Mauern der Macht. Ralf Häcker

Mauern der Macht - Ralf Häcker


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um den Grund zu kümmern und diesen zu bestellen. Dabei habe ich sofort an unsere Firma gedacht und ihn versucht, von unseren Traktoren zu überzeugen. Die ganze Nacht hätten wir darüber verhandelt, seien aber noch zu keinem Schluss gekommen. Vielmehr hatte er danach gefragt, ob ich ihm bei der Planung seines Unternehmens behilflich sein könne. Er schlug vor, mir den Grund doch einmal anzusehen und mit ihm durchzugehen, wie viel Arbeitsgerät er für die Bestellung seiner Felder bräuchte.

      Ich hätte ihm meine Unterstützung zugesagt, was aber mit sich brächte, dass ich demnächst des Öfteren zu ihm fahren müsste und ich somit nicht zu Hause sein könnte. Wenn ich als Mitarbeiter der Produktion, so erklärte ich Lisa, einen neuen Kunden gewinnen könne, würde das meine Position im Unternehmen weiter stärken und sich irgendwann sicher auch in bar auszahlen.

      Lisa war sofort begeistert. Sie hatte mein Vorankommen in der Firma immer unterstützt. Wenn ich nochmals befördert würde, so meinte sie, hätten wir irgendwann soviel Geld, um auch den Kindern eine ordentliche Ausbildung ermöglichen zu können. Ich dankte Lisa für ihr Verständnis und bat sie darum, meinen Vorgesetzten nicht einzuweihen, um eine mögliche Enttäuschung bei Nichtzustandekommen des Neuauftrages zu vermeiden.

      Jetzt war es raus. Eigentlich war ich sehr zufrieden mit meiner Lüge, fühlte mich aber beschissen. Trotzdem stellte ich fest, an diesem Abend wieder nach New Orleans fahren zu müssen, da mein potenzieller Neukunde noch die ganze Woche vor Ort wäre und wir somit mit unserem Gespräch fortfahren könnten. Lisa meinte, sie hätte sich zwar sehr auf den Abend gefreut, aber in diesem Fall hätte sie Verständnis, weil es doch auch zum Wohle unserer Kinder wäre. Sie kuschelte sich an mich und wünschte mir viel Glück.

      An diesem Abend fuhr ich wieder nach New Orleans. Die ganze Strecke über war mir übel. Ich wusste nicht, ob ich mich mehr darüber schämen sollte, Lisa belogen zu haben oder mich darüber freuen sollte, Tatjana eventuell wiederzusehen. Gegen 19:00 Uhr kam ich am Parkplatz des Hiltons an. Um ihr zu gefallen, hatte ich mich besser gekleidet, als tags zuvor.

      Um meine Aufregung und Nervosität zu lindern, steuerte ich schnell auf die Bar zu, um mir vor Tatjanas Eintreffen noch ein oder zwei Whisky zu gönnen. Der Barmann wies mir mit einem kurzen Nicken den richtigen Platz und servierte mir, meine Aufregung wohl bemerkend, schnellstmöglich die benötigte Alkoholration. Obwohl ich den Mann erst einmal gesehen hatte, war ich ihm richtig dankbar.

      Etwa eine halbe Stunde nach mir betrat Tatjana die Bar und steuerte zielstrebig den Platz neben mir an. Ich spürte wie mein Herz heftig zu klopfen begann. Sie sah umwerfend aus. An diesem Abend trug sie eine türkisfarbene Bluse, einen kurzen weißen Rock und darauf abgestimmt hohe weiße Schuhe. „Ich nehme an, Sie sind rein zufällig hier?“, begrüßte sie mich, mit beinahe süffisant ironischem Unterton. Es gelang mir so zu tun, als hätte ich das nicht gehört, schob ihr stattdessen den Stuhl zurecht und fragte, ob ich sie zu einem Drink einladen dürfte. Sie verneinte und signalisierte dem Mann hinter der Theke, „das Gleiche wie immer bitte“. Dieser servierte ihr, ohne überlegen zu müssen, eine Weinschorle – so wie immer.

      Als wir erstmalig an diesem Abend miteinander anstießen, schaute sie mir ganz kurz in die Augen, was mich, ob ihrer sonstigen Distanziertheit, sehr überraschte. Wie schon am Abend zuvor, hatte sie ihre beiden oberen Blusenknöpfe geöffnet. Auf ihrer makellos reinen und hellen Haut lugte ein winziger Leberfleck hervor, beinahe so, als wäre er gemalt. Eine ganz schlichte aber geschmackvolle Kette, wirkte wie ein Rahmen für die von der Natur geschaffene Vollendung. Als wir unsere Gläser wieder abstellten, fragte sie mich, ob mir ihre Halskette gefalle? Meine Blicke hatten sich wohl in ein Starren verwandelt, was mir sehr peinlich war. Meine Entschuldigung wies sie zurück. Es freue sie sehr, wenn jemand ihren Schmuck bewundere, sie selber habe auch bei mir auf den Ehering geachtet und fragte sich nun, warum ich wieder gekommen sei, wo ich doch verheiratet bin. Aufkommende Schamesröte versuchte ich durch kurzes Nippen an meinem Whisky zu überspielen.

