Jugend und Der Nigger vom "NARCISSUS" - Band 128e in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Joseph Conrad

Jugend und Der Nigger vom


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wir achteten es nicht. Wir drehten an den Kurbeln und sahen wie die Idioten drein. Sobald wir auf Deck gekrochen waren, pflegte ich eine Tauschlinge um die Leute, die Pumpen und den Hauptmast zu legen, und wir drehten, drehten unaufhörlich, im Wasser bis zu den Hüften, bis zum Hals, über den Kopf. Es war alles eins. Wir hatten vergessen, wie es war, sich trocken zu fühlen.

      Und irgendwo in mir lebte der Gedanke: Bei Gott, das ist ein verteufeltes Abenteuer – etwas, wie man es in Büchern liest; und es ist meine erste Reise als Zweiter Offizier – und ich bin erst zwanzig und beiße es durch wie nur einer und halte meine Kerls bei der Stange. Es gefiel mir. Ich hätte das Erlebnis nicht um die Welt missen mögen. Augenblicke lang jubelte ich sogar. Sooft die alte, abgetakelte Bark, mit der Gillung hoch in der Luft, aufstampfte, schien sie mir wie eine Klage, eine Herausforderung, wie einen Schrei zu den gnadenlosen Wolken die Worte emporzuschleudern, die auf ihrem Heck geschrieben standen: JUDEA, London. Halt aus oder stirb!‘

      O Jugend! Ihre Kraft, ihre Gläubigkeit, ihre schönen Träume! Für mich war das Schiff kein alter Klapperkasten, der eine Ladung Kohle durch die Welt schleppte. Für mich verkörperte sich darin alles, was im Leben des höchsten Einsatzes wert sein konnte. Ich denke gerne an die Bark zurück, mit Liebe und Schmerz, wie an einen lieben Toten. Ich werde sie nie vergessen... Reich die Flasche weiter!

      Eines Nachts, als wir wieder, wie ich schon sagte, an den Mast gebunden waren und pumpten, pumpten, betäubt vom Wind und zu zermürbt, um uns auch nur den Tod wünschen zu können, da also schlug eine schwere See über Bord und glatt über uns weg. Sobald ich wieder Luft schnappen konnte, brüllte ich pflichtgemäß: ‚Haltet fest, Jungs!‘ und spürte dabei plötzlich, wie etwas Hartes, das auf Deck herumschwamm, gegen meine Wade stieß. Ich griff danach und verfehlte es. Es war so dunkel, dass wir einer des andern Gesicht keine Spanne weit sehen konnten, müsst ihr wissen.

      Nach dem Krach hielt sich das Schiff eine Weile ruhig, und das Ding, was es auch sein mochte, stieß nochmals gegen mein Bein. Diesmal erwischte ich es – es war eine Kochpfanne. Im ersten Augenblick, übermüdet und nur mit dem Gedanken an die Pumpen im Kopf, begriff ich gar nicht, was ich in der Hand hielt. Plötzlich dämmerte es mir auf, und ich brüllte: ‚Jungs, das Deckhaus ist über Bord. Lasst die Pumpen sein, und sehen wir nach dem Koch!‘

      Vorn war ein Deckhaus, das die Kombüse, die Koje des Kochs und das Mannschaftslogis enthielt. Da wir seit Tagen damit gerechnet hatten, dass es weggerissen würde, war den Leuten befohlen worden, in der Kajüte zu schlafen, dem einzig sicheren Platz im Schiff. Der Steward, Abraham, aber beharrte darauf, in seiner Koje zu bleiben, stumpfsinnig wie ein Mulo – aus blanker Angst, denke ich mir, wie ein Tier, das sich weigert, einen Stall zu verlassen, der während eines Erdbebens einstürzt. So gingen wir also hin, um nach ihm zu sehen. Dabei setzten wir unser Leben aufs Spiel, denn sobald wir erst einmal unsere Umschnürung aufgegeben hatten, waren wir ebenso ungeschützt wie auf einem Floß. Aber wir gingen hin. Das Deckhaus war zertrümmert, als wäre eine Granate darin explodiert. Der Großteil war über Bord gegangen – der Ofen, das Quartier und alles Eigentum der Mannschaft, alles war dahin. Wie durch ein Wunder aber waren zwei Pfosten stehengeblieben, mit einem Stück Schott dazwischen, woran Abrahams Koje befestigt war. Wir wühlten in dem Trümmerwerk, stießen hierauf, und da saß er also in seiner Koje, zwischen Schaum und Trümmern, und babbelte vergnügt vor sich hin.

      Er hatte den Verstand verloren, war richtig und unheilbar verrückt geworden; dieser letzte Stoß hatte seinen Lebensgeistern den Rest gegeben. Wir packten ihn zusammen, schleiften ihn nach achtern und stießen ihn kopfüber die Kajütentreppe hinunter. Ihr könnt euch wohl denken, dass keine Zeit war, ihn mit größter Sorgfalt hinunterzutragen und abzuwarten, wie er sich weiter machen würde. Die von der Freiwache würden ihn wohl am Fuß der Treppe zusammenklauben, dachten wir. Wir hatten es eilig, an die Pumpen zurückzukommen. Die Arbeit litt keinen Aufschub. Ein großes Leck ist eine unmenschliche Sache.

