Der Mädchenfänger. Peter Schmidt

Der Mädchenfänger - Peter Schmidt


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      Es war ihm schleierhaft, wie jemand es fertigbrachte, ein unvollkommenes Mädchen zu lieben.

      Die Natur hatte den Mann mit einem starken Hang zur weiblichen Schönheit ausgestattet, aber die Kerle mancher fetten Frauen und albernen Töchter mussten schon an einem genetischen Defekt leiden, sonst hätten sie es nicht so lange mit ihnen ausgehalten.

      Na ja, dachte er, vielleicht sollte ich doch etwas weniger rigoros darüber urteilen … jeder nach seinem Geschmack und seinen Fähigkeiten! Das war seine Devise. Leben und leben lassen. Verdammt noch mal, es gab so viele hübsche Mädchen auf der Welt, dass man wirklich keinen Gedanken an all die hässlichen zu verschwenden brauchte.

      Ein Teil ihres Reizes schien in den sanften Linien ihrer Stirn und Nase zu liegen, besonders, wenn man ihr Gesicht im Profil betrachtete. Der Mund war ebenfalls wichtig, kein Zweifel, ebenso wie die Augen und das Haar. Genaugenommen bildete alles eine unverwechselbare, einzigartige Einheit, und es war schwer oder sogar unmöglich, die Dinge getrennt zu betrachten. Jedes Mädchen entpuppte sich schnell als unverwechselbares Individuum. Man brachte etwas in seinen Besitz, das es kein zweites Mal auf der Welt gab.

      Reife Frauen waren wie die Entdeckung eines neuen Erdteils. Sie unterschieden sich von jungen Mädchen vor allem dadurch, dass sie mehr Erfahrung besaßen. Es überraschte ihn, wie verschieden ältere Frauen auf ihre Situation reagierten, falls er überhaupt eine fand, die attraktiv genug war.

      Denn leider hinterließ das Leben nur allzu schnell seine Spuren in ihren Gesichtern. Zwei, drei Jahre Schlampigkeit, ungesunde Ernährung und zuviel Zigaretten, und ihre Haut hatte für immer ihre Spannkraft verloren.

      Manche gaben sich in der Gefangenschaft den Anschein, sie seien ihm plötzlich hörig geworden und zu allem, aber auch allem bereit, was sich die Phantasie eines Mannes nur ausmalen konnte. Andere benahmen sich ruhig und vernünftig, fast mütterlich, und wollten ihn über ihre Zukunft aushorchen. Oder sie beschimpften ihn oder versuchten an seine moralischen Prinzipien zu appellieren.

      "Was auch immer du mit mir vorhast, du verdammter räudiger Hund, es bringt dir mindestens fünf Jahre ein", hatte einmal eine schlanke Rothaarige gedroht. Damals war er so leichtsinnig gewesen, sich in einem ruhigen Fünfhundertseelendorf an der Küste einzuquartieren, wo ein einziger Schrei eines Mädchens aus dem Keller sofort die Polizei alarmiert hätte.

      Er sah noch wie heute ihr hageres hübsches Gesicht und ihre etwas zu schmale, lange Nase vor sich. Beim erstenmal, an der Theke des Schnellrestaurants, hatte er ein beinahe unwiderstehliches erotisches Kribbeln in der Magengegend verspürt.

      Es war etwas in der Haltung, wie sie mit der Zange die Fleischstücke wendete und sie dann zwischen die aufgeschnittenen Hälften des Weißbrots legte, das ihm wie ein Symbol für eine gelungene "Operation" oder "Öffnung" vorkam. Öffnung war das Wort, das er selbst am liebsten dafür gebrauchte. Ihr rotes Haar lugte unter der weißen Haube hervor, und ihr dezenter rosafarbener Lidschatten passte so gut zu ihrem Lippenstift und den lackierten Fingernägeln, dass er den Atem anhielt.

      Er brauchte die grenzenlose Faszination, die vom Aussehen einer Frau und ihrer Art sich zu bewegen ausging, um sein kleines Steckenpferd betreiben zu können. Die Rothaarige war widerspenstiger als alle anderen gewesen, jemand der lieber innerlich zerbrach, als zuzugeben, dass er besiegt worden war oder verloren hatte. Junge Mädchen waren meist weniger raffiniert. Sie konnten sich nicht so gut verstellen.

      Er sah einem blonden Mädchen mit weißem Strickschal zu. Ihre Pirouetten hatten Klasse, Donnerwetter. Und dann erst die langen elliptischen Bahnen an der Bande entlang, wenn sie ihm hinreißend zulächelte, die makellosen weißen Zähne wie ein Fohlen entblößt, das endlich in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen werden wollte!

      Er hätte schon dafür gesorgt, weiß Gott, ja, wäre Franziska nicht gewesen.

      Bisher hatte er sich nur ein einziges Mal mit zwei Mädchen gleichzeitig eingelassen. Ein Fiasko, die Katastrophe schlechthin.

