Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks
rufe Maja an“, murmelt Basti mit gerunzelter Stirn, „gleich wenn wir zurück sind und ich mein iPhone laden kann. Verdammter Akku!“
Er klopft gegen seine Jackentasche, in der sein älteres Handymodell nutzlos und tot liegt. Gleich nachdem sie sich von Lotta verabschiedet haben, hat Sebastian ihn mit seinen roten Ohren unter der grauen Wollmütze aufgezogen. Dabei ist es Moritz nun egal, was sein bester Freund sagt. Er weiß auch so, dass er Lotta so schnell nicht vergessen wird, ganz gleich, wie sich die nächsten Tage noch entwickeln werden.
„Gehst du mit mir spazieren?“
Linda ist heran und hängt sich mit größter Selbstverständlichkeit an Bastis freien Arm. Ihr Blick aus kornblumenblauen Augen unter den dunkelbraunen Locken macht jedem Dackel Konkurrenz. Objektiv betrachtet ist sie hübsch mit ihrem ovalen Gesicht, den vollen Lippen und dem strahlenden Lächeln. Die lindgrün-blau gestreifte Wollmütze steht ihr gut, ebenso die auberginefarbene Daunenjacke, die der goldbraunen von Lotta ähnelt. Wenn sein Freund auf Brünette stehen würde, überlegt Moritz, würde die Wahl jedoch eindeutig auf Lotta fallen. Zum Glück gibt es für Basti aktuell immer noch nur Maja…
„Linda, bitte“, seufzt Sebastian und befreit seinen Arm. „Wie oft muss ich es dir noch sagen?“
„Das Mädchen eben“, fällt sie ihm ins Wort, „das kannst du mir nicht erzählen, dass sie deine Freundin ist. Ich hab doch gesehen, wie sie ihn angekuckt hat.“
Sie wirft Moritz einen fröhlichen Blick zu. Moritz muss sich beherrschen und ein Grinsen verkneifen. Es ist schön, diese Bestätigung noch von dritter Seite zu bekommen, auch wenn Basti sich bisher nie getäuscht hat, was die Zuneigung weiblicher Wesen einem von ihnen beiden gegenüber angeht. Da keiner von ihnen eine Schwester hat, haben sie nur die Aussagen ihrer eigenen Mütter, die ihnen jeweils bescheinigen, der Hübschere zu sein – sofern das unter besten Freunden etwas ausmacht.
„Na und?“ macht Sebastian einen neuen Versuch. „Und selbst wenn Lotta nur eine gute Freundin sein sollte… Begreif doch endlich, Linda, dass…“
„Das sagst du jetzt doch nur so“, unterbricht sie ihn, völlig unbeeindruckt.
„Was muss passieren“, stöhnt Basti auf, „dass du es kapierst?“
Linda antwortet nicht, sondern versucht erneut seinen Arm zu greifen. Doch Sebastian wendet sich abrupt um und geht, ohne sich noch einmal umzudrehen oder auf Moritz zu warten, die Straße hinunter bis zu ihrer Ferienwohnung.
Moritz zuckt stumm mit den Schultern, erwidert automatisch Lindas zaghaftes Lächeln und folgt seinem besten Freund. Er kommt jedoch nur bis zu den Bahnschienen, dann hat Linda ihn eingeholt und hält ihn am Arm fest, sodass eine der Tragetaschen gefährlich schwankt. Bevor die Griffe abreißen können, stellt Moritz die Tasche auf dem Boden ab. Dann wendet er sich Linda zu und befreit gleichzeitig seinen Arm aus ihren klammernden Fingern.
„Sebastian hat immer noch diese langbeinige Schwedin“, sagt Linda. Es ist weniger eine Frage als vielmehr eine Feststellung. „Wie hieß sie doch noch gleich, Marta?“
„Maja.“
„Flotte Biene, blond und blöd“, urteilt Linda abfällig. Dann setzt sie ein strahlendes Lächeln auf und schaut Moritz treuherzig an. Ihm schwant nichts Gutes, als sie mit schmeichelndem Tonfall ergänzt: „Aber du hast keine davon, nicht wahr? Du bist noch solo.“
Bevor er antworten kann, ertönt ein metallisch scheppernder Klingelton. Die Bahnschranken beginnen sich zu schließen, während die rote Warnlampe aufblinkt. Rasch nimmt Moritz die Tragetasche auf und entfernt sich aus dem Gleisbereich. Linda folgt ihm. Während die Borkum-Bahn hinter ihnen vorbeirauscht, versucht Moritz die Einkäufe so schnell es geht in Richtung der Ferienwohnung zu tragen, doch Linda ist wie ein Klotz am Bein.
