Die Midgard-Saga - Jötunheim. Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim - Alexandra Bauer


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trinke ich zwei Kaffee!“ Sie griff nach einer ledernen Tasche, die neben ihrem Schreibtisch lehnte. Im Aufstehen warf Thea sie sich über die Schulter. Ungewöhnlich lang hatte diese nichts mit einem Rucksack gemein, eher erinnerte sie an ein mittelalterliches Artefakt, an einen Köcher. Entlang der Nähte reihten sich kunstvoll eingestanzte Knotenmuster. Eine Schnalle in Form einer Frau, die in ihren ausgestreckten Händen ein Trinkhorn reicht, hielt den Deckel verschlossen. Mittelpunkt des Köchers jedoch war ein Runenkreis, der sich um einen Baum schloss. Das Knotenmuster entlang der Nähte wiederholte sich auf dem breiten Riemen, mit dem die Tasche quer über den Rücken getragen wurde. Tom hatte ebenso wie Theas Familie längst aufgegeben, zu versuchen sie davon zu überzeugen, die Tasche auch einmal stehen zu lassen. Seit über einem Jahr war Thea nicht mehr ohne sie anzutreffen.

      Nur hin und wieder öffnete Thea den kreisrunden Deckel und holte den Fotoapparat und das Stativ hervor, um ein paar Bilder zu schießen. In Anbetracht dessen, dass Thea eines der besten Fotohandys besaß, war das Mitführen des Köchers inklusive Fotoausrüstung für andere schwer nachvollziehbar. Doch was niemand wusste, war, dass Thea diese Tasche von den Walküren geschenkt bekommen hatte, den Schildjungfern Odins. Thea war Hüterin Kyndills, eines magischen Schwertes, das die Macht besaß, Götter zu töten. Sie selbst hatte das Schwert einst in einem anderen Leben geschmiedet und es schließlich, als Thea, von den Riesen zurückgewonnen. Seither war sie dafür verantwortlich, dass es nicht erneut verloren ging, und es war allein an ihr, dass es nicht in falsche Hände geriet. Deshalb trug sie das Schwert jederzeit mit sich. Nur Juli kannte das Geheimnis, denn sie hatte Thea bei ihrem Abenteuer mit Thor und Wal-Freya begleitet.

      Tom beobachtete Theas Handlung, ohne sie zu kommentieren. Während sie die Treppe hinab sprang, folgte er ihr langsam. Als Thea an seinem Wagen stand, betätigte er den Schlüssel und Thea saß noch vor ihm im Auto.

      „Heute legst du die Füße bitte nicht auf das Armaturenbrett. Ich habe gestern geputzt!“, grunzte er und fuhr zur Veranschaulichung mit der Hand dessen Konturen nach.

      „Zu Befehl, Tribun!“, erwiderte Thea und lachte. „Ich tue doch fast alles, wenn du den Kaffee zahlst.“

      Mit einem Schmunzeln startete Tom den Wagen. Eine viertel Stunde später liefen sie bereits durch das Einkaufszentrum. Menschenmassen schoben sich durch die Passage, an der sich Geschäfte mit hohen Schaufenstern und kunstvoll dekorierten Auslagen reihten, um Kunden zu locken. Thea ließ ihre Blicke an den Geschäften vorüber schweifen, blieb hier und da stehen und schlenderte doch jedes Mal weiter. Zuletzt war es Tom, der an einem Sportgeschäft hängen blieb und fröhlich auf ein weißes Mountainbike mit einem ungewöhnlich geschwungenem Rahmen zeigte. Allerlei Federungen und zusätzliche Anbauten, von denen Thea nichts verstand, ließen das Rad futuristisch wirken, ebenso der Preis.

      „Für das Geld kaufen sich andere ein Auto“, kommentierte Thea trocken und legte den Kopf schief, um die Beschreibung zu entschlüsseln. „Rock-Shox-Reverb-Stealth-Vario-Stütze“, las sie stockend vor und rümpfte die Nase.

      Tom lachte. „Tja! Fahrräder sind eben nicht mehr nur Fahrräder!“ Er klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Komm! Wir sind schließlich zum Kaffee trinken hier und nicht, um mir ein neues Fahrrad zu suchen!“

      Thea warf einen letzten Blick auf das Mountainbike, dann folgte sie Tom, der bereits auf das Café zusteuerte. In gemeinsamer Vorfreude traten sie durch die Tür. Die Tafel mit der Auswahl fest im Blick, stellten sie sich in die Reihe und warteten geduldig, bis sich die Menge voranschob und sie die Theke erreichten. Thea überflog die Tafel mit dem Kaffeeangebot und bestellte einen Caramel Macchiato, Tom einen Flavored Latte. Dazu nahmen beiden einen Double Chocolate Muffin, ehe sie sich in die Sessel einer Sitzgruppe fallen ließen.

