Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Joseph Conrad

Jugend und Der Nigger vom


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ich. Er fuhr aber nicht vorbei, sondern fuhr herein, kam sogar ganz nahe und ging vor Anker. ‚Ich möchte‘, sagte der alte Mann, ‚dass Sie herausbringen, ob es ein Engländer ist. Vielleicht könnte er uns irgendwohin mitnehmen.‘ Er schien es übertrieben eilig zu haben, und so zwickte und stieß ich an einem meiner Leute herum, bis ich ihn in eine Art Wachtraum gebracht hatte, gab ihm ein Ruder in die Hand, nahm selbst das andere und hielt auf die Lichter des Dampfers zu.

      Stimmen, Gemurmel klang daraus, das Dröhnen von Metall aus dem Maschinenraum, Schritte auf Deck. Die Stückpforten leuchteten wie weit offene Augen. Schatten glitten umher, und hoch auf der Brücke sah man schattenhaft einen Mann stehen. Er hörte meine Ruderschläge.

       Und dann sprach, bevor ich noch den Mund auftun konnte, der Osten zu mir, doch es geschah in einer westlichen Stimme. Ein Wildbach von Worten strömte in das rätselhafte, schicksalschwere Schweigen hinaus; fremdländische, ärgerliche Worte, mit Worten und ganzen Sätzen in gutem Englisch untermischt, die zwar weniger fremdartig, jedoch noch überraschender klangen. Die Stimme fluchte und wetterte heftig. Der feierliche Friede der Bai verflog unter dem Schnellfeuer von Schimpfworten. Es begann damit, dass ich ein Schwein genannt wurde, und steigerte sich von da an bis zu unaussprechlichen Beiworten. – Auf Englisch. Der Mann dort oben tobte laut in zwei Sprachen und mit einer Unbefangenheit in seiner Wut, die mich fast davon überzeugte, dass ich mich auf irgendeine Weise gegen die Harmonie des Alls vergangen hatte. Ich konnte den Menschen kaum sehen, begann aber zu fürchten, er würde sich in Krämpfe hineinsteigern. Plötzlich brach er ab, und ich konnte hören, wie er wie ein Meerschwein schnarchte und pustete. Ich sagte: ‚Was für ein Dampfer ist das, bitte?‘

      ‚Wie, was ist das? Und wer sind Sie?‘

      ‚Schiffbrüchige Besatzung einer englischen Bark, die auf offener See verbrannt ist. Wir sind heute Nacht hier angekommen. Ich bin der Zweite Offizier. Der Kapitän ist im Langboot und wünscht zu wissen, ob Sie uns irgendwohin mitnehmen könnten!‘

      ‚Oh, du meine Güte! Ich sag's ja! ... Dies ist die ‚CELESTIAL‘ aus Singapore, auf der Heimreise. Ich will morgen früh mit Ihrem Kapitän alles ausmachen... und... na ja... haben Sie mich eben vorhin gehört?‘

      ‚Ich nehme an, dass die ganze Bai Sie gehört hat.‘

      ‚Ich hielt Sie für ein Boot vom Lande. Nun sehen Sie sich doch an – der verteufelte, faule Schuft von einem Wärter ist wieder schlafen gegangen. – Fluch über ihn! Das Licht ist aus, und ich wäre um ein Haar gegen das Ende dieses verdammten Quais hier gerannt. Das ist das dritte Mal, dass er mir den Streich spielt. Nun frage ich Sie, kann irgendjemand so etwas ertragen? Das ist doch wohl genug, um jeden Mann um den Verstand zu bringen? Ich will den Burschen anzeigen. Ich will den Regierungsvertreter dazu bringen, dass er ihn zum Teufel jagt. Beim...! Sehen Sie doch – es ist kein Licht da! Ausgegangen, oder? Ich nehme Sie zum Zeugen, dass das Licht ausgegangen ist. Es sollte ein Licht da sein, müssen Sie wissen, ein rotes Licht auf – …‘

      ‚Es war auch ein Licht da‘, bemerkte ich mild.

       ‚Aber es ist ausgegangen, Mensch! Was soll es für einen Wert haben, so herumzureden. Sie können ja selbst sehen, dass es ausgegangen ist, oder nicht? Wenn Sie einen wertvollen Dampfer an dieser gottverlassenen Küste entlangzuführen hätten, dann würden auch Sie ein Licht verlangen! Ich will den Burschen vom einen Ende seines elenden Quais bis zum anderen prügeln. Sie sollen sehen, ob ich das nicht tue. Ich will...‘

      ‚Ich darf also meinem Kapitän melden, dass Sie uns aufnehmen wollen‘ unterbrach ich ihn.

      ‚Jawohl, ich will Sie aufnehmen. Gute Nacht!‘ sagte er unvermittelt.

      Ich ruderte zurück, machte wieder am Quai fest und konnte dann endlich schlafen. Ich war dem Schweigen des Ostens gegenübergestanden. Ich hatte einiges von seiner Sprache gehört. Doch als ich meine Augen wieder aufschlug, war das Schweigen so vollkommen, als wäre es nie gebrochen worden. Ich lag in einem Meer von Licht, und nie zuvor war mir der Himmel so fern, so hoch erschienen. Ich öffnete die Augen und lag reglos.

