Götzendämmerung I. Jörg Werner
kauft Spiele, in denen es um die Macht geht, hä?"
"Männer, große Jungen und ewige Versager!"
"Eben, und die wollen große Titten, deshalb kennen unser Engel keine Gnade, sind bewaffnet und haben Superbusen, kapiert?"
"Konsequente Kommunikation der Preis-Leistungs-Botschaft nennt man das."
Herr Taschke folgte den zwingend formulierten Gesetzen des Marktes mit zunehmendem Entsetzen. Die Werbefritzen gaben sich so gnadenlos wie ihre Engel. Die Logik der Marketingschlacht kannte weder Freund noch Feind. Das Trommelfeuer banaler Botschaften verwandelte den gesunden Menschenverstand in eine Kraterlandschaft. Über den Gräben der Vernunft wehte der Geruch von geilem Geiz und herrschte purer Optimismus. Doch die Karawane der Werbefritzen zog unerbittlich weiter, stieß ins Herz der Finsternis vor, dort, wo die Kräfte der nackten Gier herrschten. Für diesen Teil der Expedition bedurfte es eines Führers, Leitfigur genannt.
"Wir brauchen eine Leitfigur."
"Haben wir doch in dem Engel mit den riesigen Flügeln und so."
"Was heißt und so?"
"Na, die Oberweite von der geflügelten Tussi und das Flammenschwert."
"Kein Flammenschwert. Das ist vollkommen retro, was wir brauchen, ist was Zeitgenössisches. Einen Plasmawerfer vielleicht."
"Und wie sieht der aus, der Werfer?"
Der Weihnachtsmarkt rings um Herrn Taschke war dem kulturellen Untergang geweiht, ein neuer Zeitgeist zog mit Macht in Gestalt der jungen Generation am Horizont herauf. In Zukunft würden die Holzengel aus dem Erzgebirge nicht mehr musizieren, sondern ultimative Massenvernichtungswaffen tragen, die lieben Kleinen würden gierige runde Kulleraugen bekommen und unter dem Christbaum ethnische Säuberung spielen. Die Moderne versprach ihren eigenen exquisiten Horror, ihn gruselte.
"Der Plasmawerfer ähnelt einem Neutronentransmitter, ist aber filigraner und eleganter im Design."
"Meine Herren, sie verlieren das Wesentliche aus den Augen."
Der alte Werbefuchs steuerte die jungen Wilden wieder auf den rechten Kurs zurück.
"Die zentrale Frage lautet: Woher nehmen wir einen glaubwürdigen Engel für die Kampagne? Wir brauchen ein unverbrauchtes Gesicht. Einen Engel mit Format und Ausstrahlung. Wofür soll unser Modell stehen, was ist die zentrale Botschaft unseres Engels an die Kundschaft?"
„Gewalt ist unverzichtbar.“
„Für was?“
„Na, um die Welt zu retten und die unteilbare Wahrheit zu verkünden.“
„Richtig.“
„Genau“.
„Hätte ich nicht besser formulieren können.“
Herr Taschke stürzte umgehend den Inhalt eines der herumliegenden Schnapsfläschchen hinunter, um nicht in unkontrollierte Zuckungen auszubrechen. Die Wirklichkeit übertraf jede Fernsehsendung.
„Fein, soweit keine Einwände, jetzt brauchen wir bloß noch den passenden Engel.“
Die Marketingexpertin unter den Jungs blieb am Ball.
"Ich stelle mir eine engelsgleiche Erscheinung vor: zeitlos attraktiv mit geheimnisvoller Ausstrahlung, etwas androgyn mit Sex-Appeal, warmherzig und mit einem latent gewalttätigen Charisma. Das muss besonders rüberkommen, das Charisma. Fotografiert in weichen Pastellfarbtönen, etwas flatternde Stoffe im Hintergrund oder ein paar Fahnen."
„Rote Fahnen vielleicht, im Kontrast zu gewaltigen weißen Flügeln.“
„Zu sozialistisch.“
Die sprachen von Eleonore. Es war zu spät zu fliehen. Ihn packte nacktes Entsetzen. Er konnte Eleonore nicht entkommen. Sie saß in seinem Kopf so fest, wie andere Engel in anderen Hirnen. Um wenigstens minimale Entspannung herzustellen, war es nötig, sich die Geschichte mit Eleonore noch einmal ins Gedächtnis zu rufen.
So ein Foto, wie es die Werbefritzen gerade beschrieben hatten, gab es von Eleonore von Sternberg, es war keine drei Wochen alt und geisterte seitdem durchs Netz.
