Das schwarze Geheimnis der weißen Dame. Kolja Menning
da?«, sagte Marie unwirsch. »Porno-Akte?«
»Ja, Mensch, haste denn gar nich’ reingeguckt?«, fragte Moncourt, »Da war’n doch Nacktfotos von Goldbergs Alter drin! Mann, ich versteh’ echt nich’, wieso er die abgemurkst hat! Mir wär’ da was Bess’res eingefallen. Mir fällt nur Eine ein, die noch heißer ist!«
Der Blick, mit dem Moncourt Marie bedachte, ließ keinen Zweifel daran, wer diese Eine war.
»Du hast schon wirklich eine charmante Art«, bemerkte Marie.
»Find’ste wirklich?«
»Oh, ja! Ich find’s sehr verführerisch, wie du so elegante Wörter wie ›Porno‹ oder ›Alte‹ einfließen lässt. Auch die unmissverständlichen Anspielungen, was du mit anderen Frauen machen würdest – das kommt bestimmt gut an. Wie ist denn deine Quote so im Moment? Ich bin sicher, die Frauen fressen dir aus der Hand.«
»Ha, ha«, machte Moncourt.
»Wo du schon mal da bist«, sagte Marie, »kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Noch einen?«
Marie nickte.
»Klar«, erwiderte Moncourt. »Stets zu Diensten. Jegliche Art von Diensten übrigens, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Beim besten Willen nicht«, erwiderte Marie und verdrehte die Augen.
Im Grunde genommen hatte sie nichts gegen Moncourt. Im Gegenteil, es war eigentlich immer erheiternd mit ihm. Auch wenn ihm klar sein musste, dass es nie dazu kommen würde, zweifelte Marie nicht daran, dass Moncourt wirklich gern mit ihr ins Bett gegangen wäre. Im Gegensatz zu anderen übertrat Moncourt jedoch keine Grenzen. Er wurde nie belästigend, weder verbal noch körperlich.
Moncourt grinste, als er Maries Reaktion sah. Dann wurde er wieder ernst und fragte:
»Was darf’s denn diesmal sein, Herzchen?«
»Kannst du JB mal von seinem Platz weglocken? Ich will mal sehen, ob er irgendwelche Unterlagen rumliegen hat, aus denen hervorgeht, was er bisher erreicht hat.«
»Ohne dass er’s merkt.«
»Genau.«
Moncourt sah sie einen Moment lang prüfend an.
»Hast Glück«, bemerkte er dann. »Kurz bevor du kamst, hab’ ich de Montfort mit Berti zum Mittagessen gehen sehen.«
»Mit Hauptkommissar Bertillon?«
Moncourt nickte. »Sollten erst in zwei, drei Stündchen zurück sein. Hast also Zeit.«
Er grinste, wandte sich ab und schlenderte davon.
Dennoch beeilte Marie sich – und tat gut daran. Sie begab sich zu Jean-Baptistes Schreibtisch und hatte doppeltes Glück: Erstens waren die umliegenden Arbeitsplätze ebenfalls verlassen, sodass Marie unbeobachtet war. Zweitens war Jean-Baptistes Schreibtisch von einer Fülle an Dokumenten und Blättern bedeckt. Schnell raffte Marie alles zusammen und eilte zum nächsten Kopierer. Nervös blickte sie um sich, während ein Blatt nach dem anderen durch die Maschine gezogen wurde. Schließlich verstaute sie die Kopien in einer Tasche und eilte zu Jean-Baptistes Schreibtisch zurück. Sie bemühte sich, alles wieder in etwa so hinzulegen, wie sie es vorgefunden hatte. Als sie gerade fertig war und aufblickte, sah sie Jean-Baptiste am Ende des Raumes durch die Tür treten. Seine Aufmerksamkeit galt einer Kaffeetasse in seiner Hand, was Marie ein paar Sekunden gab, um sich von Jean-Baptistes Arbeitsplatz immerhin so weit zu entfernen, dass nicht offensichtlich war, wo sie sich befunden hatte.
Das ist gerade noch mal gut gegangen, dachte Marie. Sie schritt dem Ausgang entgegen und grüßte Jean-Baptiste betont gleichgültig. Innerlich atmete sie erleichtert aus.
Als Marie das kleine italienische Restaurant im 19. Arrondissement von Paris betrat, war Anne Delacourt schon da. Im Gegensatz zum Freitag war die Mod’éco-Gründerin deutlich gefasster.
»Wie kommen Sie voran?«, begann Delacourt das Gespräch, nachdem sie ein Risotto und Marie Penne all’Arrabbiata bestellt hatten.
