Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Joseph Conrad

Jugend und Der Nigger vom


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Sie wissen ja!‘

      ‚Ja, ja! Uns geht es ganz leidlich.‘

      ‚Na, dann schön! Ich will euch in Singapore melden... Lebt wohl!‘ Er schwenkte die Hand. Unsere Leute setzten die Bündel langsam nieder. Der Dampfer fuhr an, verließ den Lichtkreis und verschwand uns sofort aus den Augen, die durch das hellbrennende Feuer geblendet waren. Und dann wusste ich, dass ich den Osten zum ersten Male als Befehlshaber eines kleinen Bootes sehen würde. Das kam mir herrlich vor; auch die Treue gegen das alte Schiff war herrlich. Wir sollten sein Ende mit ansehen. O Jugend mit deinem Feuer, das, blendender noch als die Flammen des brennenden Schiffs, ein Zauberlicht über die weite Erde wirft, kühn himmelan loht, um endlich doch durch die Zeit gelöscht zu werden, die grausamer, erbarmungsloser, bitterer ist als die See.

       Der alte Mann machte uns in seiner liebenswürdigen und unbeugsamen Art darauf aufmerksam, dass es einen Teil unserer Dienstpflichten bildete, für die Versicherung möglichst viel von der Ausrüstung des Schiffes zu retten. Demgemäß gingen wir also achtern an die Arbeit, während das Schiff vorne hell genug brannte, um uns dazu zu leuchten. Wir schleppten eine Menge Gerümpel heraus. Was retteten wir nicht alles! Ein altes Barometer, das mit einer unsinnigen Menge von Schrauben festgemacht war, kostete mir fast das Leben: plötzlich stieß mir eine Rauchwolke entgegen, und ich konnte mich gerade noch davonmachen. Es gab verschiedene Vorräte, Segeltuchballen und Tauwerksrollen; auf der Hütte sah es aus wie in einem Marinebazar, und die Boote waren bis zum Dollbord vollgestaut. Man hätte meinen können, dass der alte Mann so viel wie möglich von diesem seinem ersten Kommando mit sich nehmen wollte. Er war sehr, sehr ruhig, aber doch offenbar aus dem Gleichgewicht. Es war kaum zu glauben, er wollte ein Stück alte Stromankerkette und einen Warpanker in das Langboot mitnehmen. Wir sagten ehrfürchtig: ‚Zu Befehl, Sir‘, und ließen dann das Zeug heimlich über Bord fallen. Der schwere Arzneikasten nahm den gleichen Weg, zwei Ballen grüner Kaffee, Blechbüchsen mit Farbe – stellt euch vor, Farbe! – und noch eine Menge anderes. Dann wurde ich mit zwei Leuten in die Boote hinuntergeschickt, um alles zu verstauen und die Boote für den Augenblick klarzumachen, wenn es für uns an der Zeit sein würde, das Schiff zu verlassen.

      Wir brachten alles in Ordnung, fierten für unseren Schiffer, der den Befehl über das Langboot übernehmen sollte, den Mast des Langbootes in die Spur, und dann war ich ganz einverstanden, als ich mich einen Augenblick hinsetzen konnte. Mein Gesicht fühlte sich rau an, jedes Glied schmerzte mich, als wäre es gebrochen, ich spürte alle meine Rippen und hätte schwören mögen, dass ich einen Knoten im Rückgrat hätte. Die Boote lagen ganz achtern im tiefsten Schatten, und ringsum konnte ich die See in weitem Umkreis vom Feuer erleuchtet sehen. Vorne stieg eine ungeheure Flamme gerade und klar in die Luft. Sie lohte mächtig, mit einem Geräusch, bald wie von schlagenden Schwingen, bald wie von fernem Donner. Dazwischen gab es ein Krachen und Knallen, und aus dem Flammenkegel flogen die Funken himmelan. Denn zur Mühsal ist der Mensch geboren, zur Arbeit auf lecken Schiffen und auf Schiffen, die brennen.

      Was mich ärgerte, war, dass das Schiff mit der Breitseite zu der Dünung und dem bisschen Wind lag – kaum einem Lufthauch – und dass die Boote nicht achtern bleiben wollten, wo sie sicher waren, sondern in einer querköpfigen Art, wie sie Boote oft haben, darauf bestanden, unter der Gillung durchzugehen und längsseits zu treiben. Sie stießen einander gefährlich herum und kamen der Flamme immer wieder nahe, während über ihnen das Schiff rollte und natürlich unaufhörlich zu befürchten war, dass die Masten über Bord gehen würden. Ich hielt sie mit meinen beiden Leuten klar so gut es ging, mit Riemen und Bootshaken; aber es war geradezu aufreizend, unaufhörlich dahinter bleiben zu müssen, da es ja keinen ersichtlichen Grund gab, warum wir nicht augenblicklich hätten abfahren sollen. Wir konnten die an Bord nicht sehen, noch konnten wir uns vorstellen, was die Ursache der Verzögerung sein mochte. Meine Leute fluchten leise, und ich hatte zu meinem Teil der Arbeit noch die Aufgabe, zwei Leute anzutreiben, die ständig Neigung zeigten, sich hinzulegen und den Dingen ihren Lauf zu lassen.

