh endlich da zu sein. Unsere Klimaanlage fiel aus und dann noch das Gespräch mit Dal Molin!«
Sie verzog das Gesicht. »Wie kann so ein Chauvinist sich immer noch in der heutigen Zeit so aufführen!« Sie wollte sich gerade in Fahrt reden, Francesco schaute sie an, dieses Temperament seiner Frau, er konnte nicht anders … nahm sie in den Arm und küsste sie innig.
»Wofür war der?«, fragte sie verschmitzt.
»Du bist so eine tolle Frau, ich muss dich einfach küssen.«
»Danke, mio caro!«
Sie drehte sich zum Herd und lugte hinein.
»Oh wie köstlich! Mamma mia, mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«
»Warte ab, wenn du erst einmal die Vorspeise siehst?«
Francesco ging zum Kühlschrank und holte eine Vorspeisenplatte heraus.
»Vitello tonnato, Bresaola und Käse! Du bist so ein Schatz!«
»Für dich immer!«
Sie wollte gerade ein Stückchen Bresaola stibitzen, da klingelte ihr Telefon.
»Pronto!«