      Man hätte glauben können, es sei der ganze Zweck dieses Mordssturms gewesen, den armen Teufel von Mulatten um den Verstand zu bringen. Noch vor dem Morgen ließ der Sturm nach, und am nächsten Tage klarte der Himmel auf, und sowie der Seegang nachließ, zog sich auch das Leck zu. Als neue Segel angeschlagen werden sollten, bestand die Mannschaft auf der Rückkehr, – und tatsächlich war nichts anderes zu tun. Die Boote dahin, das Deck reingefegt, die Kajüte unter Wasser, die Leute ohne einen Knopf, außer dem bisschen Zeug, das sie am Leibe hatten, die Vorräte verdorben, das Schiff überanstrengt. Wir setzten Kurs nach Hause, und – würdet ihr 's glauben? – der Wind blies uns von Osten gerade ins Gesicht. Ein schöner, stetiger Gegenwind. Wir mussten Zoll um Zoll aufkreuzen, aber die Bark leckte nicht gar zu arg, weil die See ziemlich ruhig blieb. Von vier Stunden immer je zwei zu pumpen ist kein Spaß – aber wir erhielten sie damit flott bis nach Falmouth.

      Die guten Leute dort leben von den Unfällen auf See und freuten sich zweifellos, uns zu sehen. Eine hungrige Schar von Zimmerbaasen wetzte ihre Meißel beim Anblick dieses Schiffskadavers. Und bei Gott! Es kostete einen schönen Batzen Geld, ehe sie fertig waren. Ich denke mir, dass der Reeder damals schon nicht mehr gut stand. Es gab allerlei Aufschübe. Dann wurde beschlossen, einen Teil der Ladung herauszunehmen und die Seiten der Bark zu kalfatern. Das wurde gemacht, die anderen Ausbesserungen beendet, die Ladung wieder eingenommen; eine neue Mannschaft kam an Bord, und wir gingen in See – nach Bangkok. Nach knapp einer Woche waren wir wieder zurück. Die Mannschaft erklärte, sie dächte nicht daran, die etwa hundertfünfzig Tage Überfahrt nach Bangkok in dem Huker zu machen, der von vierundzwanzig Stunden acht an den Pumpen brauchte; und die nautischen Blätter brachten wieder die kleine Anzeige: ‚JUDEA. Bark. Vom Tyne nach Bangkok; Kohle; leck nach Falmouth zurückgekehrt; Mannschaft verweigert Dienst.‘

      Wieder gab es allerhand Aufschübe – allerhand Flickarbeit. Der Reeder kam für einen Tag herunter und erklärte, die Bark sei tipptopp, wie eine kleine Geige. Der arme Kapitän Beard sah wie ein Gespenst aus – vor lauter Kummer und Demütigung. Bedenkt, dass er sechzig und dass es sein erstes Kommando war. Mahon meinte, es sei eine verrückte Geschichte, die schlimm ausgehen würde. Ich liebte das Schiff mehr als je und brannte darauf, nach Bangkok zu kommen. Nach Bangkok! Zauberhafter Name, dreimal gesegneter Name! Mesopotamien reichte nicht im Traum daran hin. Bedenkt, dass ich zwanzig, dass es mein erstes Patent als Zweiter Offizier war und dass der Osten auf mich wartete.

      Wir verließen den Hafen und gingen an der Außenreede vor Anker, mit einer neuen Mannschaft – der dritten. Die Bark leckte ärger als je. Es war, als hätten ihr die verwünschten Zimmerbaase geradezu ein Loch geschlagen. Diesmal kamen wir nicht einmal mehr auf hohe See. Die Mannschaft weigerte sich einfach, das Ankerspill zu bemannen.

      Sie schleppten uns in den Innenhafen zurück, und wir wurden so etwas wie ein Merkmal, eine Sehenswürdigkeit, eine stehende Einrichtung des Ortes. Die Leute zeigten uns gelegentlichen Besuchern als ‚die Bark da, die nach Bangkok gehen soll – liegt schon sechs Monate hier – dreimal umgekehrt!‘ – An Feiertagen pflegten uns wohl die kleinen Jungen, die in Booten herumruderten, anzurufen: ‚JUDEA, ahoi!‘ und, wenn sich ein Kopf über der Reling zeigte, zu brüllen: ‚Wohin seid ihr bestimmt? – Bangkok?‘ Und dann grölten sie vor Lachen. Wir waren nur zu dritt an Bord. Der arme alte Schiffer brütete in der Kajüte vor sich hin. Mahon hatte das Kochen auf sich genommen und dabei unerwartet das ganze Geschick eines Franzosen für die Bereitung netter kleiner Gerichte bewiesen. Ich sah gelangweilt die Takelung nach. Wir alle wurden Bürger von Falmouth. Jeder Ladeninhaber kannte uns. Beim Barbier oder im Tabakladen fragte man uns vertraulich: ‚Glauben Sie, dass Sie je nach Bangkok kommen werden?‘ Unterdessen stritten sich der Reeder, die Versicherung und die Befrachter in London herum, und unser Gehalt lief weiter... Reich die Flasche weiter!

       Es war schauerlich. Seelisch war es schlimmer, als ums liebe Leben pumpen zu müssen. Es schien, als wären wir von der Welt vergessen worden, als sollten wir, verhext, für ewig und immer in dem Innenhafen dort leben müssen, Zielscheibe des Spottes für Geschlechter von Hafenbummlern und unehrlichen Bootsleuten. Ich erwirkte drei Monate Gehalt und fünf Tage Urlaub und machte einen Abstecher nach London. Ich brauchte einen vollen Tag hin und ebenso lange zurück – aber drei Monate Gehalt gingen dabei drauf. Ich weiß nicht, was ich damit anfing. Ich ging in ein Tingeltangel, glaube ich, aß zu Mittag, zu Abend und zu Nacht, in einem piekfeinen Lokal in Regent Street, und war pünktlich


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