TARZANS RACHE. Edgar Rice Burroughs

TARZANS RACHE - Edgar Rice Burroughs


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nicht von rückwärts überfallen können... Der erste Blick in die Höhle ließ erkennen, dass es sich um einen niedrigen Tunnel handelte, an dessen anderem Ende Tageslicht schimmerte. Das Innere dieses Tunnels war nicht ganz finster. Der Affenmensch konnte sogleich sehen, dass sich im Augenblick niemand darin befand. Tarzan hatte genügend Phantasie, sich vorstellen zu können, was ein Kampf in diesem engen Tunnel bedeuten würde. Aber es geschah nichts. Numa, der Löwe, tauchte nicht auf.

      Das Ende des Tunnels führte in eine weite Aushöhlung im Berghang, die nach oben offen war. Hier musste einst vor langer Zeit der Strudel eines Flusses eine länglich-runde Aushöhlung viele Meter tief in den Berg gebohrt haben. Das Wasser schuf sich dann einen Abfluss durch den schmalen Tunnel, den Tarzan soeben durchquert hatte. Das senkrechte Loch im Berg wies keinen anderen Zugang auf. Diese seltsame Schlucht war fast hundert Meter lang und ungefähr dreißig Meter breit. Ein schmales Rinnsal war alles, was von dem einstigen Bergstrom übrigblieb. Ein einzelner großer Baum stand etwa in der Mitte der Schlucht.

      Die Knochen vieler großer Tiere lagen zwischen den Felsbrocken verstreut, die den Boden der Schlucht bedeckten. Unter den Knochen befanden sich einige gebleichte Menschenschädel. Tarzan hob die Augenbrauen. »Ein Menschenfresser«, murmelte er. Allem Anschein nach hatte das Untier sein Unwesen schon seit längerer Zeit hier getrieben.

      Der Affenmensch war entschlossen, sich dieses trockene Quartier im Tunnel anzueignen. Es war nur nötig, noch einmal hinauszukriechen und den Eingang mit ein paar großen Felsbrocken gegen das Eindringen Numas zu sichern. Während er noch über diese Möglichkeit nachdachte, erreichte ein winziges Geräusch sein Ohr. Es genügte, um Tarzan zur bewegungslosen Statue erstarren zu lassen. Die Blicke hielt er unentwegt auf die Tunnelöffnung gerichtet.

      Dort erschien in der nächsten Sekunde der Schädel eines riesigen Löwen. Die gelbgrünen Augen starrten weit offen, rund und ohne zu blinzeln auf den Eindringling. Der Löwe zog die Oberlippe hoch und entblößte knurrend die mächtigen Reißzähne.

      »Du Sohn einer Hyäne!«, schrie Tarzan ihn an. Er war wütend, dass die vorzeitige Rückkehr des Löwen alle Aussichten auf ein bequemes und trockenes Nachtlager zunichtemachten. »Ich bin Tarzan, der Affenmensch und Herr des Dschungels. Heute schlafe ich hier - also verschwinde!«

      Aber Numa ging nicht. Er stieß ein drohendes Brüllen aus und machte ein paar Schritte auf Tarzan zu. Der Affenmensch ergriff einen großen Stein und warf ihn nach dem fauchenden Löwen. Man kann niemals im Voraus wissen, wie ein Löwe reagiert. Vielleicht gehörte dieser zu den Feiglingen, die beim ersten wirklichen Angriff Fersengeld geben. Tarzan hatte manchen gelbmähnigen Löwen so zum Rückzug gebracht. Dieses Mal gelang es ihm nicht.

      Das Wurfgeschoss traf Numa mitten auf die Nase. Dieser Punkt ist bei Katzen und Hunden gleich empfindlich. Anstatt dadurch in die Flucht geschlagen zu werden, verwandelte sich der Löwe in eine wilde Maschine der Rache und der Zerstörung.

      Mit hoch erhobenem Schwanz und furchtbarem Gebrüll stürzte er auf den Tarmangani, den großen weißen Affen, mit der Geschwindigkeit einer D-Zug-Lokomotive zu. Keinen Augenblick zu früh schwang sich Tarzan in die Zweige des Baumes hinauf. Hier ließ er sich zunächst einmal nieder und beschimpfte ausgiebig Numa, den König der Tiere. Der Löwe ließ sich dadurch nicht stören und schritt majestätisch immer im Kreis um den Baum herum.

      Es regnete nun heftiger. Tarzan war mehr als ärgerlich. Zu der Wut über das entgangene Nachtlager kam sein Zorn auf das schlechte Wetter. Bisher hatte sich Tarzan nur dann in einen Kampf auf Leben oder Tod mit Löwen eingelassen, wenn ihm keine andere Wahl blieb. Er wusste, dass er dieser Masse Muskeln und Knochen nichts anderes entgegenzusetzen hatte als seine Intelligenz - und sein Glück. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, sich wegen ein wenig Kälte und Unbequemlichkeit in ein sinnloses Duell mit dem Löwen einzulassen. Also blieb er ruhig im Wipfel des Baumes hocken und wartete seine Zeit ab. Der Löwe lief immer noch rund um den Baum herum. Alle paar Schritte warf er einen Blick hinauf, um zu sehen, ob die sichere Beute noch vorhanden war.

