Die Damaszener-Rose. Johann Widmer
dunkeln Wohnung setzte er sich ans kleine Fensterloch und verbrachte den Rest des Tages damit, den Ring des Kalifen zu bewundern und zu bestaunen. Der Rubin leuchtete so geheimnisvoll und aus dem erstarrten Blutstropfen sprühte ein Feuer, das beinahe die Augen blendete und die Diamanten flackerten und glitzerten, wie fünf Derwische, die verzückt um die heisse Glut eines Feuers tanzen.
Sayd staunte und starrte gebannt und vergass die Welt um sich herum und seinen Hunger.
Erst als der letzte Sonnenstrahl erlosch und der Muezzin zum Abendgebet mahnte, erwachte er aus seinem Traum.
Und wenn das ein Zauberring war, so wie man sie aus den Märchen kannte? Sayd erschauerte.
Vorsichtig rieb er den Rubin, einmal, zweimal, dreimal, dann etwas kräftiger, zweimal rechtsherum, dann wieder linksherum, dann mit geschlossenen Augen.
Nichts geschah, aber auch rein gar nichts. Kein brüllender Riese fragte nach Sayds Begehr und keine Märchenfee flatterte herbei.
Vielleicht ging das Zaubern nur tagsüber, vielleicht nur an Freitagen? Man würde noch sehen. Morgen war ja auch noch Zeit genug.
Frühmorgens trieb ihn der Hunger ins Städtchen. Der Marktplatz war heute leer, aber der himmlische Duft einer leckeren Bohnensuppe füllte die Weite des Platzes. So wie zufällig vorbeikommend, in schwere Gedanken versunken, schritt Sayd grusslos am Garkoch vorbei und liess, die linke Hand an die Wange gelehnt, seinen Ring blitzen und glühen, und siehst du: der sudanesische Suppenmeister rief ihm freundlich den Morgengruss zu und riss ihn, ach so brutal aus seinem Philosophieren.
Guten Morgen, Sabah al chair und wie geht es der Gesundheit und lä bäss, lä bäss, nichts Schlechtes zu verzeichnen, El hamd ul illah, Gott sei's gedankt und die Segenswünsche mögen sich erfüllen.
Auch näherliegende Wünsche schienen sich heute zu erfüllen.
Sayd liess sich überreden, ein Schüsselchen Bohnensuppe anzunehmen, nachdem er kritisch am Gericht geschnuppert hatte, ja, er liess sich heute sogar soweit herab, sich einen zweiten Teller aufdrängen zu lassen. Als er, mit der eindeutigen beredten Geste in die Tasche greifen wollte, wo sich natürlich kein einziger Piaster herumtrieb, liess er es ausnahmsweise auch geschehen, dass der nette Küchenmeister keine Bezahlung annahm. Aber, aber, mein liebes Freundchen, seit wann bezahlt man Geschenklein?
Ein gut eingeübtes Ritual, wie es schien.
Bevor aber Sayd seinen Spaziergang fortsetzen konnte, zog ihn der Koch in die Küche und auf den Ring zeigend, meinte er, dass das eigentlich ein ganz hübsches Ringelchen sei und so, und er wolle nicht neugierig sein, aber das Glitzerding sei wohl etliche Golddinare wert, so unter Brüdern, und so etwas Ähnliches könnte er sich auch an der eigenen Hand vorstellen und ja und so und falls eventuell und unter guten Freunden, falls es zu kaufen wäre.
Unter dem Siegel der allerhöchsten Verschwiegenheit und mit dem Schwur, dass demjenigen, welcher das Geheimnis eines Freundes verrät, die Zunge im Munde verdorren solle, erfuhr der Koch die Geschichte des Ringes .
Ja, der gute Sayd wollte sich ja nicht besser machen, als er schon war und so und übrigens sollten es die Leute im Städtchen ums Himmels Willen nicht erfahren, denn sonst dächten sie noch was weiss was, aber, so flüsterte er dem verdutzten Freund ins Ohr, er hätte richtig erkannt, dass das ein Ring des Kalifen wäre, was ja auf den ersten Blick erkennbar sei, ein Geschenk sozusagen, gewissermassen ein brüderliches Andenken, aber bitte, bitte, nicht weitersagen, und im Übrigen unverkäuflich, versteht sich.