»Nun«, erwiderte Marie, »von Vorankommen kann bisher keine Rede sein. Aber ich habe ja auch gerade erst angefangen. Eine Sache ist mir jedoch aufgefallen, bei der Sie mir vielleicht weiterhelfen können. Ihrem Mann scheint es sehr wichtig zu sein, dass diese Sache aufgeklärt wird. Sonst hätte er mich nicht mit den Nachforschungen beauftragt. Ich habe jetzt mit jedem Mitglied des Mod’éco-Managementteams gesprochen. Ich kann mich nicht gegen den Eindruck wehren, dass es Ihren Kollegen fast gleichgültig ist, ob der Insider entlarvt wird oder nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch, alle sind sehr kooperativ – aber es wundert mich schon.«
»Wissen Sie«, begann Delacourt nach kurzem Zögern, »Philippe ist nicht wie wir anderen. Er kommt aus einer alten Familie und legt Wert auf alte Werte. Natürlich haben wir bei Mod’éco auch Werte. Aber wir blicken mehr nach vorn. Was passé ist, ist passé.«
»Stört es Sie gar nicht, dass sich womöglich einer Ihrer Kollegen illegal bereichert hat?«
»Ich vertraue jedem Einzelnen meiner Kollegen blind«, entgegnete Delacourt. »Sollte hier tatsächlich einer von ihnen sein Wissen missbraucht haben, gibt es für mich zwei Gründe, das nicht unbedingt wissen zu wollen: Erstens bin ich überzeugt, dass dieser Kollege – oder diese Kollegin – dies nur getan hat, weil er oder sie in einer Notsituation war und das Geld dringend brauchte. Zweitens glauben wir bei Mod’éco an das Recht, Fehler zu machen. Aber da ist Philippe schon immer anderer Meinung gewesen.«
Marie fragte sich, ob die elegante Frau ihr gegenüber das nur auf Berufliches bezog.
In diesem Moment brachte ein junger Kellner das Essen, zwei Gläser, eine Flasche Wasser und einen Korb mit frischem Brot.
»Danke, Marcello«, sagte die Mod’éco-Chefin. »Das sieht köstlich aus!«
Der junge Mann errötete leicht, brachte aber ein höfliches »Guten Appetit« zustande. Er entfernte sich wieder, und Delacourt lächelte, während sie ihm nachblickte.
»Woher kennen Sie ihn?«, fragte Marie.
Delacourt wandte sich wieder ihr zu.
»Er hat vor ein paar Jahren bei Mod’éco gearbeitet. Ein fleißiger junger Mann. Dann hat er uns verlassen, um sich einen Traum zu erfüllen: ein italienisches Restaurant in Paris. Eigentlich heißt er Marcel. Seine Freundin kommt aus Sizilien. Seit sie hier angefangen haben, komme ich regelmäßig, um sie ein bisschen zu unterstützen. Wäre Marcel bei Mod’éco geblieben, hätte er mehr verdient und ein leichteres Leben gehabt, aber ich bewundere Leute, die ihrer Leidenschaft folgen.«
»Was ist Ihre Leidenschaft?«
»Mod’éco«, erwiderte Delacourt.
»Und sonst?«
»Sonst? Nichts.«
»Wie kommt’s?«, fragte Marie.
»Sehen Sie, ich habe meinen Mann kennengelernt, als ich gerade Abitur machte. Zwei Jahre später haben wir geheiratet. Da Philippe aus einer reichen, traditionellen Familie stammt, war von vornherein klar, dass ich nicht zu arbeiten brauchen würde. Ich begann aus Spaß ein Kunststudium, brach es nach drei Semestern ab, kümmerte mich sechs Monate um den Haushalt und versuchte mich dann auf der École du Louvre. Aber auch das habe ich nach einem Jahr wieder abgebrochen. Hauptsächlich Philippe zuliebe, um mich voll und ganz um die Familie kümmern zu können, die es jedoch erst zu gründen galt. Tja, und daraus sollte nie etwas werden.«
Delacourt lächelte bitter und widmete sich ihrem Risotto. Marie überließ sie einen Augenblick ihren Gedanken. Ob die Beziehung von Anne und Philippe Delacourt daran zerbrochen war, dass es keine Kinder gegeben hatte?
»Fragen Sie schon!«, forderte die Mod’éco-Gründerin Marie auf, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Ich sehe Ihnen an, dass Sie wissen wollen, wie sich das auf unsere Ehe ausgewirkt hat.«
»Hat es das?«
»Eindeutig.