Der Mädchenfänger. Peter Schmidt

Der Mädchenfänger - Peter Schmidt


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Nein, davon erwähnt der ärztliche Untersuchungsbericht nichts.

      Ganz im Gegenteil, Sie waren in blendender Form. Sie waren betroffen über den Unfall, nun gut, und ich würde niemals so weit gehen, zu behaupten, dass Sie sich keine Sorgen um das Leben und die Gesundheit Ihrer Schulfreundin machten. Aber was war es dann?"

      Wie kam er jetzt bloß darauf? Diese alte Geschichte hatte noch immer eine erschreckende Lebendigkeit in seiner Erinnerung. War man erst einmal damit beschäftigt, konnte man sie genauso wenig wieder loswerden wie seinen eigenen Schatten. Er wäre fast gegen die Tür des Taxis am Straßenrand gelaufen, als er Angela auf dem Rücksitz entdeckte, so deutlich stand das Bild des Büros mit den schwarzen Ledersesseln und schweren Palisandermöbeln wieder vor seinem inneren Auge …

      "Tut mir leid, dass ich etwas zu spät dran bin", sagte Angela. "Der Bus war gerade weg, und dann gab's auch noch eine Demonstration am Kreisverkehr."

      "Kein Problem." Er küsste sie auf die Wange und nahm ihre Hand. "Jetzt denken wir nicht mehr an die Schattenseiten des Lebens. Auf ins Vergnügen."

      Die Kirmes lag gleich hinter der Bibliothek. Aber von hier aus sah man nicht viel mehr als ihre Lichter gegen den Himmel strahlen. Weiter hinten ragte ein Teil des Riesenrads über die Häuserdächer.

      Er steuerte mit Angela auf den Durchgang im Bibliotheksgebäude zu, weil das der kürzeste Weg war, und als sie am Eingang des Parkhauses vorüberkamen, bemerkte er, dass die Frau im Glaskasten aufgestanden war und ihm aufgeregt zuwinkte.

      "Moment", sagte er zu Angela. "Bin gleich wieder zurück, anscheinend will da jemand etwas von mir …"

      Er ging ihr zögernd entgegen. Es hatte keinen Zweck, jetzt einfach wegzulaufen. Damit hätte er sich nur verdächtig gemacht. Franziska war ohne Wagen gekommen, deshalb konnte sie im Parkhaus auch nicht wegen ihres stehengebliebenen Fahrzeugs vermisst werden …

      Die Frau trat aus der Pförtnerloge. "Haben Sie nicht am Montag Ihren Lieferwagen bei uns geparkt?“, fragte sie und sah ihn so gespannt an dabei, dass er unwillkürlich mit der Antwort zögerte.

      "Am Montag? Lassen Sie mich nachdenken. Nein, bestimmt nicht. Ich glaube, ich war schon am Samstag bei Ihnen."

      "Aber ich bin ganz sicher, dass es Montag war."

      "So? Spielt das denn eine Rolle?"

      "Kann man wohl sagen. Dann möchte die Polizei nämlich gern ein Wörtchen mit Ihnen reden. Alle Kunden, die an diesem Tag im Parkhaus waren, werden gebeten, auf der Polizeiwache vorzusprechen."

      "Und wozu, wenn ich fragen darf?"

      "Weil eine junge Frau vermisst wird. Haben Sie denn noch nichts in der Zeitung darüber gelesen? Die Polizei glaubt, dass sie mit dem Wagen herausgebracht wurde."

      "Mit dem Wagen, aha … unglaublich. Dann allerdings."

      "Vielleicht haben Sie ja beim Herausfahren irgend etwas Verdächtiges bemerkt?"

      "Nein, nicht dass ich wüsste. Aber, vielen Dank für den Hinweis. Ich werde gleich morgen auf dem Kommissariat anrufen." Er nickte verbindlich und machte auf dem Absatz kehrt. Wenn es nicht zu riskant gewesen wäre, hätte er sie gern gefragt, wie man auf diese Vermutung gekommen war – denn mehr als eine Vermutung konnte es eigentlich nicht sein.

      Soweit er wusste, ging Franziska oft durch das Parkhaus, weil das von der Bibliothek aus der kürzeste Weg war, um auf dem Wochenmarkt einzukaufen. Was sollte die Polizei eigentlich darauf bringen, sie sei ausgerechnet im Parkhaus entführt worden? Warum nicht auf dem Markt oder in der Bibliothek mit ihrem schlecht beleuchteten Treppenhaus? Franziska hatte genau wie er keine Familie mehr, nur ein paar Freundinnen aus dem Kollegenkreis, die sie hin und wieder traf, und einen Freund auf Montage in den Arabischen Emiraten.

