Sex. Dr. Jack Morrison

Sex - Dr. Jack Morrison


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definiert war. Damals mussten die Gentlemen aus der Mittelklasse ihre Gefühle ausdrücken können. Sie waren diejenigen die ihre Liebe ausdrückten. Sie mussten die Frauen überzeugen ihren Gefühlen zu folgen und sich von ihnen mitreißen zu lassen. Sie waren diejenigen, die Leidenschaft zeigten. Leidenschaftliches Engagement definierte im höchsten Maß die damalige Männlichkeit. Interessant ist die verlorengegangene Definition von Männlichkeit in Erinnerung zu rufen, die in der europäischen Kultur offenkundig war. Den Kampf zwischen Frauen und Männer um emotionale Unabhängigkeit oder emotionale Expressivität gab es früher nicht. In jedem Jahrhundert war leidenschaftliches Engagement Frauen und Männern gleichermaßen erlaubt und bedrohte die Männlichkeit nicht.

      Früher folgte das Liebesleben ausgeklügelten Ritualen. Männer und Frauen wussten genau, welche Kriterien sie bei ihrer Wahl beachten mussten. Natürlich war wichtig, ob man die Person mochte oder nicht. Die heutige individualisierte, dynamische Begegnung von zwei unabhängigen Personen gab es nicht. Damals wussten Männer und Frauen, wenn Sie jemanden wählten, musste er oder sie einen guten Charakter haben. Außerdem waren die Rollen von Frau und Mann sehr gut definiert. Man wusste, was Männer und Frauen zu tun hatten und wenn ein Mann um eine Frau warb, musste er, dass mit bestimmten Worten tun, die eine gewissen Absicht ausdrückten. Waren sie jedoch einmal verheiratet, gab es kein durchdachtes Modell, bezüglich sexueller Intimität und Partnerschaft, wie wir es heute kennen. Das sind moderne Modelle. Ich würde sagen, damals gab es wohl so viele Männer und Frauen, die unglücklich verheiratet waren, wie heute. Aber vielleicht litten diese weniger darunter, weil sie weniger hohen Erwartungen an die Ehe stellten, als wir heute.

      Männer und Frauen lebten in unterschiedlichen Bereichen, sie erwarteten nicht, dass sie viele Kontakt zu einander hatten. Frauen verkehrten mit Frauen. Männer verkehrten mit Männern. Die Freizeit verbrachte man, nach Geschlechtern getrennt. Paare erwarteten nicht die Intimitäten ihrer Gefühlswelt mit einander zu teilen. Sie hatten auch nicht den Anspruch, dass ihr Sexualleben noch nach zehn Ehejahren aktiv und aufregend war. So gesehen bot die Ehe die Möglichkeit, dass jeder sein Leben ziemlich unabhängig vom anderen Leben konnte.

      Etwas das mich beeindruckt ist, dass wir heute die Begegnung mit einem potenziellen Partner oder Partnerin, wie auf einem Markt erleben und der Vergleich mit einem kapitalistischen Markt daher treffend ist. Damit will ich folgendes sagen: Bis zu den Hippies hatten wir eine relativ kleine Auswahl an sexuellen Möglichkeiten und Liebespartnern. Wir kannten die Regeln, nach denen wir unsere Liebespartner zu wählen hatten. Diese Regeln waren oft Verbote. Man durfte niemanden heiraten, der einer anderen Religion, einer anderen Hautfarbe oder einer ganz anderen sozialen Klasse angehörte. Natürlich gab es Ausnahmen, aber allgemein war es so. Ab den siebziger Jahren ist dank der sexuellen Befreiung und der Demokratisierung der Gesellschaft diese Schranken gefallen. Damit wuchs die Auswahl an möglichen Partnern massiv an.

      Heute kannst du mit jedem Sex haben, mit dem du Sex haben willst. Mit so vielen Partnern wie du möchtest und dies unabhängig vom Geschlecht. Wer also der Liebe begegnen oder einen Partner finden möchte, ist mit einem Angebot konfrontiert, als befände er sich in einem Supermarkt mit unendlich vielen Waren. Man meldet sich einfach an verschiedenen Online-Dating Profilen an und versucht so sein Glück.

      Umso mehr Möglichkeiten du eigentlich hast, umso schlimmer wird es. Das Internet Dating hat die Auswahl radikal verändert. Dadurch wurde eine neue Stufe in der Gesellschaft erreicht. Das Internet Dating hat zwei Dinge zur Folge. Zuerst einmal radikalisiert es die Sexualität. Man bekommt Sex in jedem Moment. Sex völlig losgelöst von jeglichen Gefühlen. Sex um seiner selbst willen. Daraus erfolgt eine Frage, die wir uns alle stellen sollten: Ist es gut oder nicht, dass wir die Sexualität so radikal und stark von jeglicher ethischen Verbindlichkeit und Verantwortung gegenüber anderen losgelöst haben? Ist es gut, die Sexualität so stark von den Gefühlen gegenüber anderen zu trennen? Das ist eine Folge des Internet Datings. Etwas anderes ist die riesige Auswahl an Möglichkeiten, welche die Singlebörsen anbieten. Man ist wie ein Produkt, die man vergleichen und bewerten kann und zu denen man sich verhält, als wäre man auch ein Produkt mit einem Wert. Dadurch werden die Menschen zu Waren degradiert, eine Art von Kommerzialisierung, die es nicht gab als sich die Menschen von Angesicht zu Angesicht begegneten.

