Lichtsturm. Mark Lanvall
teilen. Andererseits wusste er, dass das aus dem Nichts ein passabler Start war. Die Frage war jetzt nur, ob das Interesse an dem Video groß genug war und lang genug anhielt, damit es sich in den sozialen Netzwerken verbreiten konnte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass etwas anfangs gut lief und danach schnell wieder verhungerte.
„bleib locker!“ Maus meinte das genau so, wie er es sagte. Ben überlegte, ob er eine Blues-CD einlegen sollte, dann aber blieb sein Blick auf dem hellgrauen Umschlag haften, den ihm sein Onkel gegeben hatte. Er war 6,5 Millionen Euro wert. Ben hatte schon lange nicht mehr seine Kontoauszüge gecheckt. Vermutlich hatten sich auch dort wieder einige 100.000 Euro angesammelt - Erträge aus den Anteilen, die er von seinen Eltern geerbt hatte. Ben war stinkreich. Ob Maus auch dann noch so locker bleiben würde, wenn er das wüsste?
Die Versuchung war groß. Vielleicht sollte Ben das Angebot tatsächlich annehmen und etwas Vernünftiges aus dem Geld machen? Einen Teil spenden, vielleicht Liix aufpeppen und Doras Campingplatz aufmöbeln? Ben wusste, dass er zwar ganz gut lief, aber alles andere als eine Goldgrube war.
Und was noch wichtiger war: Ben wäre weit weg von der Familie. Er könnte ein neues Leben anfangen, vielleicht einen neuen Namen annehmen, den Adelstitel aus seinem Ausweis tilgen. Nichts sollte ihn mehr an die Grafen von Hartzberg erinnern. Aber er traute Onkel Vinzenz keine fünf Meter weit. Ihm war klar, dass er das zweite Angebot - einen Teil den Opfern seines Vaters zu geben - nur gemacht hatte, um ihn übers Ohr zu hauen.
Ben würde einen Anwalt nehmen und die Sache überprüfen lassen müssen. Er würde kämpfen müssen, aber dazu fehlte ihm jede Energie. Er hatte einfach keine Lust.
Duschraum 3. Um ihn würde er nicht herumkommen. Er hatte es Dora versprochen. Wenigstens das auf seiner langen Liste würde er abarbeiten müssen.
Eine gute Viertelstunde später war er auf dem Weg zum Hauptgebäude. Er hatte unmodisch karierte Bermuda-Shorts an, ein ausgewaschenes T-Shirt, das einmal blau gewesen sein musste, und er trug Flipflops. Rasiert war er noch immer nicht und seine dunklen Haare fielen in speckigen Strähnen in die Stirn. Dass er humpelnd einen Wassereimer und einen Wischmopp trug, unterstrich in jeder Hinsicht den Eindruck, dass er zur untersten Riege des Personals gehören musste. Alles, nur kein Graf.
Und da waren sie wieder: die korpulenten Urlauber, die fast so unmotiviert wie er selbst zu den Waschräumen und Toiletten schlurften. Die Frauen sahen so aus, als hätten sie zuvor alles getan, um nicht in den Verdacht zu geraten, attraktiv zu sein. Und auch die Männer unterstrichen ihre abstoßende Optik mit gelegentlichen Grunzlauten. Ben hatte dieses Phänomen eine Weile lang auf sich bezogen, aber das Grunzen der Camper war nicht persönlich gemeint. Es war einfach nur da. So wie die abgewetzten Kulturbeutel, die fleckigen Handtücher und die Plastik-Schlappen. Natürlich gab es auch Gäste, die man ansehen konnte und die nicht grunzten, aber die schliefen in diesem Augenblick noch oder sie waren schon unterwegs.
Ben erreichte Duschraum 3. Modriger Gestank schlug ihm entgegen. Seit Tagen waren die Abflüsse verstopft - mit undefinierbaren Dingen, von denen er gar nicht genauer wissen wollte, was sie waren.
Knöcheltief stand er an manchen Stellen in der schlackigen Brühe und er wünschte sich einen langen Augenblick lang, doch etwas anderes angezogen zu haben als die alten Flipflops. Sein Verband war längst durchweicht.
Aber trotzdem fühlte es sich auf eine verworrene Weise auch richtig an, denn dieser Dreck war wenigstens real. Er stank und war ekelhaft, aber er konnte beseitigt werden. Es gab einen Plan, nach dem Ben vorgehen und am Ende ein Ziel erreichen konnte. Von dem Dreck, in dem sein Leben festgefahren war, konnte er das nicht wirklich behaupten.
Widerstrebend zog er lange dicke Gummihandschuhe an und machte sich an die Arbeit.
„I need to take a shower. But this is not working. Why?“, brummte ihn ein kräftiger, stark behaarter Mann mit hartem Akzent vorwurfsvoll an. Er hatte seine wuchtigen Beine fest in den siffigen Boden gestemmt. Der Gestank nach Alkohol überlagerte sogar den des Drecks in den Abflüssen.