      Zu seiner Verblüffung stoppte das Mädchen genau vor seinem Tisch, die Spitze des einen Schlittschuhs als Bremse senkrecht ins Eis gebohrt. Er sah, wie ihr Atem das Glas beschlug. Aus der Nähe betrachtet wirkte sie sogar noch schöner, als er geglaubt hatte. Ein richtiges Prachtexemplar in seiner Sammlung. Ihr Finger deutete auf das Heft vor ihm. Er nahm immer Magazine mit, deren Titelseiten Rockidole zeigten, weil das die Mädchen neugierig machte.

      "Tom Sighcore", sagte er halblaut, obwohl sie es wohl kaum durch die Scheibe hören konnte. Es war eine zwei Jahre alte Ausgabe und unter Sammlern bereits eine Rarität, weil sie Sighcore unbekleidet vor dem Kamin seines Hauses in Los Angeles zeigte. Er lag auf einem hellen Flokatiläufer und starrte etwas debil in die Linse. Sighcore war gut gebaut und hatte Muskeln wie ein Athlet, das musste man zugeben. Aber wieso sein Gesicht und seine affigen Beckenbewegungen auf der Bühne bei Frauen so gut ankamen, war ihm ein Rätsel.

      Das Mädchen lächelte ihn an und klopfte gegen das Glas. "Kommen Sie zum Ausgang?", hörte er ihre Stimme durch die Scheibe. "Bitte, es ist wichtig."

      "Ja, natürlich …"

      Als er zur Treppe ging, sah er Trevian an einem Tisch auf der Zwischenetage sitzen. Der junge Trevian war außer dem Restaurantbesitzer Bally seine erste wirkliche Bekanntschaft in der Stadt. Von früher kannte er hier niemanden mehr.

      Er versuchte an jedem Ort möglichst viele Kontakte zu knüpfen, weil er es verabscheute, als Einzelgänger angesehen zu werden. Man musste tausend Freunde haben und ausschweifende Feste feiern, um seinem Ruf gerecht zu werden, ein Mensch wie jeder andere zu sein. Außerdem fühlte er sich wohl, wenn er von Freunden umgeben war, mit denen man nächtelange Gespräche über weltanschauliche Fragen führen konnte.

      Trevian stand auf und streckte enthusiastisch seine Hand aus. Er saß mit seiner Neuerwerbung Elsa Marten am Tisch, ein Mädchen, das Quant etwa genauso interessant und anziehend fand wie die Ehefrau des amerikanischen Präsidenten, aber Elsa hatte nette Freundinnen.

      "Setz dich zu uns, Robert. Darf ich dir meinen neuen ‚Schatten’ vorstellen …"

      Er liebte es, sich wie Johnny Obercool auszudrücken, und Quant imitierte Trevian gern, obwohl er seinen Stil ziemlich antiquiert und scheußlich fand …

      "Moment", sagte er und zeigte mit dem zusammengerollten Magazin zur Eisfläche. "Hab' da gerade einen entsetzlich hübschen jungen Zahn aufgetan, der mich dringend sehen will. Und jetzt muss ich mal eben herausfinden, ob sie auch wirklich minderjährig ist."

      "Verstehe." Trevian lächelte nachsichtig – das war genau die Art von Sprache, die er verstand – und steckte seine goldberingte Hand schwungvoll in die Hosentasche zurück. Sein Vater stattete ihn zu Weihnachten und an Geburts- und Namenstagen immer mit mindestens einem Viertelpfund Gold aus, um allen zu beweisen, was für ein erfolgreicher Spediteur er war.

      "Dann bis gleich."

      "Ach hör mal, Robert, falls du immer noch an einem guten Sprachlehrer interessiert bist …?"

      "Lass uns nachher darüber reden, ja?" Quant ging ohne ein weiteres Wort zur Treppe.

      Das Mädchen erwartete ihn im Kassenraum, die Schlittschuhe unter dem Arm. Es stand vor einem Schaukasten, in dem Silberpokale ausgestellt waren.

      Wann hatte er Trevian eigentlich gesagt, dass er sein Englisch verbessern wollte? Englisch war die ideale "Fluchtsprache", damit kam man genauso gut in Kanada wie in Südafrika oder Australien zurecht, falls man unverhofft das Land verlassen musste, vorausgesetzt, man sprach es so akzentfrei, dass niemand einem nachweisen konnte, woher man wirklich stammte.

      Er dachte an den gültigen neuseeländischer Pass mit seinem Foto auf den Namen Jeremias Gordon, der hinter einem losen Backstein im Keller versteckt war. Dort lag auch ein in Zeitungspapier verschnürtes Notizbuch mit der Durchschrift eines Briefes, das er entwendet hatte, als er in Franziskas Wohnung eingestiegen war.

      Nein, Trevian konnte gar nichts von seinem Englisch wissen, es sei denn, er hatte es von der geschwätzigen kleinen Kassiererin in der Volkshochschule erfahren.

      "Da bin ich – also, was kann


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