Lichtsturm. Mark Lanvall

Lichtsturm - Mark Lanvall


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fuhr herum: „Alben?“, rief er mit einer Mischung aus Entsetzen und Ekel.

      Auch Kellen war überrascht. Alben, das waren Geisterwesen aus der Anderswelt! Manche fürchteten sie, andere beteten sie an. Die Druiden brachten ihnen Opfer. Aber Kellen kannte niemanden, der je einen Alben gesehen hatte. Es gab sie nicht wirklich. Sie standen für all das, was nicht erklärt werden konnte. Für heimtückische Krankheiten, manchmal auch für glückliche Fügungen. Kellen hatte nie an sie geglaubt.

      Andererseits: Nach allem, was Kellen hier in Galandwyn erlebt und gesehen hatte, hielt er auch Alben nicht mehr für völlig unmöglich.

      Morcant fuhr fort: „Lichtwesen oder Alben. Beides hat dieselbe Bedeutung. Aber es ist auch nicht wichtig, wie wir sie nennen. Wichtig ist, dass sie unsere Freundschaft suchen. Das ist offensichtlich. Bei den Göttern! Wer möchte auf solche mächtigen Verbündeten verzichten.“

      Domhnall schnaufte. Es fiel ihm schwer, sein Unbehagen zu verbergen. Ihm war offenbar wichtig, mit wem er es hier zu tun hatte, dachte Kellen. Domhnall war ein Krieger - sicherlich schlauer als Murddin oder Breac - aber trotzdem noch ein Krieger. Und als solcher mochte er vermutlich keine Wesen mit übermenschlichen Fähigkeiten und Absichten, die im Dunkeln lagen. Kellen konnte das ein gutes Stück weit nachvollziehen. Auch sein Verstand riet ihm zur Vorsicht.

      Sein Herz aber war zugleich fasziniert von der Schönheit Larinils, von dieser unglaublichen Burg und von der Rätselhaftigkeit der Alben. Seine Neugier war groß. Er wollte mehr wissen und mehr sehen. Es war ein Drang, den er nicht unterdrücken konnte. Allein das sprach eindeutig gegen Domhnalls Rat, zu fliehen.

      Fürst Morcant legte die Hand auf die Schulter des Kriegers und sah ihn ernst an. „Ich kann von dir nicht verlangen, auf mein Urteil zu vertrauen, Domhnall. Vor zwei Tagen lag ich so falsch, dass es Murddin und Ardric den Tod gebracht hat. Und auch wir wären fast getötet worden.“

      Er schluckte. Und wieder war da diese Traurigkeit in seinen Augen. „Ich verlange es von dir nicht als Fürst. Aber ich bitte dich als Freund: Glaube mir! Die Alben wollen nichts Böses. Ich weiß das, weil ich ihnen schon begegnet bin.“

      Kellen lag an diesem Abend lange wach. Seine Gedanken kreisten um Morcant. Was war mit dem Fürsten geschehen? Seit er auf der Albenburg war, schien es, als wäre eine Blockade in seinem Herzen gebrochen. Da war ein Hauch Wärme, wo sonst nur Kälte Platz hatte. Da war Glut in den sonst so eiskalten Augen. Kellen ahnte, warum: Morcant malte sich in glanzvollen Bildern aus, was seinem Stamm ein Bündnis mit den Alben bringen könnte. Sichere Handelsrouten in den Süden. Deshalb noch mehr Wohlstand, Macht und das, was er am meisten suchte: Ordnung. Möglicherweise träumte der Fürst sogar von einem keltischen Reich unter seiner Herrschaft, das sich sogar mit den Etruskern vergleichen konnte. Das war es wohl. So schloss sich der Kreis.

      Morcant hatte auf der Galerie im Gartenhof seine Geschichte erzählt: Als junger Fürstensohn - er war nur dritter in der Rangfolge - reiste er mit einer Gruppe Händlern über die Großen Berge in das warme, fruchtbare und wohlhabende Land der Etrusker. Die Städte, die Kunst, das Essen und ein ausgeprägter Sinn für Ordnung im Chaos des menschlichen Lebens verfehlten nicht ihre Wirkung. Morcant war beeindruckt von einer Zivilisation, die der seines eigenen Volkes haushoch überlegen war. Von Festungen aus Stein, die mehrere Stockwerke hoch waren und von ganzen Dörfern am Meer, die nur zu einem Zweck gebaut worden waren: zur Verhüttung von Eisen. Er rang mit sich: Sollte er bleiben und Teil dieses großartigen Volkes werden? Oder war es seine Aufgabe, etwas von dieser Ordnung mit nach Hause zu nehmen, um dort, nördlich der Großen Berge, eine Pflanze zu säen, die eines Tages großartige Früchte tragen könnte? Die Entscheidung nahm ihm eine junge Etruskerin ab, in die er sich verliebte und die er heiratete. Sie siedelten am Ufer eines Flusses. Als geschickter Vermittler von Geschäften zwischen etruskischen und griechischen Händlern auf der einen und keltischen und germanischen Händlern auf der anderen Seite, brachte er es zu Wohlstand. Das Paar bekam einen Sohn. Morcant war glücklich.

