Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936. Conrad H. von Sengbusch
wir einmal einen Kabelbrand in der Schiffbauhalle hatten. Ich muss aber betonen, das war vor meiner Zeit und ich kann nur vermuten, dass an der Geschichte etwas wahr war. Es musste also schnellstens die Werkhalle vom Netz getrennt werden, wofür in der Halle an den Verteilern entsprechende Hauptschalter vorgesehen waren. Auf der Werft wurden aber in Notsituationen immer „ganze Einsätze“ bevorzugt, also die rabiateste Lösung gesucht: In der Transformatorstation gab es unter der Decke Stromschienen, bei denen man durch einen Messer-Trennschalter die ganze Anlage für Wartungs- und Reparaturarbeiten abschalten konnte. Dieser Schalter war durch ein Gestänge und ein Vorhängeschloss gegen unsachgemäße Eingriffe gesichert. Nun, unser Meister soll nicht lange gefackelt haben, schloss das Vorhängeschloss auf, griff sich die lange, gegen Hochspannung isolierte Stange, die wie eine mittelalterliche Turnierlanze aussah, hielt sich seine Mütze als Blendschutz vor die Augen und ... zog den Trennschalter unter voller Last. Das soll man nicht tun, aber „Not kennt kein Gebot“. Der Zeitzeuge berichtete und überlieferte, dass es einen riesigen Knall und Blitz gab und flüssiges Metall von den geschmolzenen Messerkontakten von der Decke regnete. Der Meister hatte die Situation wahrlich „im Griff“ gehabt!
Schauder jagte einem auch der Aufenthalt im Kompressorraum ein: Hier wurde die Pressluft erzeugt, die überall auf der Werft zum Säubern, Bohren, Nieten und mehr gebraucht wurde und die stets auf Druck gehalten werden musste. Ganz still war es hier. Doch urplötzlich und nie im Voraus berechenbar, aber immer dann, wenn im Windkessel der Druck abfiel, sprangen mit einem peitschenartigen, unwahrscheinlich lautem Knall die schweren KJELLBERG-Kompressoren an. Es war, als hätte einem heimlich Gevatter „Hein Klapperbeen“ von hinten auf die Schulter geklopft, und man fuhr unwillkürlich in sich zusammen. Meinen Lehrkollegen erging es da nicht anders. Hielt man sich länger in diesem Raum auf, dann glaubte man, in dem gewaltigen Geräuschpegel Stimmen zu hören.
Nach einigen weiteren Wochen bekamen wir neue Aufgaben. Für den Betrieb reparierte ich jetzt Kraftkabel und lernte das Verzinnen von Kupferschienen. Die Kupferschienen wurden für den Schalttafelbau benötigt. Dazu wurden sie in den Schraubstock gespannt und das überstehende Ende mit „FIXOTIN“, einer grauen Flüssigkeit bestrichen, die eine lötwasserähnliche Substanz enthielt, in der Lötzinn in Pulverform enthalten war. Dann wurden die Kupferschienen von unten vorsichtig mit dem Schweißbrenner erwärmt, und wenn sich auf der Oberfläche ein Brodeln abzeichnete, mit einem Lappen die ganze Fläche in einem Arbeitsgang abgewischt. Das ergab dann ein gleichmäßiges silbern glänzendes Bild.
Immer mehr wurden wir gefordert. Nun ging es auch schon mal öfter an Bord der Havaristen. Das Motorschiff MS „ARKTIS“ der EDWG (Erste Deutsche Walfang-Gesellschaft) meldete die E-Anlage unklar. Hier reparierten wir die Speisewasserpumpe und den Hilfskompressor und brachten auch den 32-kW-Umformer wieder zum Laufen.
Dann mussten zur Abwechslung mal wieder Kabel auf Neubauten verlegt werden, eine reine Schlosserarbeit, zumindest auf den Schiffen. Hierzu mussten oft Hunderte von 5,2-mm-Löchern gebohrt werden, dann wurden M-6-Gewinde geschnitten oder je nach Verlegungsart auch Kabelbahnen, Böcke und Kabelschellen gefertigt. Die Kabel wurden je nach Montageart in wohlgeordneten Bündeln direkt auf den Schotten verlegt, und dort, wo Schotten nicht angebohrt werden sollten, auch auf Kabelböcken oder auf Kabelbahnen, die mit den angeschweißten Böcken verschraubt wurden.
Das Verlegen der Kabel, das Anfertigen der dazu benötigten Schellen auf dem Schellenbock in der Werkstatt, das Anfertigen der Böcke und das Absetzen und Einführen der Kabel in die Armaturen (Schalter, Brennstellen, Verteiler, Motoren usw.) war Sache der Lehrlinge. Die Gesellen behielten sich das Verdrahten vor, was natürlich die interessantere und verantwortungsvollere Arbeit war.