      Schließlich rief ich hinauf: ‚Ihr dort, an Bord!‘ und jemand sah über die Reling. ‚Wir sind fertig hier‘, sagte ich. Der Kopf verschwand, tauchte aber sofort wieder auf: ‚Der Kapitän sagt, schon recht, Sir, und Sie möchten die Boote gut klar vom Schiff halten!‘

      Eine halbe Stunde verging. Plötzlich gab es ein schauerliches Getöse, Klirren und Kettengerassel, ein Aufzischen des Wassers, während Millionen von Funken durch die wabernde Rauchsäule hinaufflogen, die schräg über dem Schiff stand. Die Kranbalken waren durchgebrannt und die beiden rotglühenden Anker zu Wasser gegangen und hatten zweihundert Faden rotglühender Kette hinter sich dreingerissen. Das Schiff erzitterte, die Flamme zuckte, als wollte sie in sich zusammensinken, und die Bramstenge fiel. Sie flitzte herunter wie ein feuriger Pfeil, schoss unter Wasser, sprang unmittelbar darauf, keine Riemenlänge weit von den Booten weg, wieder hoch und schwamm dann ruhig dahin, ganz schwarz auf der erleuchteten See. Ich rief die an Bord nochmals an. Nach einiger Zeit teilte mir ein Mann in einem unerwartet freundlichen, aber auch dumpfen Ton mit (als hätte er versucht, mit geschlossenem Munde zu sprechen): ‚Wir kommen im Augenblick, Sir‘, und verschwand. Während einer langen Zeit hörte ich nichts als das Schwirren und Dröhnen des Feuers. Die Boote tanzten, zerrten an den Fangleinen, rannten aneinander wie im Spiel oder schwangen, wir konnten tun, was wir wollten, in einem Klumpen gegen die Breitseite des Schiffes. Ich konnte es nicht länger aushalten, kletterte ein Tau hoch und schwang mich über die Heckreling.

      Das Achterdeck war taghell erleuchtet. Als ich so plötzlich hinaufkam und den Flammenherd gerade vor mir hatte, war der Anblick wirklich erschreckend, und die Hitze schien im ersten Augenblick kaum zu ertragen. Auf einem Sofapolster, das man aus der Kajüte geholt hatte, lag Kapitän Beard, die Beine hochgezogen und einen Arm unter dem Kopf, und schlief, während die Feuerlichter ihn umspielten. Und wisst ihr, womit sich der Rest der Leute beschäftigte? Sie saßen achtern um eine offene Kiste herum, aßen Brot und Käse und tranken Flaschenbier.

       Vor dem Hintergrund von lodernden Flammen, die über ihren Köpfen züngelten, schienen sie sich kreuzwohl zu fühlen, wie Salamander, und sahen dabei aus wie eine Horde verzweifelter Piraten. Das Feuer spiegelte sich im Weißen ihrer Augen oder in Flecken weißer Haut, die durch zerrissene Hemden zu sehen waren. Jeder hatte Merkmale an sich wie von einer Schlacht – es gab verbundene Köpfe, Arme in der Schlinge, einen schmierigen Fetzen um ein Knie – und jeder Mann hatte eine Flasche zwischen den Beinen und ein Stück Käse in der Hand. Mahon stand auf. Mit seinem gutgeschnittenen, wilden Gesicht, dem hakigen Profil, dem langen weißen Bart und mit einer entkorkten Flasche in der Hand sah er wie einer der tollen Seeräuber alter Zeiten aus, die es sich mitten unter Gewalt und Verwüstung gut gehen ließen. ‚Die letzte Mahlzeit an Bord‘, erklärte er feierlich. ‚Wir hatten den ganzen Tag nichts zu essen, und es schien sinnlos, dies alles zurückzulassen.‘ Er deutete mit der Flasche auf den schlafenden Kapitän und fuhr fort: ‚Meinte, er könnte nichts hinunterbringen, und so redete ich ihm zu, sich hinzulegen.‘ Und als ich ihn anstarrte, fügte er hinzu: ‚Ich weiß nicht, ob Sie sich im Klaren darüber sind, junger Herr, dass der Mann seit Tagen kaum nennenswert geschlafen hat – und in den Booten wird verdammt wenig Zeit zum Schlafen sein.‘ – ‚Es wird auch bald keine Boote mehr geben, wenn ihr noch lange herumzieht‘, sagte ich entrüstet. Ich ging zu dem Schiffer hin und rüttelte ihn an der Schulter. Endlich schlug er die Augen auf, rührte sich aber nicht. ‚Zeit, abzufahren, Sir‘, sagte ich halblaut.

      Er richtete sich mühsam auf, sah nach den Flammen, nach der See, die rings um das Schiff leuchtend klar und weiter weg tiefschwarz dalag, nach den Sternen, die trüb durch einen dünnen Rauchschleier schienen, aus einem Himmel, schwarz wie der Erebus. ‚Die Jüngsten zuerst‘, sagte er.

      Der Leichtmatrose wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, stand auf, kletterte über die Heckreling und verschwand. Andere folgten. Einer hielt mitten im Hinübersteigen inne, trank seine Flasche aus, schleuderte sie mit aller Gewalt ins Feuer und schrie dazu: ‚Da, nimm das!‘

      Der Schiffer drückte sich trostlos herum, und wir ließen ihm eine Weile Zeit, um von seinem ersten Kommando Abschied zu nehmen. Dann ging ich nochmals hinauf und brachte ihn schließlich dazu, aufzubrechen. Es war höchste Zeit. Das Eisenzeug auf der Hütte fühlte sich schon heiß an.

       Dann wurde die Fangleine des Langbootes


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