Initiation - Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Peter Maier
mir aus von meinen reichen Erfahrungen zu berichten.
17.
Wie war es, als Du wieder in München angekommen bist? Wem hast Du von Deiner Reise erzählt? Wie haben Deine Cliquenmitglieder darauf reagiert? Hatte sich die Clique mittlerweile verändert? Hast Du sie noch so vorgefunden, wie Du sie verlassen hattest? Was hast Du dann in München gemacht?
Bereits in Kanada wusste ich, was ich in Deutschland nach meiner Rückkehr studieren wollte: Feinwerk- und Mikrotechnik (Mechatronik). Darum habe ich mich ja auch schon von Kanada aus an der Fachhochschule in München angemeldet. Zur Einschreibung musste ich aber rechtzeitig persönlich erscheinen.
Vom Flughafen in München wurde ich von einem der Cliquenmitglieder und von dessen Freundin abgeholt. Es gab danach zwei große Wiedersehensfeiern. Mein Freund Claudio hat auf dem Grundstück seiner Eltern mir zu Ehren eine „Nacht der Tracht“, sozusagen ein kleines persönliches Oktoberfest, organisiert. Dazu kamen etwa 30 äußerst chic gekleidete junge Damen und Herrn, die dazu ihre schönste bayerische Trachtenmode ausführten. Es wurde ein Superfest, das mich wieder voll und ganz in meine Clique integrierte, mir aber gleichzeitig neue Kontaktmöglichkeiten in München eröffnete. Claudio hat meine Gefühlslage wohl am besten verstanden, er war ja einige Wochen zuvor erst selbst von einem längeren Auslandstrip zurückgekehrt.
18.
Wenn Du jetzt, fast drei Jahre später, auf Deine Zeit in Kanada zurück blickst: Was waren Deine wichtigsten und wertvollsten Erfahrungen auf Deiner damaligen Reise? Welche Erkenntnisse hast Du daraus ziehen können? Was ist Dir über Dein Leben dort bewusst geworden? Welche Botschaft, das heißt welche Essenz, hast Du für Dich und für die Gemeinschaft aus Kanada mitgebracht?
Ich musste mich dort mit meinen Ängsten auseinander setzten. Ich erkannte, dass meine Sozialphobie (nämlich meine Angst vor Menschen, die ich vorher auf eine höhere Stufe gestellt habe) völlig hausgemacht und unnötig war. Ich habe sie mir in Kanada zu einem gewissen Grade abtrainieren können, indem ich mich immer wieder mit diesem Gespenst konfrontiert habe. Ich traue mir seither auf diesem Gebiet mehr zu. Ich würde gerne nochmals so einen Trip machen, diesmal aber nach Südamerika.
Meiner Meinung nach sollte jeder junge Mensch so eine Reise unternehmen, um sich selbst besser kennen zu lernen. Viele Jugendliche und junge Erwachsene machen sich ja überhaupt keine Gedanken über sich. Ich habe in Kanada jedoch viel über mich nachgedacht.
Ich glaube, die Botschaft, die ich, im Nachhinein gesehen, von der ganzen Kanada-Reise mitgebracht habe, ist folgende: „Es gibt nichts, was man nicht im Leben erreichen kann, man muss sich nur zutrauen, es zu versuchen!“ Auch wenn man bei einer Sache beim ersten Mal scheitert, heißt das nicht, dass man die Finger davon lassen sollte. Wenn jemand behauptet, dass das Scheitern an einer Aufgabe ein schlechtes Omen bezüglich der ursprünglichen Zielsetzung sei, halte ich ihn für beschränkt in seiner Anschauung. Ich würde jedem empfehlen, so eine Reise zu machen, da man dadurch sich selbst und andere Menschen erst wirklich kennen lernen kann. Außerdem tut jedem ein „kleines“ Abenteuer gut, glaube ich.
19.
Was waren Deine dunkelsten Erlebnisse während Deiner Zeit in Kanada? Welche Situationen waren die schwierigsten für Dich und wie bist Du da wieder herausgekommen? Was hast Du genau dadurch für Dein Leben lernen können?
Die schwierigste Zeit für mich war der Aufenthalt auf der Farm bei Pat. Er war für mich durch seine rauhe Art sehr anstrengend. Ich konnte dort fast immer auf die nächste Kritik von ihm an mir warten. Ich konnte auf seiner Farm einfach nicht zur Ruhe kommen. Er war ein unberechenbarer Typ, der immer wieder ganz unerwartet verbal um sich schlug. Die Weihnachtszeit war stimmungsmäßig ziemlich dunkel bei Pat. Ich habe aber andererseits auch nichts Besonderes erwartet, dies war mir vorher schon bewusst.
