Lichtsturm. Mark Lanvall

Lichtsturm - Mark Lanvall


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ausnahmslos Fürsten. Alle hatten spitze Ohren, meist lange Haare in unterschiedlichen Farben und außergewöhnlich helle Augen. Körper- und Kopfhaltung verrieten Stolz und Würde. Kellen war es nahezu unmöglich, so etwas wie Standes- oder Rangunterschiede zu erkennen. Aber: Da war noch etwas, das dem Häuptling erst bei näherem Hinsehen auffiel. Einige Alben waren anders, ohne dass Kellen zunächst benennen konnte, worin ihre Besonderheit bestand. Er sah es, wenn er ihnen in die Augen schaute. Er sah die Weisheit uralter, kluger Menschen in jungen, ebenmäßigen Gesichtern. Ein bemerkenswerter Kontrast. Und doch täuschte sich Kellen nicht. Einige Male beobachtete er, dass diese Alben mit besonderer Hochachtung behandelt wurden und über mehr Autorität verfügten als die anderen - so wie Larinil, die den zornigen Anwindar in seine Schranken verwiesen hatte.

      Die Albin stand aufrecht im Gras auf einem der vielen kleinen Hügel im Gartenhof, den Blick in den Himmel gerichtet. Ihre Arme formten einen nach oben geöffneten Halbkreis. Der milde Wind spielte mit ihren seidig glänzenden Haaren. Der Frühling hatte den Winter vollends besiegt und nun schien die helle Sonne ihre Wärme im Übermaß über die Burg der Alben auszuschütten.

      Als sich Kellen näherte, ließ Larinil die Arme sinken und nickte ihm lächelnd und respektvoll zu. Der Häuptling erwiderte den Gruß.

      „Störe ich dich beim Gebet?“

      „Du bist mir willkommen, Häuptling Kellen. Und ich bete nicht. An Tagen wie diesen ist das Licht besonders machtvoll. Wir nehmen es in uns auf.“

      Kellen sah sich um. Erst jetzt bemerkte er, dass ein wenig abseits vier weitere Alben standen - in gleicher Haltung wie eben noch Larinil.

      „Das Licht hat viel Kraft, wenn man es zu nutzen weiß“, fuhr Larinil fort.

      „Es gibt Völker, die die Sonne anbeten, als Urmutter, als Quelle von Wärme und des Lebens“, entgegnete Kellen.

      Die Albin nickte. „Diese Völker haben verstanden, welche Macht das Licht hat, und sie wissen, dass die Sonne davon durchdrungen ist. Dennoch: Die Sonne ist nur ein Werkzeug. Das Licht war der Anfang. Es steht über allem. Es fließt, durchdringt und wirkt.“

      Kellen seufzte. „Unsere Druiden würden das als Verhöhnung der Götter verstehen.“

      „Weil sie die Wahrheit nicht kennen, Häuptling Kellen. Ich weiß, das klingt anmaßend. Aber gerade du solltest wissen, was ich meine.“

      Kellen sah sie fragend an.

      Larinil zog amüsiert die Augenbrauen hoch.

      „Ich habe dich mit der Kraft des Lichtes geheilt. Ohne das Licht wärst du vergangen.“

      „Dann werde ich dem Licht bei nächster Gelegenheit einen Hirsch opfern und mir einen Lobgesang ausdenken. Und ich werde beten, dass mich die Druiden dabei nicht erwischen.“

      Larinil lachte. Dann nahm ihr Gesicht wieder ernsthafte Züge an.

      „Ich danke dir für deine Geduld. Es waren nur zwei Tage. Aber sie waren wertvoll für uns“, sagte sie.

      „Auch ich habe sie genossen“, antwortete Kellen wahrheitsgemäß.

      „Und gut genutzt“, ergänzte Larinil. „Ich sehe, dass du deine Fahrt auf den Wogen des Baches beendet hast.“

      Kellen zog schmunzelnd die Augenbrauen hoch. „Trotzdem kommt es mir so vor, als hätte ich nicht alle Wasserfälle umfahren können.“ Er dachte an den unglücklichen Ausflug in den Wald.

      „Dich trifft keine Schuld, Häuptling Kellen. Für uns Elvan jal'Iniai hat Zeit eine andere Bedeutung als für euch Menschen. Tage sind Wimpernschläge. Geduld ist eine Tugend, die wir schon im Kindesalter beherrschen müssen. Ich kann nicht das Gleiche von euch erwarten.“

      Sie machte eine kurze Pause.