      „Sie brauchen nicht rot zu werden, es freut mich, wenn ich Ihnen gefalle“. Sie sagte dies keinesfalls arrogant oder überheblich, aber auch nicht besonders herzlich. Ich war sehr erleichtert, als die zugegebenermaßen peinliche Situation für mich überstanden war.

      Tatjana gab sich weiterhin routiniert aufgeschlossen, redete mit mir wie am Vortag über Belangloses, schien aber irgendwie abwesend zu sein. Obwohl sie mir gegenüber keinesfalls unfreundlich war und immer wieder mal den Blickkontakt suchte, wirkte sie doch abgelenkt. Ich hatte das Gefühl, als würde sie noch auf jemanden warten, kannte sie aber nicht lange und gut genug, um danach zu fragen. Damit wir im Dialog bleiben, sprach ich sie auf ihre guten Sprachkenntnisse an. Sie erzählte, sie hätte in Russland während ihres Chemiestudiums die englische Sprache als Leistungsfach gewählt. Dadurch hatte sie erstmals, wenn auch ungewollt, Persönliches von sich preisgegeben.

      Ob dies bei ihr ausgelöst durch einen Anflug von Sentimentalität, Gleichgültigkeit oder Hoffnungslosigkeit vermochte ich nicht zu sagen. Ich war aber froh, dass sie langsam etwas auftaute und lockerer wurde. Manchmal mussten wir sogar richtig lachen. Sie war wunderschön und mit ihren Lachfalten strahlte sie wie ein Model von einem Werbeplakat. Ich rückte etwas näher an sie heran und manchmal berührten wir uns dabei leicht. Ihre empfindsamen Antennen meldeten ihr aber sofort Alarm und so sprach sie mich an, warum ich dies täte. Aus mir unerfindlichen Gründen machte es mir nichts aus, zu sagen, dass ich wegen ihr wiedergekommen bin, ihr nahe sein wollte und deshalb sogar meine Frau belogen habe. Sie sollte einfach wissen, wie fasziniert und gefangen ich von ihr war.

      Sie schaute mir ganz tief in die Augen, sagte aber nichts. Langsam beugte ich mich zu ihr hinüber und küsste sie ganz leicht auf die Stirn. Ihr sichtbar aufkommendes Haarsträuben amüsierte mich und dass sie nicht zurückgewichen war, machte mich stolz. Wortlos hielten wir unsere Blicke noch eine Zeit lang fest, ehe sie mich unvermittelt fragte: „Haben Sie sich in mich verliebt?“

      „Ja, gestern schon, als ich Sie zum ersten Mal sah.“

      „Das sollten Sie nicht, Sie sind verheiratet und mich dürfen Sie nicht lieben. Glauben Sie mir, mit mir könnten Sie nicht glücklich werden. Vielleicht später einmal, in einem zweiten Leben, aber in diesem würde ich Ihnen nur Unglück bringen.“

      „Ich heiße Benjamin, lass uns das SIE vergessen.“

      Sie lächelte. „Ich heiße Tatjana, aber ich mag meinen Namen nicht mehr. Aus dem Mund der Anderen klingt er schrecklich. – Aber bitte frage mich jetzt nicht, wer die Anderen sind, ich würde es Dir nicht sagen.“

      Wir stießen miteinander an und ich nahm mir vor, mich daran zu halten.

      Ich genoss es einfach, diesem für mich so wunderbaren Menschen so nah zu sein. Wir lachten miteinander und zwischendurch, wenn auch ganz zaghaft, küssten wir uns. Viel später als am Abend zuvor stand sie auf, verabschiedete sich aber genauso unvermittelt. Sofort sprang ich mit auf und gab dem Barkeeper einen Wink um zu zahlen, aber sie hielt mich zurück. „Bleib da, Du kannst nicht mitkommen, ich habe es Dir erklärt und mehr möchte ich darüber nicht sagen.“ Sie winkte mir noch zu und verschwand.

      Die farbige Sängerin erfüllte mir einen Wunsch und in Gedanken hörte ich mich mitsingen: „What a wonderful world …“

      Mit einem mir unbekannten Glücksgefühl fuhr ich wieder nach Hause zu Lisa. Obwohl es schon ziemlich spät geworden war, wartete sie in der Küche bei einem Glas Wein auf mich. Ob bei meinen Verhandlungen schon ein Ergebnis erzielt wurde, wollte sie sogleich wissen. Ich sagte ihr, wir wären ein gutes Stück weitergekommen, aber letzte Details müssten noch geklärt werden. Deshalb müsse ich tags darauf noch mal nach New Orleans. Um mich nicht weiter erklären zu müssen, stellte ich schon für dieses nächste Treffen eine Lösung in Aussicht. Noch eine Weile saß ich mit Lisa zusammen, dann legten wir uns ins Bett und noch ehe ich einschlief, bemerkte ich, wie sie mich ganz leise und sanft zudeckte.

      Der darauffolgende Tag setzte mir innerlich sehr zu. Ich stand in der Firma an meinem Band, überwachte die Arbeiten, aber meine Gedanken sprangen lediglich zwischen Tatjana und Lisa hin und her. Glücksgefühle wurden von Selbstverachtung überholt, meine Zerrissenheit tat weh. Lisa erneut anlügen zu müssen beschämte mich, aber mein Verlangen Tatjana nah zu sein, ignorierte die Moral. Den Gedanken, wie das alles wohl weitergehen


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