Ein Bild wie eine Offenbarung, musste sich Herr Taschke eingestehen. Es zeigte eine überaus schöne, zierliche Frau in der hell erleuchteten, geöffneten Tür eines U-Bahn-Zuges in einem Untergrund-Bahnhof, im Rücken zwei schneeweiße, riesige Engelsflügel, die aus ihrem Rücken zu wachsen schienen. Die Schwingen gehörten zu einer überdimensionierten Plakatreklame auf der Tunnelwand hinter der geöffneten Wagentür auf der anderen Seite des Wagens, wo eine geflügelte Getränkedose gen Himmel stieg, weil das angepriesene Getränk angeblich Flügel verleiht.
Ein netter Schnappschuss mit einer Handykamera. Nichts Ungewöhnliches für die Postmoderne, in der jeder Tölpel mit einem fotografierenden Telefon in der Tasche herumläuft und überflüssige Momente festhält, um sie dann ins Netz zu stellen, wo sie sich verbreiten wie eine hochansteckende Geisteskrankheit, und für Verwirrung und Realitätsverzerrung sorgen. Vielleicht ging es auch nur darum, sich der eigenen Existenz zu versichern, indem man die Subjektivität des Augenblicks ins Endlose verlängerte.
Ich halte fest, was vergeht, also bin ich.
Blöd nur, dachte Herr Taschke, dass Eleonore auf dem Foto inmitten von vier verprügelten Anzugträgern stand, die sich, wie schwer verletzte Schlachtopfer ineinander verheddert und verkeilt, ängstlich aneinanderklammerten und völlig irre in die Kamera starrten, als hätten sie ein Rendezvous mit Freddy Krüger hinter sich.
Die daraus folgenden juristischen Verwicklungen lagen auf der Hand. Ein ausreichender Anlass für Eleonore von Sternberg, schon kurz nach diesem Zwischenfall in Anwalt Paul Imenhoffs Kanzlei aufzukreuzen, dort die Vorzimmerdame huldvoll zu ignorieren und in eine kleine Auseinandersetzung wegen einiger unbedeutender Spesenabrechnungen zwischen Anwalt Imenhoff und ihm hereinzuplatzen, um sich umgehend der Dienste der Kanzlei zu versichern. Anwalt Imenhoff und Herr Taschke fühlten sich für einen Augenblick wie Trojaner, denen jemand ein großes Holzpferd ins Büro gerollt hatte.
Wie er wenig später erfuhr, genoss die weitverzweigte Familie der von Sternbergs schon seit etlichen Jahrzehnten die juristische Rückendeckung der Kanzlei Imenhoff und Partner. Dass Eleonore einen ganzen Rattenschwanz von Prozessen aufgrund diverser extravaganter Auftritte und ihres außergewöhnlich impulsiven Charakters hinter sich herschleppte, hatte Anwalt Imenhoff ihm galant verschwiegen.
Das Anwaltsbüro Imenhoff und Partner stand in dem Ruf, die Probleme seiner durchweg zahlungskräftigen Klienten dezent und effizient hinter den Kulissen medialer Aufgeregtheit oder gar öffentlicher juristischer Auseinandersetzungen zu klären. Um die Konfliktlösungsmethoden der Kanzlei rankten sich einige unschöne Gerüchte, die zu vertiefen bisher niemand den Mut gefunden hatte, da kein Mensch den Rest seines Lebens vorwiegend im Gerichtssaal zu verbringen gedachte.
Eleonores jüngster Fall jedoch war auch nach den Kriterien abgebrühter Juristen außergewöhnlich. Er musste lächeln. Eleonores Wille beugte die Wirklichkeit so spielend, wie es nur die Götter vermochten.
Das Schneetreiben nahm zu, einzelne Halterungen, Verstrebungen und Stahlseile sangen im Wind und schlugen gegen die Buden. Der Weihnachtsmarkt klapperte wie ein ausgeleiertes Gebiss.
Die Werbefuzzies machten gnadenlos weiter, als wären sie die Jäger verlorener Einsichten oder geheimer Erkenntnisse.
"Moment, ich glaub', ich hab da vor ein paar Wochen was im Internet gesehen. Tolles Foto. Ein Bild wie aus einem Traum. Engel mit schneeweißen Flügeln, das Licht und die Schattenwürfe in der nächtlichen U-Bahn-Station hätte Goya nicht treffender malen können, und die grobe Körnung der Handykamera ergab irgendwie ‘ne geile Illusion, richtig mystisch und so.“
Herr Taschke orderte weiteren Glühwein, die Werber schlossen sich an.
„Stimmt, ich erinnere mich vage. Ein Gewaltexzess oder etwas in der Richtung.“
„In der U-Bahn nachts, die Frau war auf dem Heimweg, gerät an vier angetrunkene Banker, die Kerle pöbeln sie an, die Frau