Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936. Conrad H. von Sengbusch

Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936 - Conrad H. von Sengbusch


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gelitten hatten. In der Schule hieß ich dann folgerichtig bei den Mitschülern auch immer nur „Der Oodl“. So schrieb dann auch mein Lehrer noch den kleinen Nachsatz in mein Zeugnis vom 22. Juli 1950: „Conrad gibt sich Mühe, er könnte jedoch mehr leisten.“

      Die nächste Entscheidung stand schon an: Oberschule oder Beruf? Arbeit gab es damals in der DDR genug. Und so kamen die Genossen der Berufsberatung schon zu Beginn der Abschlussklasse in die Schule, um die Berufswünsche der 13- oder 14-jährigen Schüler zu notieren und zu registrieren, um sie dann umgehend in das System der Sozialistischen Planwirtschaft integrieren zu können. Ich meldete die Absicht, später einmal zur Oberschule gehen zu wollen. Selbst als Angehöriger einer ehemals privilegierten Schicht hätte ich da unter Umständen noch eine Chance gehabt. Aber auch im Land der Arbeiter und Bauern ging nichts ohne Gegenleistung. Der alte lateinische Spruch oder besser die deutsche Übersetzung „Ich gebe, damit Du gibst“, war auch bei den Funktionären bekannt. Die wussten natürlich, dass mein Vater einst Inhaber einer Mechanischen Seilerei und Netzfabrik und von Beruf Textilingenieur war. Auch sein Fachwissen auf dem Gebiet der Monofile oder Kunstfasern schien in der DDR bekannt zu sein. Genau solche Leute wurden damals im „Zellwollwerk Schwarza“ benötigt. „Ja, käme Dein Vater in die DDR zurück, könntest Du zur Oberschule gehen“, sagte man mir. Mein Vater tat mir den Gefallen aber nicht, waren seine Brüder doch gerade erst aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Es gab eben zu viele Beispiele, wo Angehörige auch unserer Familie in die Sowjetunion verschleppt worden waren und niemals oder erst nach 1950 wieder zurückkamen.

      Da ich von 1947 bis 1949 bei meinem Vater in Geesthacht lebte und direkt an der Elbe aufwuchs, interessierte ich mich sehr für den Schiffbau. Vielleicht spielten da auch die Gene mit, denn meine Vorfahren im Baltikum waren erfolgreiche Großkaufleute und Reeder gewesen. Also notierten die allwissenden Berufsfindungsfunktionäre: Conrad H. von S., Schiffbauer, Warnowwerft Warnemünde, Lehrlingsheim mit Internat. Alles war damals in der DDR bis ins Detail geregelt. Selbst eine Kontrollkarte wurde gleich angelegt, so dass nach der Schule kaum Zeit verging, um in den Arbeitsprozess und in die Reihen der Werktätigen aufgenommen zu werden.

      Der Neubeginn in Westdeutschland, 1950-1953

      Irgendwann erkannten wohl auch meine Eltern, dass es für das Wohl der vier Kinder nicht förderlich war, nun schon mehr als vier Jahre getrennt zu leben und hatten sich entschlossen, die Familie wieder zusammenzuführen. Gewiss, mein Vater hatte es in den Nachkriegsjahren zu keinem Wohlstand gebracht, hatte aber sein Auskommen bei einem Institut in Cuxhaven gefunden. Er fristete sein Dasein als „Technischer Angestellter“, wobei er stets in neue Forschungsvorhaben der Langzeiterprobung von Nylon- und Perlongarnen eingebunden war. Wie das Leben so spielt, war mein Vater im Krieg u. a. Obermeister seines Fachs im damaligen Gau Danzig-Westpreußen, wohin man uns Reichs- und Baltendeutsche umgesiedelt hatte. Und nun war sein Institutsleiter der Mann, den er früher in seinem Betrieb ausgebildet hatte...

      Kurzum, in monatelanger Arbeit verpackte meine Mutter unseren ganzen Hausrat in 20-kg-Pakete, die wir Tag für Tag zur Post schleppten: Die Nähmaschine, der Volksempfänger, Bettzeug, Kleidung, Geschirr und was noch alles dazugehörte, alles wurde in imprägnierte Gasplanen aus Ölpapier, die es damals noch aus Wehrmachts-Restbeständen gab, verpackt. Alles kam wie durch ein Wunder ohne Verlust in Cuxhaven an, wo es mein Vater in den Lagerräumen des Instituts stapelte.

      Irgendwie fiel aber einem Funktionär bei unserem Postamt in Zeulenroda auf, dass da offenbar eine Familie „rübermachen“ wollte, wie es so schön in der Thüringer Mundart hieß. Das wurde uns zugetragen, und da galt es nun, keine Zeit mehr zu verlieren. Meine Mutter verkaufte damals für ganze 300 Westmark zwei ihrer ererbten Felder und machte damit sicher einen großen Fehler. Aber wer konnte damals schon wissen, dass es nochmals eine Wiedervereinigung geben könnte?