Unaufhörlich redet sie auf ihn ein und lässt auch nicht von ihm ab, als sie auf Höhe der nächsten Seitenstraße, Isdobben, anlangen und die Tragegriffe der einen Tasche sich lösen. Gerade noch rechtzeitig kann Moritz die Tasche zu Boden gleiten lassen. Er hat Mühe, sich zu beherrschen, als er die Tüte ungelenk mit der freien Hand aufhebt und im Arm hält, während Linda erneut versucht, sie an ihn zu klammern.
„Jetzt reicht es, Linda“, stößt er schließlich genervt hervor und drängt sich an ihr vorbei, um die letzten hundert Meter zurückzulegen, bevor auch noch die Griffe an der zweiten Tüte reißen. „Geh nach Hause.“
„Gehst du dann heute abend mit mir ins Kino?“
„Kino? Bestimmt nicht.“
„Warum denn nicht? Oder lieber Pizza und Bowling?“
„Nein.“
„Jetzt sei doch nicht so, Moritz. Oder bist du sauer, weil ich Sebastian gemocht habe? Du siehst viel besser aus…“
„Linda! Geh nach Hause! Lass-uns-in-Ruhe!“
„Sonst was?“
„Sonst zwingst du uns wirklich…“
„Wozu?“
„…die Polizei zu holen.“
„Ha! Das würdet ihr doch nie machen!“
„Warum denn nicht?“ fragt plötzlich eine kühle Stimme hinter ihnen, die Moritz einen freudigen Schauer über den Rücken schickt. „Das, was du da machst, das grenzt ja schon an Stalking.“
Linda fährt herum und starrt Lotta wütend an, während Moritz sich mit einem breiten Lächeln zu ihr umwendet. Sie schickt der Himmel. Aber wie kann sie so ruhig bleiben, jetzt da sich Linda wieder an seinen Arm hängt, sodass die zweite Tüte sich dem Boden nähert? Erst beim näheren Hinsehen erkennt Moritz, dass eine schmale Vene an Lottas Hals heftig pocht. Sie gibt sich tatsächlich also nur den Anschein, gelassen und ruhig zu sein.
„Pah, Stalking!“ macht Linda abfällig. „Moritz ist doch kein Filmstar. Obwohl er ja fast aussieht wie einer.“
„Für eine Unterlassungsklage wegen Belästigung würde es trotzdem reichen“, antwortet Lotta ungerührt. „Wenn du willst, Momo, dann erledigen wir das gleich hier an Ort und Stelle.“
„Haha“, lacht Linda, „sowas kann nur die Polizei, keine blöde Studentin.“
„So?“ erwidert Lotta mit schmalen Augen.
Moritz sieht kaum, wie sie in ihre Jackentasche greift. Einen Moment später ist er genauso perplex wie Linda, als Lotta ihnen ihren Dienstausweis entgegenhält. Polizeikommissarin Carlotta Strandt steht da neben dem Wappen der Hansestadt Hamburg und einer Erkennungsnummer.
„Ehrlich wahr?“ flüstert Linda.
Lotta nickt und steckt den Ausweis zurück in die Tasche. Stumm macht sie eine Handbewegung, der Linda kleinlaut und ohne zu zögern Folge leistet. Es ist wie Zauberei. Aber als Lotta Moritz die abgestellte Tragetasche abnimmt und sich in Richtung der ehemaligen Signalstelle aufmacht, folgt er ihr mit einem leicht verwirrten Lächeln, während Linda in Richtung der Bahnschienen davonläuft.
„Und dabei wollte ich euch nur fragen, ob ihr ein Ladegerät für Handys habt“, grinst Lotta. „Eins mit Micro-USB. Mein Android hat sich verabschiedet.“
„Äh, ja, klar“, antwortet Moritz, „ich habe auch ein Android-Handy.“
„Danke für deine Hilfe“, fügt er nach einigen Minuten hinzu, als sie endlich die alte Signalstelle erreicht haben. „Du hast uns gar nicht gesagt, dass du bei der Polizei bist.“
„Das bindet man nicht unbedingt gleich jedem auf die Nase“, antwortet Lotta mit einem leicht traurigen Grinsen und folgt ihm, nachdem er etwas umständlich die Tür aufgeschlossen hat, ins Treppenhaus, wo sie die schwere Einkaufstasche mit einem leisen Ächzen auf dem Boden abstellt. „Auch wenn alle Welt Castle, Law & Order oder Tatort kuckt, mag kaum jemand wirklich die Polizei.“
„Ich jetzt schon“, antwortet