Krieg und Frieden. Лев Толстой
Schmerzes sogleich in den Augen seiner Mutter erschien, und lächelte heimlich darüber.
»Wir finden uns unter sehr traurigen Umständen wieder, mein Fürst … Wie geht es dem teuren Kranken?« fragte sie, ohne auf den kalten, beleidigenden Blick, den er auf sie richtete, zu achten.
Mit unverhohlenem Erstaunen betrachtete sie der Fürst, ohne den Gruß des jungen Mannes zu erwidern, und antwortete nur mit einer Kopfbewegung, welche andeutete, daß der Zustand des Kranken hoffnungslos sei. »Es ist also wahr?« rief sie. »Ach, wie schrecklich! … Dies ist mein Sohn, er wünscht sehnlichst, Ihnen persönlich zu danken!« – Eine neue Verbeugung von Boris. »Seien Sie überzeugt, mein Fürst, daß das Mutterherz niemals vergessen wird, was Sie für ihn getan haben!«
»Ich bin glücklich, teuerste Fürstin, daß ich Ihnen nützlich sein konnte«, erwiderte der Fürst ziemlich trocken und sehr herablassend. Und zu Boris gewendet: »Geben Sie sich Mühe! Dienen Sie mit Eifer und machen Sie sich würdig der … der … Ich bin entzückt … daß ich … Sie sind hier auf Urlaub?« Das alles wurde mit großer Gleichgültigkeit gesprochen.
»Ich erwarte den Befehl, Exzellenz, mich an meinen Bestimmungsort zu begeben«, erwiderte Boris, ohne Empfindlichkeit bemerken zu lassen, noch den Wunsch, die Unterhaltung fortzusetzen. Verwundert über sein ruhiges, bescheidenes Wesen, betrachtete ihn der Fürst aufmerksam.
»Wohnen Sie bei Ihrer Mutter?«
»Ich wohne beim Grafen Rostow, Exzellenz.«
»Ach, ich weiß«, erwiderte der Fürst eintönig. »Ich habe niemals begreifen können, wie Natalie sich entschließen konnte, diesen schmutzigen Bären zu heiraten! Ein bornierter, lächerlicher Mensch, und noch obendrein ein Spieler, wie man sagt.«
»Ja, aber ein sehr braver Mann, mein Fürst«, sagte die Fürstin mit einem Lächeln, als ob sie beistimmte, für den armen Grafen aber doch Nachsicht erbitten wollte. »Was sagen die Ärzte?«
»Wenig Hoffnung!«
»Ich hätte sehr gewünscht, dem Onkel noch einmal für all seine Güte zu danken. Er ist der Taufpate meines Sohnes«, fügte sie mit Würde hinzu. Fürst Wassil schwieg und zog die Augenbrauen zusammen.
Sie begriff sofort, daß er in ihr eine gefährliche Mitbewerberin um die Erbschaft des Grafen Besuchow argwöhnte, und beeilte sich, ihn zu beruhigen. »Nur meine aufrichtige Ergebenheit für meinen Onkel …« Die Worte »meinen Onkel« glitten von ihren Lippen zuversichtlich und dabei mit einer gewisssen Nachlässigkeit. »Ich kenne seinen edlen Charakter! Aber hier hat er nur seine jungen Nichten um sich!« Und mit gesenktem Kopf fuhr sie halblaut fort: »Hat er seine letzten Pflichten erfüllt? Seine Augenblicke sind kostbar, und es wäre deshalb dringend nötig, ihn vorzubereiten. Wir Frauen wissen immer solche Dinge annehmbar zu machen. Ich muß ihn durchaus sehen, so peinlich mir auch ein solches Gespräch sein kann, ich bin so sehr daran gewöhnt, zu leiden.«
Der Fürst begriff, wie damals bei der Soiree der Hofdame, daß es ihm unmöglich sei, sich der Fürstin zu entledigen.
»Ich fürchte, ein solches Gespräch wird ihm peinlich sein, teuerste Fürstin, wir wollen bis zum Abend warten, die Ärzte hoffen auf eine Krisis.«
»Warten, mein Fürst? Aber das sind ja seine letzten Augenblicke! Bedenken Sie, es handelt sich um das Heil seiner Seele! Ach, wie schwer sind die Pflichten eines Christen!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, welche zu den inneren Zimmern führte, und eine der Fürstinnen trat mit kaltem Gesicht heraus.
»Nun, wie geht es?« fragte Fürst Wassil.
»Immer wie bisher, und das kann nicht anders sein bei diesem Lärm«, erwiderte das Fräulein, indem sie die Fürstin wie eine Fremde musterte.