      Bei Nacht und Nebel verließen wir mit dem Auto meines Onkels Zeulenroda und fuhren nach Berlin. Hier überschritten wir, nur mit dem Nötigsten ausgestattet und zusätzlich noch ein paar Blumentöpfen zur Tarnung in der Hand, unter den Augen der Volkspolizisten am Bahnhof Friedrichstraße die Grenze nach Westberlin. Wir quartierten uns bei einer windigen Wirtin in der Potsdamer Straße ein, die als erstes West-Bargeld sehen wollte. Jahre später erfuhr ich von Berliner Arbeitskollegen, dass es nicht die beste Gegend gewesen war, wo wir Logis genommen hatten. Nun begann für meine Mutter der Kampf um Flugkarten, um aus Berlin nach Westdeutschland zu gelangen. Dazu bedurfte es einiger Besuche bei der englischen Kommandantur. Schließlich schaffte sie es, uns im Rahmen der Familienzusammenführung mit der PANAM ausfliegen zu lassen. In Berlin am Tauentzien bekam ich damals übrigens meine ersten „Samba“-Schuhe mit dicker Kreppsohle, wie sie damals ultramodern waren.

      In Cuxhaven angekommen, hatten wir es nicht weit zur Wohnung, die ein reiner Behelf war: Im unmittelbar am Bahnhof gelegenen „Haus Atlantik“, in dem unten das große Fahrrad- und Radiogeschäft Schult untergebracht war, hatte mein Vater unter der Adresse Lehmkuhle 2 drei Büroräume angemietet, die alle mit einer Zwischentür verbunden waren und sonst auf den umlaufenden Gang mündeten. Es war ein echter Behelf, denn unsere sechsköpfige Familie musste auf der geringen Fläche, essen, schlafen, Schularbeiten machen und leben. So bekam mein Vater auch bald einen Baukostenzuschuss bewilligt, und nach ein paar Monaten hatte dieses Provisorium ein Ende. Wir zogen dann in die Schillerstraße in eine größere, wenn auch primitive Wohnung.

      Doch, wie sollte es nun weiter gehen? Ost und West hatten sich schon so weit entfernt, dass selbst die Schulsysteme unterschiedlich waren. In der Bundesrepublik galt noch das übernommene System: Der Wechsel zur Oberschule erfolgte nach der vierten Klasse in der Grundschule. Und weiter, die Schulen in der DDR endeten im Herbst und die in der BRD zu Ostern. Es wäre fast unmöglich gewesen, den gesamten Oberschul-Lehrstoff von vier Jahren in einem halben Jahr nachzuholen. Die Lehrstellen im Westen waren auch längst vergeben, so dass als einziger Ausweg blieb, den Anschluss an die Städtische Mittelschule zu finden. Aber Freunde, hätte ich damals gewusst, was da auf mich zukommt, ich wäre diesen dornenvollen Weg nicht gegangen. Da fällt gerade mein Blick auf einen Holzdruck, den ich mal auf einem Flohmarkt erstanden habe und der den alten Preußenkönig Friedrich den Großen zeigt, eingerahmt von dem Sinnspruch „Erst, wenn die Hoffnung zerrann, zeigt sich der Mann“. Die Zeichnung stammt übrigens aus der Feder von Hugo Feustel aus Greiz, nur achtzehn Kilometer von Zeulenroda entfernt und entstand in Jahre 1933. Nun, solche hehren Gedanken waren mir damals sicher fremd. Um nicht sitzen zu bleiben (Schande), kam ich zur Sicherheit nochmals in die achte Klasse und musste in einem halben (!) Jahr Deutsch, Englisch, Algebra, Mathematik, Geometrie, Geographie und Stenographie nachholen. Fast alles lernte ich im Alleingang mühsam nach, und einen wesentlichen Anteil des Erfolges verdanke ich meinem damaligen Schulfreund Hermann Walter B.

      Nur, wenn es einmal gar nicht weiter ging, bekam ich von einem unserer Lehrer Nachhilfe. Der „Satz“ war damals zwei Mark pro Stunde. Das war für meine Eltern im Jahre 1950 viel Geld. Mein Vater brachte für die sechsköpfige Familie ganze 378 DM pro Monat nach Hause, und die Miete betrug auch schon 40 DM.

      Es gab Zeiten, wo ich kurz vor dem Verzweifeln war: 23 Fehler in der Englischarbeit und 25 in der Berichtigung. Der Lehrerspott wegen meiner ungeschliffenen, thüringisch gefärbten Aussprache blieb nicht aus: „That´s no English, that´s Saxon English“ tönte meine Lehrerin, eine kleine, strenge, rothaarige Miss, mit der nicht zu spaßen war, übte sie doch gleichzeitig die Funktion der Konrektorin aus und war damit auch zuständig für Versetzungen in Grenzfällen... Hinzu kamen schlechte Noten in Deutsch: „Noch nicht ganz IV“, vermerkte da Lehrer M. trocken unter meinen Aufsätzen, und das war dann schon ein Fortschritt! Meist erntete ich nur „mangelhaft“ als Bewertung. Kompensieren konnte ich das nur mit immer wieder „guten“ Beurteilungen für das Vortragen von Gedichten. Gedichte und Zitate konnte ich, auch wenn sich nichts reimte, seitenweise auswendig lernen und ohne Pathos, aber lückenlos vortragen. Das visuelle Gedächtnis war mein Plus und brachte


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