      Unterdessen betrachtete Tarzan genau die Felsenwand, die ihm gegenüberlag. Hier bot sich die einzige Möglichkeit eines Entkommens, sofern es nur gelang, den Löwen für eine Sekunde ans entfernte Ende der Schlucht zum Tunneleingang zu locken. Zwar zeigte der glatte Fels kaum Sprünge und Risse, die einem gewöhnlichen Sterblichen Halt geboten hätten. Für Tarzan aber genügten die wenigen vortretenden Felszacken, um ihm zu einer wenn auch mehr als riskanten Flucht zu verhelfen.

      Während er noch diese Möglichkeit erwog, zog sich Numa, der Löwe, plötzlich zu seinem Lager zurück. Der Regen war ihm anscheinend lästig geworden. Majestätisch und ohne einen Blick zurückzuwerfen, verschwand er in dem Tunnel.

      Im gleichen Augenblick ließ sich Tarzan mit der Leichtigkeit einer Feder zu Boden fallen. So schnell er konnte, hastete er zur Felswand hinüber.

      Der Löwe hatte sich seinerseits unmittelbar nach dem Erreichen des trockenen Tunnels umgedreht, um die kostbare Beute nicht unnötig lange aus den Augen zu lassen. Er sah Tarzan fliehen und setzte ihm mit einem Wutgeheul nach.

      Der Affenmensch hatte genügend Vorsprung erreicht, um in einem Schwung den unteren, glattesten Teil der Wand zu überwinden, ehe der Löwe herankam. Wenn sich jetzt nur ein wenig Halt für Hand und Fuß finden ließ! Rutschte er hingegen an den regennassen Steinen ab, würde er direkt in die Fänge des Löwen fallen, denen sogar der riesige Affenmensch kaum gewachsen war.

      Wie eine Katze klomm Tarzan mindestens sechs Meter hoch in die Wand, bis er den ersten sicheren Platz auf einem schmalen Vorsprung fand. Unter ihm sprang Numa mit mächtigen Sätzen an den Steinen empor - drei Meter, vier Meter, aber immer wieder fiel er zurück. Tarzan schaute ihm eine Weile interessiert zu und begann dann, bedächtig und sehr auf seine Sicherheit bedacht, die Felsenwand zu erklimmen. Nachdem er sich über den oberen Rand geschwungen hatte, drehte er sich auf dem Bauche um und schaute in die Schlucht hinunter. Noch immer starrte Numa der entschwundenen Abendmahlzeit nach. Tarzan nahm ein paar lose Steine auf, warf sie nach Numa und ging davon.

      Nach einem leichten Abstieg zurück zu seinem ursprünglichen Weg kam Tarzan plötzlich eine Idee. Er blieb stehen, lächelte und kehrte zu der Stelle zurück, wo der äußere Zugang zu Numas Höhle lag. Er lauschte eine Weile und begann dann, große Felstrümmer herbeizutragen, die er vor dem Loch auftürmte. Er hatte den Zugang fast geschlossen, als Numa an der Innenseite der steinernen Mauer erschien. Der Löwe war sehr wütend, sehr verstört und deshalb stieß er ein schreckliches Brüllen aus. Die Erde ringsum schien zu erzittern. Mit mächtigen Tatzen zerrte er an den Steinen. Es gelang ihm aber nicht, den verbauten Eingang aufzubrechen. Abermals brüllte Numa.

      Damit konnte er Tarzan nicht erschrecken. So manche Nacht seit seiner frühesten Jugend, als er noch an der Brust Kalas, seiner Nährmutter, unter den großen Affen schlief, hatte Tarzan das Brüllen der Löwen ringsum im Dschungel mit hinüber in seine Träume genommen. Er hatte praktisch sein ganzes Leben im Urwald zugebracht und hatte es verlernt, brüllende Löwen zu fürchten. Dieses Brüllen war für ihn nicht mehr als für den Europäer das Geräusch einer Autohupe. Ruhig setzte er seine Arbeit fort und verschloss endgültig den Tunnel zur Löwenhöhle mit einem letzten, viele Pfund schweren Stein. Er verkeilte die Felsbrocken so, dass Numa bestimmt nicht den Weg ins Freie erzwingen konnte. Als er damit fertig war, schnitt er dem nicht mehr sichtbaren Löwen eine Grimasse und setzte seinen Weg fort. Der Menschenfresser wird keine Menschen mehr fressen, philosophierte er unterwegs.

      Diese Nacht brachte Tarzan im Schutze einer überhängenden Felsenmulde zu. Am Morgen setzte er seinen Marsch fort. Unterwegs hielt er sich nur so lange auf, wie er brauchte, um einen kleinen Springbock zu töten und ein hastiges Mahl hinunterzuschlingen.

      Die anderen Tiere der Wildnis ruhen nach einer guten Mahlzeit aus. Aber Tarzan nahm sich nicht die Zeit zu dieser Ruhestunde, wenn es ihm nicht in seine Pläne passte. Darin unterschied er sich grundsätzlich von den Tieren, die von Jugend an seine Gefährten gewesen waren.

      Im Laufe des Tages war wieder mehrfach Gewehrfeuer aus dem Busch zu hören, das mal an dieser, mal an jener Stelle aufflackerte. Am Nachmittag geriet er in ein Waldstück, das von den Banditen besetzt war. Von einem dickt belaubten Baum aus beobachtete Tarzan den bunt zusammengewürfelten Haufen.


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