Darum war ich dann so erleichtert, als ich in der Kneipe arbeiten konnte. Dort herrschte einfach ein herzliches und lockeres Klima. Die gute Laune war dort Tagesgebot. Dort gab es eben gerade nicht die sonst vielfach herrschende Ellbogenpolitik.
20.
Du hast im Herbst 2007 mit Deinem Fachhochschulstudium der Mechatronik begonnen. Dein Kanada-Aufenthalt hat damit eigentlich gar nichts zu tun gehabt. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse von Deiner Reise haben Dir aber dennoch bisher bei Deinem Studium geholfen? Denn Du hast dieses ja – im Gegensatz zu Deiner Schulzeit – bisher sehr zielstrebig angepackt. Hat diese Tatsache direkt oder zumindest indirekt etwas mit Deiner Kanada-Reise zu tun?
Durch meine Kanada-Reise habe ich mir bewiesen, dass ich im Grunde alles erreichen kann, wenn ich etwas nur will und dann mit voller Kraft anpacke. Ich glaube, so kann ich alle Barrieren überwinden. Wenn etwas nicht klappt, so weiß ich jetzt, dass ich mir nur selbst im Wege stehe.
Ich habe bei meinem Studium zwei Kurse in „social studies“ belegt. Bei den Themen ging es um Australien und Kanada. Ich wollte mein Englisch pflegen und so ganz nebenbei gute Noten in diesen Wahlpflichtfächern bekommen. Dabei war mir meine Kanada-Erfahrung schon nützlich.
21.
Würdest Du anderen jungen Leuten, vor allem aber Jungen, ebenfalls so eine Reise empfehlen, die doch offiziell gar nichts für ein späteres Studium bringt? Warum überhaupt würdest Du so etwas empfehlen?
Ja, auf jeden Fall. Denn so eine Reise dient der Persönlichkeitsentwicklung. Man kann dadurch die sozialen Kompetenzen sehr ausbilden und diese werden in fast jedem Arbeitsprozess im Beruf ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Eine gute Teamfähigkeit wird da fast überall verlangt. Und so eine Reise bringt einem dieser Fähigkeit auf jeden Fall näher.
Außerdem bekommt man etwas anderes von der Menschheit zu sehen als die paar Menschen, die man bisher kennt. Man weiß ja noch gar nicht, was man will – etwa bezüglich der eigenen beruflichen Zukunft -, wenn man nichts anderes gesehen hat. Man bekommt während so einer Reise vielleicht einmal mit, wie Elend aussieht. Die Ängstlichen können eventuell erfahren, dass sie auch existieren können, ohne die „Mami“ um sich oder den besten Freund als Alphatier an der Seite zu haben, der ständig aufpasst und den Ton angibt.
22.
Einige Wochen nach Deiner Rückkehr gab es wieder ein größeres Familientreffen, um Deine Ankunft zu feiern. Da warst Du über 22 Jahre alt. Ich habe Dich bei dieser Gelegenheit sehr gewürdigt, Deinen Mut und Deine Leistung anerkannt und Dich schließlich ganz offiziell zu einem erwachsenen Mann erklärt. Wie war dies für Dich? Hast Du diese Würdigung für übertrieben oder doch für angemessen empfunden?
Ehrlich gestanden habe ich damals richtig Bauklötze gestaunt, das heißt, ich war wirklich überrascht, gerade von Dir so gewürdigt und als junger Mann anerkannt zu werden. Besonders Du hattest mich ja bis kurz vor meiner Abreise nach Kanada als eine Art von Schwätzer oder „Dampfplauderer“ eingeschätzt. Ich fand dieses Ritual wirklich gut, es hat bei mir innerlich riesige Türen aufgemacht.
23.
Abgesehen von diesem Familienritual: Wo und bei welchen Gelegenheiten hast Du selbst das Gefühl bekommen, dass Du nun erwachsen bist? Wie war dieses Gefühl? Hast Du dabei auch einen Schmerz empfunden, weil damit gleichzeitig Deine Kindheit vorbei war?
Ich glaube, dass ich durch meine Kanada-Fahrt nur in bestimmten Bereichen gereift bin – sicher in meiner geistigen Einstellung. Aber sogar jetzt mit über 25 Jahren habe ich eine Haltung, die zum Teil noch nicht als erwachsen zu bezeichnen ist.
Das große Tor für meine Zukunft ist doch die Arbeitswelt. Und ich lebe ja noch zu Hause bei meinen Eltern. Also kann ich mich noch gar nicht wirklich erwachsen fühlen. Dies wird erst dann der Fall sein, wenn ich mein eigenes Geld verdiene, um mir damit beispielsweise eine eigene Wohnung leisten zu können.
So gesehen war Kanada nur ein - wenn auch sehr wichtiger - Testlauf für mein Erwachsensein, um irgendwann bald finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Diese Probe wollte ich aber in Kanada machen und ich glaube, ich habe sie bestanden.