Und so kam es, dass zwar keine einzige der vielen Zungen im Oasenstädtchen verdorrte, aber schon nach einer knappen Stunde wussten alle die Geschichte vom Halbbruder des Kalifen, der da mitten unter ihnen lebte. Wer hätte das gedacht! Nun ja, man hätte sich so etwas vorstellen können, denn vornehm war er schon immer gewesen, dieser Sayd und solche Verwandtschaft war auch einfach erklärbar, denn so hohe Herren wie Sultane und Kalifen liebten ihre Brüder auf ganz besondere Weise, liess doch zum Beispiel der Sultan von Agadez am Tage seines Machtantrittes alle seine Brüder blenden, damit sie ihm die Macht nicht streitig machen konnten. Verbannung, Verwendung als Krokodilfutter oder als Fundament eines neuen Palastes und viele, viele andere unterhaltsamen Grausamkeiten, meist mit tödlichem Ausgang waren, je nach Ideenreichtum des Herrschers an der Tagesordnung. Aber ein Bruder ist und bleibt ein Bruder, ein Stück Familie, vom gleichen Blut und Stamm und zudem, man weiss ja nie. In schah' Allah.
Auf seinem Morgenspaziergang schaute Sayd auch noch rasch beim Tuchhändler herein, nur so zum Schauen und zum beiderseitigen Zeitvertreib, denn Geld zum Kaufen war natürlich keines da.
Der Tuchhändler, ein furchtbar mürrischer Alter, der für seine beleidigende Unfreundlichkeit eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, schien vor Nettigkeit fast hinzuschmelzen als Sayd seinen Laden betrat und schwänzelte und scharwenzelte um ihn herum, zeigte ihm die neuesten und teuersten Stoffe, soeben hereingekommene feinste Baumwollstoffe, solide aber leicht zu tragen und für die Herstellung einer Djellaba geeignet.
Sayd war erstaunt über des Alten Freundlichkeit und war sehr auf der Hut, denn wenn dir die Hyäne die Hände leckt, so wird sie dich im nächsten Augenblick beissen.
Aber das Händelecken ging weiter und fand schliesslich seinen Höhepunkt, als der Alte ihm von den schönsten und teuersten Stoffen ungefragt ein paar Bahnen abschnitt und dann sagte, er werde sie eigenhändig zum Schneider Mahmoud tragen, das sei übrigens ein entfernter Cousin von ihm und der werde für den lieben Sayd die Djellaba nähen und es würde ihnen zu grosser Ehre gereichen und wäre ein unbeschreibliches Vergnügen, wenn Sayd die edle Güte hätte dieses demütig dargebrachte kleine, bescheidene Geschenklein anzunehmen.
Wieder auf der Strasse, musste Sayd erst mal tief durchatmen. Was war geschehen? Träumte er?
Oder war der Alte übergeschnappt?
In der Strasse der Sattler und der Schuster traf er auf den Schuhverkäufer, der ihn am Vortag auf dem Markt so jämmerlich blossgestellt hatte und erwartete, dass dieser elende Pechfresser schleunigst in eine Seitengasse verschwinden werde, sobald er ihn erblicke.
Weit gefehlt.
«Mein lieber, lieber Freund und Bruder Sayd! Welch ein grosses Glück mir doch der heutige Tag mit dieser unerwarteten Begegnung beschert. Komm rasch in meine armselige Werkstatt, ich möchte dir die neusten Schuhe zeigen, die ich nach ägyptischer Mode angefertigt habe. Es ist da ein Paar Prachtschuhe entstanden, das, wie mir scheint, genau an deine Füsse passen dürfte, angegossen und passend, wie eine zweite Haut. Schuhe aus allerfeinstem Ziegenleder aus den Bergen des Maghreb, mit äusserst weichen und geschmeidigen Sohlen, auf denen deine zarten Füsse sanft wie auf einem seidenen Teppich gehen werden.»
Zur Zeit des Mittagsgebetes, wenn die Kaufleute und die Handwerker ihre Läden schliessen, war Sayd total neu eingekleidet von den modischen Schuhen bis hinauf zu seinem roten Fez und vor seiner Wohnung warteten viele Ladendiener, die ihm Teppiche, Möbel, Esswaren, Süssigkeiten, Silbergeschirr, Kleider und was weiss ich was alles bringen mussten. Mit vornehmen Gesten wies er die Lastenträger wortlos an, wo und wie sie die verschiedenen Dinge hinzustellen hatten. Dann entliess er sie alle mit einem müden Handzeichen und schloss die Türe hinter sich.
Was zum Scheitan, das ist der Teufel, was zum Scheitan ist da los? fragte er sich kopfschüttelnd. Was ist bloss in all die Leute gefahren? Sind die alle verrückt geworden? Epidemischer Alterswahnsinn? Oder ist da irgend ein Geheimnis, von dem ich nichts weiss?
Oder ist es am Ende die Wirkung des Ringes?
Nun, so blöd werden die Leute doch nicht sein und auf Grund so eines Schmuckstückes, das jeder Betteljunge finden kann, dass sie auf Grund dieses Ringes beginnen derartige Geschenke zu machen.
Im Grunde genommen, fand Sayd, dass es zwar absolut seine Richtigkeit habe, wenn man endlich sein meisterhaftes Nichtstun zu honorieren beginne, denn es wäre höchst unangebracht gewesen, wenn