Ab und zu gab es mal wieder einen außergewöhnlichen Auftrag: Unser Werftchef hatte sich mit den amerikanischen Lizenzgebern von COCA-COLA liiert und war mit einer Abfüllanlage in das Getränkegeschäft eingestiegen. Über das Wochenende mussten wir die elektrischen Arbeiten an der Abfüllanlage erledigen, die hinter dem Deich in der Nähe der Kugelbake (Cuxhavens Wahrzeichen) aufgebaut worden war. Zwar kostete damals eine Flasche COCA-COLA nur 25 Pfennige, aber entsprechend gering war auch unser Lehrlingslohn. Alle Werftleute hatten nun eine Zeitlang das Glück, täglich drei Flaschen des erfischenden Getränks umsonst zu bekommen. Der Grund für die Freizügigkeit unseres Firmeninhabers war das knallharte amerikanische Prinzip des „Franchising“. Das bedeutete für den Lizenznehmer, dass er täglich mindestens 25.000 Flaschen absetzen musste, und das zu jeder Jahreszeit! Nun braucht ja jede neue Firma erst einmal eine Anlaufzeit, aber darauf nahmen die Amerikaner keine Rücksicht. Im Sommer gab es bei den 40.000 Kurgästen kein Problem mit dem Absatz, im Herbst und Winter mussten wir dann aushelfen und taten es gerne. Bei 700 Mann Belegschaft wurden so täglich 2.100 Flaschen des coffeinhaltigen Getränks verteilt.
Zu Zeiten mit weniger Arbeitsanfall wurden wir auch mal tage- oder wochenweise „verborgt“. So kam ich dann eines Tages zur DEBEG (Deutsche Betriebs-Gesellschaft für drahtlose Telegrafie), die ja vorher keine Lehrstelle für mich hatte. Auf dem FD (Fischdampfer) „Österreich“ mussten Kabel für die Stromversorgung der FT(Funk-Telegrafie)-Anlage neu verlegt werden. Arbeiten auf Fischdampfern waren nicht sonderlich beliebt, besonders dann, wenn Reparaturen im Laderaum anstanden. Obwohl die Räume nach dem Löschen mit Heißdampf gewaschen wurden, haftete noch eine glibberige, streng nach Fisch riechende Masse an den hölzernen Verschalungen, und hierauf wurden dann in Rohren die Kabel zum Vorschiff verlegt. Der Fischgeruch haftete penetrant in den Haaren, auf der Haut, in der Kleidung und selbst an den Schuhsohlen. Da konnte man sich abends dreimal die Hände mit unserem aggressiven Reinigungsmittel „P 3“, dass bei kleinen Riss- und Schürfwunden so gemein brannte, die Hände waschen, der Geruch blieb und verfolgte uns auch noch nach Feierabend.
Die Zuarbeit zur DEBEG war sehr angenehm. Ich arbeitete an der Funkanlage, kam natürlich in die Funkbuden und mit den Funkern ins Gespräch und war meinem Hobby sehr nahe. Das Morsen hatte ich noch in der Schulzeit beim schon erwähnten Ernst Reinartz, einem alten Marinefunker, gelernt. Als Gegenleistung half ich ihm in den Ferien aus, in denen wir natürlich nicht verreisten, wovon auch? Aber wir lebten ja in einem Kurort und konnten an allen Veranstaltungen für die Kurgäste teilhaben. Ernst Reinartz hatte immer Aufgaben für mich: Ich reparierte für ihn Fahrräder, während er sich mit der Reparatur von Nähmaschinen und Radiogeräten befasste. Auch ein kleines Taschengeld bekam ich von ihm, nämlich ganze zwei (!) Mark pro Woche! Schließlich kam er auf den Gedanken, dass ich auch die Außenstände, natürlich nur bei den besonders harten säumigen Zahlern, für ihn eintreiben könnte. Seine damals nicht gerade vermögende Kundschaft wohnte in einer gefürchteten Ecke unserer Stadt, die damals als „Klein Moskau“ verschrien war. Eigentlich war es nur ein tristes, langes, grau verputztes Wohngebäude, eher eine Mietskaserne. In diesem Haus fristeten unglückliche Existenzen und Familien mit vielen Kindern ein freudloses Dasein. Als ich dann in dieser Umgebung bei einer resoluten, rothaarigen Dame die ausstehenden 12,50 Mark einforderte, zeigte sie sich sehr freundlich und bezahlte, merkte sie vielleicht auch, dass R. mich vorgeschickt hatte. Ich bekam das Geld problemlos, quittierte den Erhalt und lieferte es bei dem Oldie ab. Schlitzohrig erzählt er so nebenbei, dass die Kundin gerade aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Sie hatte ihrem Mann im Streit Pfeffer in die Augen geblasen... Fortan sagte ich Ernst R., würde ich lieber auf solche Botengänge verzichten...
Doch wieder zurück an Bord: Mit den Funkern hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Das waren in der Mehrzahl sensible, hagere Typen. Meistens waren sie über alle Maßen nervös und oft nach fünfzehn Jahren Dienst „am Ende“. Sie rauchten viel. Einige waren in ihrer Freizeit auch Funkamateure wie ich. Auf den isländischen Fischdampfern war es sogar üblich, dass auch Frauen an Bord mitfahren durften, sei es als Stewardessen, manchmal auch nur als Ehefrauen der Besatzungsmitglieder, später auch als Funkerinnen. Auf deutschen Schiffen wurde das erst später geduldet. Frauen an Bord brächten Unglück, war die Meinung der abergläubischen Seefahrer. Die Funker an Bord waren in einzelnen Fällen auch gleichzeitig „storekeeper“ und „purser“. Sie versorgten das Schiff auf Anforderung mit Proviant und verwalteten das Freilager (Alkohol, Zigaretten, Tabak, etc.). Auch waren sie die „Bank“ an Bord und versorgten die Mannschaft gegen einen „Ziehschein“ (Quittung für die Belastung des Heuerkontos) in den Häfen mit Devisen. Sympathien sind eine gute Sache, und Funkamateure waren damals noch handverlesen. Da kam es schon mal vor, dass für mich eine angebrochene