      Dann gab es da noch ein paar flüchtige Männerbekanntschaften im Theatercafé. Das Café war ihr bevorzugter Ort, wenn sie ausging, weil man dort ungestört sitzen konnte, ohne von den Männern gleich als Freiwild betrachtet zu werden. Es kam ihm unwahrscheinlich vor, dass sie schon vermisst wurde.

      Nein, es gab keinen Freund, der sich um sie kümmerte, außer diesem Kerl in den Arabischen Emiraten. Da war er ziemlich sicher.

      "Was ist denn passiert?“, fragte Angela. "Du bist ja ganz blass geworden."

      "Es scheint jemand im Parkhaus überfallen worden zu sein. So was schlägt mir immer auf den Magen."

      Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Angela ihn geduzt hatte. Na, um so besser. Eine Freundin, ein "Alibi", war in dieser Situation genau das Richtige. Warum sollte jemand in dunklen Parkhäusern fremde Frauen anfallen, wenn er eine so hübsche Freundin wie Angela besaß? Trotzdem ärgerte er sich darüber, dass er vor Schreck blass geworden war. In solchen Situationen blieb er gewöhnlich ruhig und gefasst.

      Er versuchte sich nie von Fehlern, die er gemacht hatte, negativ beeinflussen zu lassen. Der Gedanke daran durfte keine Rolle spielen – wie bei einem guten Fußballspieler, der zwar schon zweimal neben das Tor geschossen hatte, aber beim drittenmal, weil er die Nerven behielt, einen bombenstarken Schuss ins Netz setzte.

      "Lass uns erst mal einen kleinen Rundgang machen", schlug er vor. "Nicht auszudenken, dass dir das gleiche wie der jungen Frau im Parkhaus passieren könnte.

      "Oh, mir passiert nie was. Außer dem verdammten kleinen Italiener ist noch nie jemand zudringlich geworden."

      "Welchem Italiener?"

      "Ein Bursche, der immer vor unserem Haus herumlungert. Er verfolgt mich bis zur Schule. So ein Kleiner mit glattem schwarzem Haar und schmalen Schultern, der aussieht wie ein Neapolitaner. Einmal hat er sogar versucht, mir vor der Damentoilette Hefte zu zeigen."

      "Er hat was?" Quant blieb stehen und warf ihr einen ungläubigen Blick zu.

      "Pornomagazine", sagte sie ungerührt. "Er wollte mir seine Magazine zeigen."

      "Und er hat dich belästigt, sagst du?"

      "Angelo ist schon sehr lästig. Aber im Moment macht er mir eigentlich nur schöne Augen. Trotzdem hab' ich ein wenig Angst vor ihm. Meine Eltern sind noch für zwei Wochen zur Kur, und weil er das in der Nachbarschaft herausbekommen hat, wirft er manchmal Steinchen gegen mein Fenster."

      "Vielleicht sollte ich mich mal um ihn kümmern?"

      "Du willst ihn dir vorknöpfen …?" Ihre Augen leuchteten geschmeichelt. "Nein, dazu ist er doch zu harmlos."

      "Sag diesem Angelo, er soll sich zum Teufel scheren. Sonst gibt's Ärger. Wenn ich ihn vor deinem Fenster entdecke, setzt es ein paar saftige Ohrfeigen."

      "Werd' ich ihm ausrichten."

      "Angela und Angelo", meinte er kopfschüttelnd und legte wie selbstverständlich seinen Arm um ihre Schultern.

      Angela trug eine Jacke aus schwarzem Rindsleder, deren Ärmel etwas zu lang waren. Sie musste sie billig in einem Secondhandshop oder auf dem Trödelmarkt erstanden haben, denn für ein so teures Stück hätte ihr Taschengeld sicher nicht gereicht. Ihre Wangen waren leicht gerötet.

      Er war sehr zufrieden mit seiner Neuerwerbung.

      "Komm, lass uns ins Bayernzelt gehen, da ist das Bier am besten."

       6

      Nach zwei Stunden waren sie beide ziemlich angeheitert. Angela bekam Hunger und entwickelte erstaunlichen Appetit. Aber die schnellen Wagen der "Himmelsfighter", die senkrecht nach oben schossen, um dann im Sturzflug auf die Menge zuzurasen, brachten sie schnell dazu, das Gemisch aus Bratwürsten, gebrannten Mandeln und Kirmeseis wieder von sich zu geben.

      "Gott, ist mir schlecht", jammerte sie und verschwand hinter einem Strauch an der Böschung. Ein paar Meter weiter unten war der Kanal, in dem sich die Lichter der Kirmes spiegelten. Vor dem Schleusenturm dümpelte ein beleuchtetes Hausboot.

      "Fall nicht ins Wasser", warnte er. Aber da war es auch schon passiert. Angela verlor auf der glatten Böschung den Halt und rutschte mit


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