       Und dann sah ich die Männer des Ostens – sie sahen mich an. Die ganze Länge des Quais war voll von Menschen. Ich sah braune, bronzefarbene, gelbe Gesichter, die schwarzen Augen, die glitzernde Buntheit einer östlichen Menge. – Und alle diese Wesen starrten ohne Murmeln, ohne einen Seufzer – ohne eine Bewegung nach mir. Sie starrten in die Boote hinunter, auf die schlafenden Männer, die während der Nacht von der See her zu ihnen gekommen waren. Nichts rührte sich. Die Palmenwedel standen still gegen den Himmel. Kein Zweig regte sich längs des Ufers, und die braunen Dächer verborgener Häuser lugten durch das grüne Laubwerk, durch die großen Blätter, die glänzend und still dahingen, als wären sie aus schwerem Metall geschmiedet. Das war der Osten, wie er den Seefahrern alter Zeiten erschienen sein mochte, so alt und geheimnisvoll, prächtig und düster, unverändert lebendig, voller Gefahr und Lockung. Und das waren die Menschen. Ich setzte mich mit einem Ruck auf. Eine Welle von Bewegung lief durch die Menge, über die Köpfe weg, schüttelte die Körper, lief den Quai entlang, in einem Wasserkräuseln, wie ein Windhauch über ein Feld – und alles war wieder reglos. Ich sehe es noch vor mir – den weiten Bogen der Bai, den leuchtenden Sand, die zahllosen Abstufungen von Grün, die See, blau wie ein Märchenmeer, die Menge aufmerksamer Gesichter, die vielen grellen Farben – das Wasser, das all das widerspiegelte, die Krümmung des Ufers, den Quai, das ausländische Fahrzeug mit dem hohen Heck und die drei Boote mit den müden westlichen Männern, die reglos schliefen, unbekümmert um das Land, die Leute und den heftigen Sonnenschein. Sie schliefen, quer über den Ruderbänken liegend, oder auf dem Bootsboden zusammengekrümmt, wie Tote. Dem alten Schiffer, der im Heck des Langboots lehnte, war der Kopf auf die Brust gesunken, und er sah aus, als wollte er nie wieder erwachen. Etwas weiter weg hielt der alte Mahon sein Gesicht dem Himmel zugekehrt, den langen weißen Bart über die Brust gebreitet, als wäre er dort am Steuerruder erschossen worden; und ein Mann schlief im Bug des Bootes zusammengekauert, hielt mit beiden Armen den Stevenlauf umfasst und lehnte die Wange gegen das Dollbord. Der Osten blickte lautlos auf sie herab.

      Ich habe seither seinen ganzen Zauber kennengelernt. Ich habe die geheimnisvollen Ufer gesehen, die stillen Wasser, die Länder der braunen Völker, wo eine tückische Nemesis auf der Lauer liegt und viele der Eroberer verfolgt und zur Strecke bringt, so viele, die stolz sind auf ihre Weisheit, auf ihr Wissen und auf ihre Kraft. Und doch liegt für mich der ganze Osten beschlossen in jenem ersten Anblick meiner Jugend. Für mich liegt er ganz im Augenblick, da ich meine jungen Augen zu ihm aufschlug. Ich kam zu ihm aus dem Kampf mit der See – und ich war jung – und sah, wie er mir ins Gesicht schaute. Und das ist alles, was mir davon geblieben ist; ein Augenblick, ein Augenblick der Kraft, der romantischen Verklärung – der Jugend! ... Ein kurzer Sonnenstrahl auf einem fremden Ufer, die Zeit für eine Erinnerung, für einen Seufzer und – Lebewohl! – Nacht – Lebewohl! ...“

      Er trank.

      „Oh, die gute alte Zeit, die gute alte Zeit – Jugend – und die See. Aller Zauber und die See! Die gute, starke See, die salzige, bittere See, die einem zuflüstern konnte, einem ins Gesicht brüllen und den Atem rauben!“

      Er trank wieder.

      „Es gibt nichts Herrlicheres als die See, finde ich, die See allein – oder macht es nur die Jugend? Wer kann es sagen? Doch ihr hier – ihr alle habt etwas vom Leben gehabt, Geld, Liebe – was immer man an Land erreicht – und, sagt mir, war es nicht die schönste Zeit, damals, als wir jung auf See waren? Jung waren und nichts besaßen, auf der See, die nichts gibt, außer harten Schlägen und mitunter einer Gelegenheit, sich der eigenen Kraft bewusst zu werden; ist es nicht das allein, was ihr alle bedauert?“

      Und wir alle nickten ihm zu. Der Finanzmann, der Buchhalter, der Rechtsanwalt, wir alle nickten ihm zu, über den polierten Tisch weg, der wie eine stille braune Wasserfläche unsere runzeligen, faltigen waren, während unsere müden Augen immer noch, immer noch ängstlich nach etwas jenseits des Lebens ausschauten, das, während es noch ersehnt wird, auch schon verflogen ist – ungesehen, in einem Seufzer, einem Aufblitzen verflogen ist – zugleich mit der Jugend, zugleich mit der Kraft und dem Zauber des Selbstbetruges.

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