      „Jede wichtige Entscheidung wird von uns wohl überlegt, beraten, abermals wohl überlegt, nochmals beraten und erst dann getroffen. Es sind zweifellos weise Entscheidungen. Ein Segen, sicher. Aber ein Fluch, wenn wir die Zeit nicht haben, die wir uns nehmen.“

      „Für mich hört sich das nicht nach einem Fluch an. Wir Menschen treffen viele Entscheidungen, ohne nachzudenken. Sehr oft sind es falsche Entscheidungen mit schlimmen Folgen.“

      Kellen dachte an Breac, Murddin und Bram. „Ich glaube nicht, dass wir ein gutes Beispiel für euch sind.“

      Larinil lachte, zeigte mit der Hand in Richtung Wasserfall und bewegte sich mit langsamen Schritten darauf zu. Kellen ging neben ihr her.

      „Was glaubst du, Häuptling Kellen? Sind wir Alben göttliche Geschöpfe? Fürst Morcant ist davon überzeugt. Oder sind wir finstere Dunkelwesen? Dein Freund Domhnall vermutet das.“

      Kellen stutzte. Erwartete Larinil darauf eine Antwort? Er war dankbar, als sie fortfuhr.

      „Anwindar hat seine eigene Meinung dazu, die er mit vielen von uns teilt. Für ihn sind Alben die erwählten Wesen des Lichts. Erleuchtet, überlegen, machtvoll. Menschen sind für ihn wie Tiere - weder gut noch böse, weder Freund noch Feind. Manchmal sind sie nützlich, manchmal stören sie.“

      „Und er hasst uns.“

      „Nein, er hasst nicht euch. Er hasst es, dass ihr da seid. Er hasst den Grund, aus dem ihr hier seid. Er hasst es, weil ihr ihm seine eigene Unvollkommenheit vor Augen führt.“

      Kellen war verunsichert. Und plötzlich auch ein wenig verärgert. War das ein Spiel? Hatten die Alben sie gerettet und hierher gebracht, weil sie sich langweilten? Weil sie ihre Überlegenheit unter Beweis stellen wollten? Waren Morcant, Domhnall und er die Grillen, die Kellen als Junge zerlegt hatte, um herauszufinden, woher das Zirpen kam?

      „Du hast mir eine Frage gestellt, Larinil. Obwohl du mir Antworten versprochen hattest.“

      „Weil auch eine Frage zur Erkenntnis führen kann.“

      Er blieb stehen und sah ihr freundliches, gütiges Gesicht an. Ein Spiel? Dann spielte er eben mit. Vorerst.

      „Ich glaube, dass alle drei recht haben: Ihr seid Teil des göttlichen Lebens auf dieser Welt, nicht mehr und nicht weniger. Und wie bei anderen Geschöpfen gibt es auch Finsternis in euren Herzen. Und ihr seid uns überlegen: Ihr seid schneller, stärker, mächtiger als wir und ihr vollbringt Werke, von denen wir Menschen nur träumen können.“

      Larinil zog anerkennend und auch ein wenig überrascht die Augenbrauen hoch. Kellen suchte nach Anzeichen von Verärgerung. Aber er fand keine. Die Albin wandte sich ab und beide gingen weiter. Bald erreichten sie das Ufer des kleinen Sees, in den die feine weiße Gischt des Wasserfalls hineinströmte. Der Wind wehte Kellen ein paar der unzähligen kleinen Tröpfchen ins Gesicht.

      „Du bist ein Mensch, Kellen“, sagte die Albin.“ Aber es scheint mir, dass du klüger bist als viele Alben. Deine Antwort ist richtig. Wir sind keine Götter und auch, wenn wir die Vollkommenheit anstreben, sind wir weiter von ihr entfernt als jemals zuvor.“

      Ihr Lächeln verschwand und ihre Augen glänzten. Sie weinte nicht, aber ihr göttliches Gesicht zeigte die Trauer unendlicher Jahrhunderte. Als müsse Larinil allein das Leid der Ewigkeit tragen.

      Sie sah hinab in das tiefe Blau des kleinen Sees. Kellen folgte ihrem Blick. Das Wasser war rein und vollkommen. Der Häuptling erkannte einen Schimmer, ein mattes Glänzen, das vom Grund des Sees kam. Als wäre der Boden über und über mit silbernen Metallspänen bedeckt.

      „Ihr Kelten verehrt eure Ahnen. Ich habe gehört, dass es eine Nacht im Jahr gibt, in der ihr Essen und Trinken vor die Türen der Hütten stellt, weil ihr glaubt, dass die Toten zurückkehren.“

      „Ein weit verbreiteter Brauch“, entgegnete Kellen. „Aber mir ist nie einer meinen hochverehrten Ahnen begegnet. Ich hätte ihnen gerne ein paar Fragen gestellt.“

      Larinil nickte. Aber sie lachte nicht. Ihr Blick ruhte weiter auf dem Grund des Sees.

      „Auch unsere Toten kehren nie zurück. Hier an diesem See, erinnern wir uns an sie. Der Glanz, den du durch das Wasser


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