      Dann aber kam es zur Katastrophe. Die Streitigkeiten der Etrusker mit dem Volk der Latiner im Süden eskalierten. Soldaten fielen ins Land ein und töteten, was ihnen vor die Schwertspitze kam. Morcants Frau und Sohn gehörten zu den Opfern, sein Hof wurde niedergebrannt. Morcant war zu dieser Zeit auf Reisen an der Ostküste und kehrte erst Tage später zur verkohlten Ruine seines Hauses zurück. Und zu zwei frischen Gräbern.

      Von Zorn, Trauer und Schuldgefühlen fast wahnsinnig, brach er in Richtung Norden auf. Ihm war nichts mehr geblieben, für das es sich zu leben lohnte. Allein die alte Heimat jenseits der hohen Gipfel hatten noch eine Bedeutung für ihn - ein verschwommenes Ziel, auf das er sich zubewegen konnte. Aber die Wahrheit war, dass er es gar nicht erreichen wollte. Was er wirklich suchte, das war der Tod. Er trug nur leichte etruskische Kleidung, ein feingliedriges Kettenhemd und ein Schwert, als er in die Berge vordrang und schließlich den ersten Pass im Süden erreichte. Seine Vorräte waren bald ebenso aufgezehrt wie seine Kräfte. Er war dem Tode nahe, als ihn eine Gruppe Alben fand - angeführt von einem älteren Mann, der über heilende Kräfte verfügte. Die Alben stellten ihm Fragen, wollten wissen, was ihn bewege, mit welchen inneren Dämonen er kämpfe. Aus einem seltsamen Grunde waren sie interessiert an diesem verzweifelten Fürsten. Schließlich kümmerten sie sich um ihn, statteten ihn mit einem kräftigen Pferd und Verpflegung aus und ließen ihn ziehen.

      Für Morcant änderte das alles. Er hatte damals die Dunkelheit gesucht, wollte sterben. Und dann waren da plötzlich diese übermenschlichen Lichtwesen, die den ersehnten Tod nicht zuließen. Boten der Götter, anders konnte es nicht sein. Morcant hatte in dieser Welt eine Aufgabe zu erfüllen, eine Aufgabe, die ihm die Götter aufgetragen hatten. Alles passte zusammen. Göttliche Ordnung, Blüte, Macht - all das hatte er seinem Volk bringen wollen, als er Jahre davor losgezogen war. Von Anfang an war das seine Bestimmung gewesen. Die Alben hatten ihn auf den richtigen Pfad zurückgeführt.

      Und tatsächlich erreichte er seinen Stamm - nur wenige Tage, nachdem der Fürst, sein älterer Bruder, an einer schweren Krankheit gestorben war. Da ein weiterer Bruder bereits Jahre zuvor in einem Kampf gefallen war, erhielt nun Morcant die Fürstenwürde. Nun konnte er sie erfüllen, seine göttliche Aufgabe - mit aller Hingabe und Kraft.

      Kellen konnte sich vorstellen, was nun in Morcant vor sich gehen musste. Die Alben hatten ihn ein weiteres Mal gerettet und sogar mit in ihre Burg genommen - ein Bauwerk, das sogar die der etruskischen Städte an Größe und Schönheit in den Schatten stellte. Für Morcant konnte es keinen Zweifel geben: Die Götter hatten Großes mit ihm und seinem Volk vor.

      Kellen dagegen war sich da nicht so sicher. Die Alben waren keine Götter. Sie machten Fehler. Larinil hatte erzählt, dass sie Morcant, ihn und die anderen aus den Augen verloren hatte. Und, dass sie ihn nur mit viel Glück hatte retten können. Und warum nannten sie ihre Burg Galandwyn, die Zuflucht? Etwas bedrohte sie. Wie mächtig musste diese Bedrohung sein, dass sich sogar Wesen wie die Alben in einer Gebirgsschlucht verschanzten?

      Da war ein Geräusch an der Tür. Kellen erstarrte. Es war spät. Draußen war es stockdunkel und Larinil wollte erst am folgenden Tag wieder zu ihm kommen. Schnell griff er zu seinem Schwert, das er neben seinem Lager gegen den kleinen Tisch gelehnt hatte. Dann schob er die Decke beiseite und erhob sich vorsichtig.

      Die Tür öffnete sich - langsam, nur einen Spalt breit. Es war totenstill. Kellen wagte kaum, zu atmen. Wer auch immer da an der Tür war, er wartete ab, lauschte und spähte ins Dunkle. Hatte er bemerkt, dass der Häuptling bereits auf den Beinen und bewaffnet war? Wohl kaum. Sonst wäre er bereits geflohen oder zum Angriff übergegangen. Kellen entschied, stillzuhalten.

      Ein leises Knarren. Die Tür ging weiter auf. Kellen erkannte die Umrisse einer großen Gestalt. Ein massiger Kopf schob sich unter den Türrahmen. Jetzt! Kellen sprang vor und warf sich gegen die Tür. Das feste Holz traf die Gestalt mit voller Wucht. Der Häuptling hörte, wie jemand stöhnend zu Boden ging. Dann riss er die Tür auf und war im nächsten Moment mit gestreckter Schwerthand über seinem Gegner. Fahles Mondlicht fiel auf das schmerzverzerrte Gesicht von ...

      „Domhnall! Bei den Ahnen. Warum schleichst du dich wie ein Dieb in mein Zimmer?“

      Der große Krieger unterdrückte ein Husten, dann


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