Götzendämmerung I. Jörg Werner

Götzendämmerung I - Jörg Werner


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Linken weiter. Die las laut vor:

      „Engelwächter. e.V. Jede Tugend braucht ihre Wächter, noch eine Telefonnummer und das ist alles, mehr steht da nicht.“

      Herr Taschke hätte vor Schreck beinahe sein Glas fallen lassen.

      „Komischer Zufall …“, erklärte der Alte, „… diese Engelswächter sind auch unsere Auftraggeber.“

      „Ist das nicht irre?“, kicherte die Quotenfrau unter den wilden Denkern.

      „Echt irre, ja. Darauf trinken wir. Salut, auf die Wacht.“

      In seinem Strom der Gedanken kam es zu weiteren Turbulenzen und er verschüttete etwas Glühwein. Die Werber waren indessen dazu übergegangen, undefinierbare kleine Schnäpse unter ihr Getränk zu mischen, wahrscheinlich um die Kreativität nicht trockenfallen zu lassen.

      Die Visitenkarte wurde herumgereicht. Wie selbstverständlich wanderte sie auch zu ihm, er musterte sie interessiert.

      Auf blütenweißem Papier mit schwerem Goldrand zeigte die Karte einen undefinierbaren Planeten, über den die zarten Schemen einiger Putten schwebten. Darüber stand der Text in schwungvollen Lettern. Die Rückseite zierten zwei gekreuzte Flammenschwerter. Herr Taschke hatte genug gesehen. Er reichte die Karte weiter.

      Der Vordenker hatte angefangen, wie rasend sein Multimediasurfbrett zu traktieren, Schweiß stand ihm auf der Stirn.

      „Nicht zu fassen“, war alles, was er nach einiger Zeit erschüttert hervorstammelte, „Kaum Informationen, diese sogenannten Engelswächter gibt es nicht, kommen im Netz nicht vor.“

      „Vielleicht ist das Netz nur schlecht informiert“, warf die Dame der Runde ein.

      „Was steht denn im Netz?“

      „Sag ich doch: nichts.“

      „Sei’s drum, der Auftrag ist relevant, und, wenn ich die Dame und die Herren darauf hinweisen darf, auch schon finanziert. Das Geld liegt auf einem Notarkonto bereit.“, erwiderte der Alte unbeeindruckt.

      „Also ziehen wir die Kampagne Grausame Engel ganz groß auf. An die Arbeit."

      "Was machen wir mit dem Neutronentransmitter?"

      Herr Taschke überlegte gerade, wie wohl das Klatschen einiger gedachter Ohrfeigen klang, als ihn sein Mobiltelefon aus der Zuhörerrolle riss. Er hatte das Handy wegen Eleonore nicht abgestellt. Voller Demut für die Gnade eines guten Timings meldete er sich: „Hallo.“

      Es schneite jetzt in schweren Flocken, die durch das Licht der Bogenlampen und Budenbeleuchtungen trieben. Der erste Schnee blieb schwer und feucht liegen.

      Seine Schuhe saugten sich langsam voll. Die Welt wurde leiser, der erwachende Winter dämpfte jedes Geräusch.

      „Hallo, spricht dort Herr Taschke, Max Taschke?"

      "Ja, am Apparat."

      "Wo stecken Sie?“

      „Zwischen Engelsexperten, im strategischen Hauptquartier einer gnadenlosen Werbeschlacht, es geht um die Macht.“

      „Wir haben keine Zeit für schlechte Scherze, Herr Taschke. Es ist etwas passiert, Sie müssen unverzüglich kommen."

      Ein Anruf aus der Gruselkammer des kollektiven Unterbewusstseins, und dank der portablen Telefone gab es kein gnädiges Entrinnen mehr. Wer fürchtet sich nicht vorm schwarzen Mann? Der hat jetzt ein Mobiltelefon und erreicht jeden rund um die Uhr, vorzugsweise an der Supermarktkasse. Keine Pause von gar nichts. Geschichte wird gemacht und alle sind dabei. Ein Frösteln lief ihm Wirbelsäule herunter.

      "Wer spricht bitte? Was ist passiert?"

      „Entschuldigung, ich vergaß mich vorzustellen, mein Name ist Brummle, Inspektor Brummle, und es geht um das Verschwinden einer Klientin von ihnen, ich habe gerade mit Anwalt Imenhoff telefoniert und er war der Ansicht, sie könnten mir eher Auskunft geben."

      “Wer bitte ist verschwunden?“

      "Eine Frau von Sternenberg ist verschwunden!“

      „Wirklich?“

      "Ja, unter sehr mysteriösen Umständen."

      Er spürte den Sog unbekannter Kräfte, etwas nahm gewaltig Fahrt auf. Eleonore war nicht einfach nur untergetaucht, wie er bisher angenommen hatte, sie war verschwunden. Das machte einen Unterschied.

      "Was genau ist passiert Inspektor?"

      "Kann ich ihnen so nicht sagen. Nicht am Telefon, nicht jetzt, bitte kommen sie umgehend zu uns ins Präsidium. Wir wären ihnen sehr verbunden, es eilt."

      "Ich bin schon unterwegs. Bei dem Wetter könnte es etwas länger dauern."

      Er verstaute das Mobiltelefon und wollte unverzüglich aufbrechen, als ihn der alte Guru aufhielt.

      „Kleinen Moment noch, mein Herr, sie haben unser ganzes Gespräch mit angehört, einige unserer kleinen Betriebsgeheimnisse erfahren und sie kennen Rilke. Da wäre es sehr freundlich von ihnen, wenn ich ihnen eine Frage stellen dürfte.“

      „Nur zu, mein Herr.“

      „Nun gut, haben sie mal etwas von diesen Engelwächtern gehört?“

      „Nein, und ich habe das Gefühl, das es besser auch so bleiben sollte. Frohe Weihnachten und viel Glück mit ihren Engeln.“

      „Frohe Weihnachten!“, jubelten die jungen Genies. Der Vordenker klopfte zum Abschied mit einer der leeren Kräuterschnapsflaschen an seine Stirn und skandierte dazu: “Heraus, Gesindel, heraus.“, woraufhin die Meute einfiel und grölte: „Heraus, Gesindel, heraus.“

      Der Chor betrunkener Werbeleute begleitete Herrn Taschkes Abgang.

      „Heraus, Gesindel, heraus.“

      Die Werbeleute und Weihnachtsengel verschwanden hinter ihm im Schneeregen und wurden von der Welt verschluckt wie der Fliegende Holländer vom Sturm.

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