»Ach, ma chère, ich habe Sie kaum wiedererkannt!« rief diese mit glücklichem Lächeln und trat auf sie zu. »Ich bin soeben angekommen und sogleich herbeigeeilt, um Ihnen in der Pflege meines Onkels beizustehen! Wieviel haben Sie durchgemacht!« fügte sie hinzu, indem sie die Augen zum Himmel aufschlug.
Die junge Fürstin wandte sich auf den Absätzen um und verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.
Die Fürstin Drubezkoi nahm die Handschuhe ab und richtete sich in einem Lehnstuhl ein wie in einem erstürmten Festungswerk. Dann forderte sie den Fürsten auf, neben ihr Platz zu nehmen.
»Boris, ich werde zum Grafen, zu meinem Onkel, gehen und du könntest inzwischen Peter besuchen. Bringe ihm die Einladung Rostows zum Diner! Ich glaube, er wird nicht kommen«, bemerkte sie zum Fürsten Wassil.
»Warum nicht?« erwiderte dieser sichtlich verdrießlich. »Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie mich von diesem jungen Mann befreien würden; er hat sich hier niedergelassen, und der Graf hat nicht ein einziges Mal nach ihm gefragt.«
Er zuckte mit den Achseln und klingelte. Ein Diener erschien und wurde beauftragt, Boris zu Peter zu führen.
16
Peter hatte noch nicht die Zeit gefunden, sich für irgendeine Laufbahn zu entschließen, nachdem er aus Petersburg wegen seiner tollen Streiche verwiesen worden war. Die Geschichte, welche bei Rostows erzählt worden, war richtig, er hatte mit seinen Kameraden den Polizeioffizier dem Bären auf den Rücken gebunden.
Wie gewöhnlich wohnte er bei seinem Vater. Er vermutete mit Recht, daß seine Abenteuer bekannt geworden und daß die weibliche Umgebung des Grafen, die ihm immer feindlich gesinnt war, nicht verfehlen werde, den Grafen gegen ihn aufzubringen. Dennoch begab er sich am Tage seiner Ankunft in die Gemächer seines Vaters und auf dem Wege dahin trat er in den Salon ein, wo sich gewöhnlich die Fürstinnen aufhielten, um sie zu begrüßen. Zwei von ihnen waren mit Stickereien beschäftigt, während die dritte, die ältere, ihnen laut vorlas.
Ihre Haltung und ihre Toilette waren tadellos, aber die Länge ihres Oberkörpers fiel sogleich auf. Es war dieselbe, welche die Fürstin Drubezkoi ignoriert hatte. Die jüngeren waren beide sehr hübsch und unterschieden sich voneinander nur dadurch, daß die eine ein kleines Muttermal auf der Oberlippe hatte, das sie sehr verführerisch machte. Peter wurde empfangen wie ein Pestkranker. Die älteste hörte auf zu lesen und richtete schweigend entsetzte Blicke auf ihn, ebenso die zweite; die dritte, von etwas mutwilliger Gemütsart, bog sich auf ihre Arbeit herab, um ihr Lächeln in Erwartung der Szene, die sie voraussah, zu verbergen.
»Guten Tag, Cousinen«, sagte Peter. »Erkennen Sie mich nicht?«
»Oh, ich erkenne Sie nur zu gut, zu gut.«
»Wie geht's dem Grafen? Kann ich ihn sehen?« fragte Peter.
»Er leidet, und Sie haben es verstanden, seinen Kummer zu mehren.«
»Kann ich ihn sehen?« wiederholte Peter.
»O ja, wenn Sie ihn töten wollen! Olga, sieh nach, ob die Bouillon für den Onkel fertig ist! Es ist Zeit«, fügte sie hinzu, um Peter begreiflich zu machen, daß sie nur damit beschäftigt waren, den Onkel zu pflegen, während er offenbar nur darauf ausging, ihm Kummer zu bereiten. Olga ging.
»Wenn es so ist«, sagte Peter nach einigem Schweigen, »so werde ich in mein Zimmer gehen, und Sie werden mir sagen lassen, wann ich den Grafen sehen kann.«
Er ging, und die kleine mutwillige Fürstin brach in ein lautes Gelächter aus.
Am andern Tag kam der Fürst Wassil und ließ sich im Hause des Grafen nieder. Er ließ Peter kommen.
»Mon cher«, sagte er, »wenn Sie sich hier aufführen wie in Petersburg, so wird es ein schlimmes Ende nehmen, das ist sicher. Der Graf ist gefährlich krank, es ist überflüssig, daß Sie ihn besuchen.«
Von diesem Augenblick an kümmerte sich niemand mehr um Peter, welcher seine Tage ganz allein in seinem Zimmer im zweiten Stock zubrachte. Als Boris bei ihm eintrat, ging Peter mit großen Schritten unablässig auf und ab. Er hatte Boris zum letzten Mal als vierzehnjährigen Knaben gesehen und erkannte ihn nicht wieder. Aber aus natürlicher