      Heute entsteht, durch die riesige Auswahl an Möglichkeiten und die Unsicherheit, ob es um Sexualität oder Gefühle geht, eine große Ambivalenz. Das nennen wir auch Bindungsphobie. Männer und Frauen, die darunter leiden, sind unfähig sich auf eine verbindliche Beziehung einzulassen. Das sind unter anderem Männer, aber auch immer mehr Frauen leiden darunter. Die Bindungsangst entsteht aus der Ambivalenz. Wir wissen nicht was wir fühlen sollen. Diese Ambivalenz hat dramatische Auswirkungen auf eine Beziehung. Webb du diese große Auswahl hast, wächst daraus der Wunsch das maximale rauszuholen. Was bedeutet das? Heute gehe ich mit dir aus. Du bist nett und wir amüsieren uns blendend, aber wie kann ich wissen, ob es nicht eine schlankere, reichere, gebildetere oder sogar lustigere Frau gibt als dich? Das wissen wir nicht. Die Leute brauchen viel länger, um sich zu entscheiden, denn du meinst immer du kannst noch einen besseren Deal machen und noch intensivere Gefühle haben.

      Heute ist es so dass die Frauen meistens für den Kinderwunsch verantwortlich sind. Man ist mit dreißig Jahren Single. Man macht sich Sorgen und fühlt sich unter Druck, weil die biologische Uhr der Frau tickt. Diese Angst, wegen der biologischen Uhr haben jene Frauen, die sich allein verantwortlich fühlen, für das Kinderkriegen. Und warum? Der Grund ist einfach. Ungefähr in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts stiegen die Männer in den kapitalistischen Markt ein. Heute sie ihr wirtschaftliches Leben von der Familie abgekoppelt. Anders gesagt: Männer brauchen die Familie nicht mehr, um überleben zu können. Mehr noch. Wie wir wissen kontrollieren die Männer immer noch den größten Teil der Wirtschaft. Es gibt wenige Frauen, die Land, Vermögen und Immobilien besitzen. Frauen sind also immer noch abhängig. Sie sind erneut sozial und wirtschaftlich von den Männern abhängig. Wie zeigt sich diese Abhängigkeit? Durch die Heirat, durch die Familie. Deshalb beobachten wir eine neue Asymmetrie in Liebesbeziehungen. Viele Männer heiraten erst, wenn sie von den Frauen dazu gedrängt werden, denn durch die Heirat sichern die Frauen ihren Status als Mutter und ihre soziale und wirtschaftliche Position.

      Manche Frauen mehr als Männer wünschen sich eine stabile und verbindliche Beziehung. Emotionale Klarheit und emotionale Intensität. Anders gesagt: Frauen sollten ihr Projekt der Mutterschaft vom Projekt der Liebesbeziehung lösen. Ich denke das stellt Männer und Frauen eher auf die gleiche Stufe. Dies geschieht durch das Einfrieren von Eizellen.

      Vor allem Frauen, ziehen Kinder in der heutigen Zeit alleine groß. Diese Entwicklung sehen wir auch in der gleichgeschlechtlichen Heirat das Kinder alleine großgezogen werden, ebenso muss die Ehe und Familie neu definiert werden. Was ist eine Ehe? Wir müssen uns öffnen und das ganze neue definieren. Gut möglich, dass wir einer Zeit entgegengehen, wo in einer Familie nicht mehr Vater und Mutter auf konventionelle Weise die Kinder großziehen. Falls du das nicht möchtest dann bedenke: „Die Liebe tut weh und wir müssen auch bereit sein, dass Liebe weh tut“. Was verlieren wir denn, wenn wir nicht mehr fähig sind in Liebesbeziehungen, die eben weh tun zu verharren, sondern wir immer gleich weiter rennen zur neuen Optimierungsidee?“

      Liebe tat immer weh. Heute ist der Schmerz einfach ein anderer. Was ist anders? Wenn Liebende früher verlassen wurden, waren die Schuldigen meistens diejenigen, die ihren Partner sitzen ließen, sie hatten einen moralischen Fehler begangen. Es gibt Menschen, die litten ein ganzes Leben lang an einer zerbrochenen liebe. Heute empfinden wir es als unser Recht vor der Heirat unsere Meinung zu ändern. Wir finden es manchmal sogar viel besser eine Beziehung zu beenden, als an ihr festzuhalten. Doch wenn heute eine Person sitzengelassen wird, ist sie daran schuld. In der heutigen Kultur fühlen wir uns so verantwortlich für uns selber, dass wir den Eindruck haben, wenn wir eine Liebesbeziehung nicht aufrechterhalten können, habe das mit einer verborgenen Schwäche von uns zu tun. Warum tut also Liebe weh?

      Wenn wir niemanden finden oder wenn wir einige gescheiterte Beziehungen hinter uns haben, es also nicht schaffen eine gute Bindung einzugehen, wenn wir unglücklich verheiratet sind oder wenn uns jemand verlassen hat. All das sind Situationen, in denen sich wohl die meisten Menschen Wiedererkennen können. Schwierige Beziehungen, nicht den richtigen kennenlernen, verlassen werden, von einer Beziehung zur anderen wechseln. Wer das heute erlebt,


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