Balkanmärchen auf 251 Seiten. Johann Heinrich August Leskien
dir das Mädchen; wenn nicht, töte ich dich.« Der
Prinz dachte erst, daß das kein Mensch machen
könne; aber ihm fiel die Storchfeder ein; er erwärmte
sie, und sogleich kam der Storch zu ihm. Dann erzählte
er, was ihm alles der Zar befohlen hatte. Da flog
der Storch fort, brachte ihm eine Flasche lebenwekkendes
Wasser und sagte: »Begieß es mit diesem
Wasser, und es wird wieder lebendig.« Darauf fragte
der Prinz eine alte Frau: »Wo liegt hier ein Kind, das
seit drei Jahren tot ist?« Die Alte zeigte ihm den Ort,
er grub die Gebeine aus, legte sie in die richtige Ordnung
und begoß sie mit dem lebenweckendem Wasser,
und das Kind wurde lebendig. Da konnte nun der
Zar nichts weiter machen, sondern schickte ihn hin,
das Mädchen zu holen; die lebte aber in einem Turm
mitten im Meere, und der Zar gab ihm kein Schiff, um
dahin zu kommen. Der Prinz dachte erst, kein Mensch
könne ohne Schiff dahin kommen, dann aber fiel ihm
die Adlerfeder ein; er wärmte sie am Feuer, und sogleich
eilte der Adler herbei; dem erzählte er alles. Da
nahm ihn der Adler auf den Rücken, flog auf und
brachte ihn zu dem Mädchen in den Turm. Der sagte
er, daß er ihretwegen gekommen sei; und sie willigte
mit Freuden ein. Dann stiegen sie zu Schiff und fuhren
ans Land, aber während der Fahrt hatte das Mädchen
ihren Ring ins Wasser fallen lassen. Da sagte
der Zar zu ihm: »Ehe der Ring nicht wiedergefunden
ist, gebe ich das Mädchen nicht her.« Der Prinz erinnerte
sich nun an die Fischschuppe und wärmte sie
an; sogleich erschien der Fisch, ging den Ring suchen
und brachte ihn herbei. Als das geschehen war, konnte
der Zar nichts mehr machen, und man bereitete
alles für das Mädchen zur Abreise vor. Dann stiegen
sie beide in eine Kutsche, der Prinz als ihr Begleiter.
Als sie nahe bei der Stadt waren, wohin er sie geleiten
sollte, schickte er einen Mann voraus, um anzuzeigen,
daß man ihnen entgegenkommen solle. Da zog auch
der Zigeuner, der sich für den Prinzen ausgab, mit seinen
Freunden ihnen entgegen. Da er nun dem Prinzen
nichts anderes antun konnte, ihn zu verderben, machte
er es ihm zum Verbrechen, daß er bei dem Mädchen
in der Kutsche saß, zog seinen Säbel, hieb ihn nieder,
und der Prinz starb.
Während aber der Prinz und das Mädchen allein
gewesen waren, hatte sie alles von ihm erfahren und
erinnerte sich nun an das lebenweckende Wasser, zog
das Fläschchen heraus und begoß ihn damit; und er
wurde wieder lebendig. Da wurde es bekannt, daß der
Zigeuner nicht des Zaren Sohn sei, sondern der andre
der wirkliche Prinz. Als der Zar das vernahm, ließ er
den Zigeuner hinrichten, seinen Sohn aber nahm er zu
sich und verheiratete ihn mit dem Mädchen, das er
hergebracht hatte.
11. Die drei Brüder und der Schuglan
Drei Schafhirten, drei Brüder, weideten ihre Schafe
auf einem Berge und verloren eines Abends im Nebel
ihren Weg; da mußten sie haltmachen und konnten
nicht weiter gehen. Auf diesem Berge wohnte ein
Teufelswesen, der Schuglan, sehr groß und schrecklich,
mit einem Auge auf der Stirn. An dem Abend
kam er zu den Hirten und fragte sie: »Warum seid ihr
hier stehen geblieben?« Die Hirten konnten ihn in der
Dunkelheit nicht erkennen, dachten, es sei ein
Mensch, und antworteten: »Wir haben im Nebel den
Weg verloren, so konnten wir nicht weiter gehen, und
hier hat uns die Dunkelheit überfallen.« Darauf sagte
der Schuglan: »Kommt, ich will euch zu meiner Hütte
führen; die ist hier ganz nahe; dort könnt ihr die
Nacht zubringen, daß ihr nicht in freiem Felde zu sitzen
braucht.« Die Hirten waren froh, daß sie einen
freundlichen Menschen gefunden hatten und ein Unterkommen
und folgten ihm mit ihren Schafen. Nach
einiger Zeit kamen sie an einen Felsen. Der Schuglan
winkte mit der Hand, da tat sich ein großes steinernes
Tor auf, und er sagte zu den Hirten: »Hier ist meine
Hütte, treibt erst die Schafe hinein und dann geht
selbst.« Den Hirten kam es etwas verdächtig vor, aber
richtig merken konnten sie nichts, so trieben sie die
Schafe hinein und gingen selbst auch. Als sie drinnen
waren, winkte der Schuglan wieder mit der Hand, und
das Tor tat sich zu. Die Höhle war sehr groß, und an
einem Ende war ein Feuer angezündet. Als sie ans
Feuer traten, sahen die Hirten den Schuglan ganz
nackt, mit nur einem Auge, ein furchtbares Schreckbild,
und wußten nun, wohin sie geraten waren, und
erschraken sehr. Der Schuglan aber sagte zu ihnen:
»Habt keine Angst; macht es euch bequem, zieht die
Schuhe aus und schlaft diese Nacht in aller Ruhe.«
Dann aßen sie zu Abend und gingen schlafen. Die
Hirten zitterten vor Angst, aber sie konnten nichts
machen und sprachen: »Wie es Gott jetzt gefügt hat,
so wird es werden«, legten sich und schliefen ein.
Einer von ihnen aber – entweder hatte er zu große
Angst, oder es trieb ihn sein Mut – ließ sich nicht in
Schlaf fallen, sondern machte mit seinem Kopftuch
eine kleine Höhlung und guckte unten durch, ob er
vielleicht bemerken könnte, was der Schuglan macht.
Und siehe da, um Mitternacht stand der leise auf,
machte ein großes Feuer, nahm dann einen großen
Bratspieß und legte ihn ins Feuer. Als der Bratspieß
von der Hitze glühend geworden war, ging der Schuglan
zu einem der schlafenden Hirten, erwürgte ihn im
Schlaf, steckte ihn an den Spieß und legte ihn aufs
Feuer, um ihn zu braten. Als er damit fertig war,
nahm er ihn heraus und legte ihn beiseite; darauf