Ben erklärte ihm geduldig, dass der Duschraum defekt sei, dass es aber einen weiteren auf der Rückseite des Hauptgebäudes und noch einen auf der Südseite des Campingplatzes gebe.
Der Mann breitete verständnislos die Arme aus und blickte Ben aus hohlen Augen an.
„Why?“, presste er noch einmal hervor. In seinem Blick lagen Dummheit, Verachtung und Streitlust. Er verstand Ben nicht, weil er ihn gar nicht verstehen wollte. Der Mann hatte das niedere Bedürfnis danach, Macht auszuüben.
Und genau das machte Ben wütend. Sein Bedarf an Menschen, die anderen ihren Willen aufzwingen wollten, war nach Zöllner und Onkel Vinzenz gedeckt. Wütend ging er einen Schritt auf den Kerl zu, hielt den Wischmopp dabei fest in beiden Händen und sah dem Kerl in die Augen. Ohne dass er es verhindern konnte, entlud sich sein Zorn in einer Welle von Energie, die auf eigenartige Weise auf den behaarten Mann zuschwappte. Die Luft vibrierte, ein sirrendes Geräusch erfüllte den Raum. Der Kerl wich zwei Meter vor ihm zurück. Seine Augen waren geweitet, sein Mund stand offen. Wortlos drehte er sich um und verließ hastig den Raum.
Ben wurde schwindelig. Was auch immer eben geschehen war, es hatte ihn einen Großteil seiner Kraft gekostet. Seine Schläfe pochte und die Augen fingen wieder an, zu brennen. Er legte den Mopp weg und stützte sich mit der Hand an den grauen Fließen der Wand ab. Ben atmete ein paarmal tief durch und fing sich allmählich wieder. Normal war das alles trotzdem nicht.
„Was hast du denn mit dem angestellt, Kleiner? Er sah aus, als wäre ihm der Leibhaftige erschienen?“
Dora sah ihn sorgenvoll an. In ihrer Hand hielt sie einen großen Pömpel. Sie trug Gummistiefel. Ben hatte gar nicht bemerkt, dass sie den Raum betreten hatte.
„Dora? Hallo! Er wollte hier duschen. Ich hab ihm erklärt, wo er die anderen Waschräume findet“, antwortete Ben knapp.
Dora legte den Kopf misstrauisch zur Seite. „Der Kerl ist ein Säufer und ein Stinkstiefel. Aber er zahlt gut und kommt mit seiner großen Familie jetzt schon zum dritten Mal hierher auf den Platz. Bist du sicher, dass du ihm nicht wehgetan hast?“
Ben versuchte, zu lachen. Aber es klang wenig überzeugend. „Vielleicht war einer der vielen Schnäpse schlecht, die er heute schon zum Frühstück hatte. Das würde erklären, warum er so blass war. Möglich ist aber auch, dass er vor meinem Wischmopp Angst bekommen hat.“
Dora brummte missmutig. Sie konnte sich offenbar noch immer keinen Reim darauf machen. Wie sollte sie, wenn nicht mal Ben wusste, was genau passiert war?
„Aber wie ich sehe, bist auch du bewaffnet“, fügte er schnell hinzu.
„Ich hab zwar keine Zeit, aber ich will dir helfen. Du siehst noch immer aus wie ein Haufen Schrott, Junge. Und dieser Pömpel hier kann, verdammt nochmal, wahre Wunder vollbringen.“ Sie streckte das Gummiteil kämpferisch in die Höhe.
Ben lächelte. „Du bist großartig, Dora. Aber ich schaffe das schon. Das hier ist mein Job. Ich hab es dir versprochen.“
„Ich will dich nachher nicht aus dem Abfluss kratzen müssen, Kleiner. Das ist es nicht wert.“
„Mir geht es gut. Und ich werde das hier durchziehen. Es kratzt nur meinen Stolz an, wenn du mir hilfst. Ehrlich.“
Dora zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Ein Hilfsknecht mit Ehrgefühl? Irgendwann werde ich herausbekommen, aus welchem Jahrhundert du wirklich kommst, Kleiner. Aber lass mich ruhig noch ein bisschen zappeln. Das macht es spannender.“
Ben schüttelte den Kopf. „Es ist keine schöne Geschichte Dora.“
„Ich würde mich trotzdem freuen, sie irgendwann einmal zu hören, Ben. Sag mir Bescheid, wenn du so weit bist. Und, verdammt nochmal, ruf mich, wenn du mit der Scheiße hier nicht klarkommst.“
Ihre Gummistiefel quietschten, als sie auf dem Absatz kehrtmachte.
„Dora?“
Sie hielt inne und sah sich nochmal nach ihm um.
„Kann ich den