      „Das war die beste Idee, die du heute hattest“, lobte Thea. Sie rührte in ihrem Kaffee und legte das Holzstäbchen zur Seite.

      „Ich muss doch ausnutzen, dass Juli nicht da ist. Sonst würdet ihr mit der Begründung, dass ihr irgendein Mädchenzeugs besprechen müsst, ohne mich herkommen.“

      „Das stimmt nicht!“, wehrte Thea mit einem Lächeln ab.

      „Natürlich!“, lachte Tom.

      Thea beobachtete die Schlange entlang der Theke und die dahinter arbeitenden Mitarbeiter in ihren grünen Schürzen. Sie vermisste Juli. Ihre Freundin war erst wenige Tage im Urlaub, aber es kam Thea schon jetzt vor wie Wochen. Kurzerhand zückte sie das Handy.

      Du verpasst gerade Kaffee bei Starbucks, tippte sie rasch eine Nachricht.

      Es dauerte nicht lange, da traf die Antwort ein: Wie toll! Und du verpasst gerade ein langweiliges Mittagessen in der Taverne Achilleon.

      Thea lachte und legte das Handy neben sich.

      Interessiert beugte sich Tom über den Tisch. „Was schreibt sie?“

      „Sie beschwert sich.“ Thea zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Becher.

      Tom lachte. „Sie beschwert sich immer!“ Er holte ebenfalls sein Handy hervor und ließ seine Daumen über den Bildschirm sausen.

      Sag Tom, er kann mich mal ;) floppte eine weitere Nachricht vor Theas Augen auf.

      „Ärgerst du sie?“, fragte Thea. Sie kniff in einer gespielt empörten Geste die Augen zusammen.

      „Ich habe ihr gesagt, wir leveln so ausdauernd, dass wir ihr fünf Erfahrungsstufen voraus sein werden, bis sie wieder da ist.“

      „Das können wir gar nicht. Die neuen Stufen sind nicht freigeschaltet“, erwiderte Thea.

      „Das weiß doch Juli nicht“, neckte Tom.

      „Sie schaut es augenblicklich nach, glaub mir.“

      Tom kostete von seinem Kaffee. „Stell dir mal vor, sie würden es morgen freischalten, das wäre so lustig.“

      Thea verschränkte die Arme. „Nein, wäre es nicht. Juli kann nichts dafür, dass ihre Eltern sie neuerdings überall mit hin schleifen.“

      Herausfordernd biss Tom in seinen Muffin. „Genauer gesagt könnt ihr beide etwas dafür“, erinnerte er.

      „Das war vor über einem Jahr! Julis Eltern könnten aufhören, so nachtragend zu sein.“

      Tom lachte. „Na ja. Also wenn ich für zwei Wochen spurlos verschwinden und meinen Eltern erzählen würde, dass ich auf einem Festival gewesen bin, würden sie mich bis ans Ende meines Lebens einsperren.“

      „Hör endlich auf, über diese Sache herzuziehen“, erwiderte Thea verstimmt.

      Entschuldigend hob Tom die Hände. „Schon gut, tut mir leid. Ich bin ja nur sauer, dass ihr mich nicht eingeweiht habt. Ich sag’s doch: Immer macht ihr solchen Mädchenkram und schließt mich aus.“

      „Klar!“, stimmte Thea spöttisch zu.

      „Jetzt sei nicht sauer!“ Tom warf sich in seinen Sessel zurück.

      „Bin ich nicht! Ich kann es nur nicht leiden, wenn du immer wieder darauf herumreitest.“

      Tom hob die rechte Hand und streckte Zeigefinger und Mittelfinger hoch, während er die linke Hand aufs Herz legte. „Ich schwöre, dass ich es nie wieder ansprechen werde.“

      Thea lachte versöhnt. „Das kannst du doch sowieso nicht halten!“

      Verschmitzt grinste Tom und zog die Schultern hoch. „Vielleicht nicht, aber ich kann es versuchen.“

      Sie aßen ihre Muffins und tranken den Kaffee aus. Auf dem Weg zurück zum Auto kehrten sie kurzerhand in einem Imbiss ein, bestellten sich zwei Pizzas und gönnten sich abschließend noch einen Nachtisch. Erst dann fuhren sie zurück.

      Auf der Fahrt über die Landstraße legte Thea nun doch die Füße auf das Armaturenbrett, was Tom mit einem widerstandslosen Schmunzeln zur Kenntnis nahm. Thea begegnete seinem Blick mit einem herausfordernden Lächeln. Er konnte ihr einfach nichts abschlagen. Sie schwiegen, bis Tom in


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