Die Sprache des Traumes. Wilhelm Stekel

Die Sprache des Traumes - Wilhelm  Stekel


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Die Bibel z. B. hat den Vorzug und Nachteil, dass sie viele Symbole enthält, die in verschiedenstem Sinne ausgelegt werden.“ (Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen)

      Ohne die Kenntnis der Symbolik ist die Traumdeutung unmöglich. Der große Irrtum der modernen Traumforscher bestand gerade in dem Umstande, dass sie sich mit der Symbolik nicht befreunden konnten. Darin waren uns die Alten überlegen. Wie herrlich ist die Symbolik des Traumes in der Bibel dargestellt! Und wie vollendet erscheint die Symbolik bei Artemidoros aus Daldis, dessen Buch „Die Symbolik der Träume (In vortrefflicher deutscher Übersetzung von Friedr. S. Krauss bei Hartleben in Wien (1881) erschienen. Leider fehlt das wichtigste Stück: Die Symbolik der Geschlechtsvorgänge.) noch heute für den Psychoanalytiker lesenswert ist!

      Ehe wir mit der Darstellung der Traumdeutekunst beginnen, wollen wir uns kurze Zeit mit den Träumen der Bibel und mit der Deutekunst der Griechen befassen. Ich wüsste keine schöneren Beispiele zur Einführung in die Symbolik des Traumes.

      Am bekanntesten ist ja die Traumdeutekunst Josefs aus dem ersten Buch Moses. Josef verdankte seine große Stellung nur seiner außerordentlichen Fähigkeit, die Träume seines Herrschers treffend deuten zu können. Der erste Traum, den er seinen Brüdern erzählte, lautet:

      (1.) „Wir banden Garben auf dem Felde und meine Garbe richtete sich auf und stand; und eure Garben wieder neigten sich vor meiner Garbe.“

      Die Brüder deuten diesen Traum sofort dahin, dass Josef sie überragen sollte: „Sollst du unser König werden und über uns herrschen?" Auch wir Kinder der neuen Zeit könnten diesen Traum nicht anders deuten. Nur dass wir aus diesem Traume den Schluss ziehen, ein Ehrgeiziger habe ihn geträumt. Und da Ehrgeizige es bekanntlich sehr weit bringen, wenn sie die nötige Klugheit mit nicht erlahmender Energie verbinden, so könnten wir fast günstige Schlüsse auf die Zukunft eines Menschen ziehen, der in seiner Jugend von solchen Träumen erfüllt ist. (Die Träume Ehrgeiziger äußern sich häufig mit den Ausdrucksmitteln der modernen Zeit; Die Menschen fliegen hoch über den Köpfen der anderen im Luftballon, mit einem Aeroplan oder nach alter guter Tradition als Engel. Mitunter fliegen sie ohne Flügel durch eine bloße Bewegung der Arme und des Körpers.) Auch der zweite Traum Josefs ist ein solcher Ehrgeiztraum:

      (2.) „Mich däuchte, die Sonne und der Mond und die elf Sterne neigten sich vor mir.“

      Dieser Traum sollte sein Verderben werden und war der Anfang seines märchenhaften Glückes. Ebenso wunderbar sind die weiteren Deutungen Josefs:

      (3.) „Die sieben hässlichen mageren Kühe, welche die sieben schönen fetten Kühe auffressen“, wurden von ihm genialerweise als sieben magere Jahre der Hungersnot, die den sieben fetten Jahren der Fruchtbarkeit folgen würden, gedeutet. Alle diese Deutungen zeigen uns ein wunderbares Erfassen der Traumsymbolik. In gleichen Bahnen bewegte sich die Deutekunst der Griechen, von der ich hier zwei Beispiele aus dem Artemidoros anführen will:

      (4.) „Es träumte jemand, er wäre mit einer Kette an das Postament des Poseidon am Isthmus gefesselt. Er wurde Poseidon Priester; denn als solcher musste er vom Orte des Heiligtums unzertrennlich sein.“

      Dieser Blick in die Zukunft ist ebenso wohlfeil, als die nächste Prophezeiung des Artemidoros, die ich bald mitteilen werde. Es wird keiner Priester, der es nicht vorher lebhaft wünschte, es sei denn, er würde dazu gezwungen werden...

      Der zweite Traum aus dem Artemidoros zeigt uns eine Symbolik, die uns noch des Öfteren beschäftigen wird. Das Sexuelle wird in diesem Traumgesichte als Fleisch dargestellt. Das Fleischliche im Menschen durch das Fleisch eines Tieres.

      (5.) „Einer träumte, dass er sein eigenes Weib verführe und abopfere, das Fleisch einschrote und feilbiete, und dass ihm daraus ein großer Gewinn erwachse. Darauf träumt er, er empfinde darüber Freude und mache den Versuch, das zusammengebrachte Geld, um dem Neide der Umstehenden zu entgehen, zu verstecken." „Dieser Mann verkuppelte sein eigenes Weib und zog aus der Schande Gewinn. Diese Einnahmequelle erwies sich für ihn zwar als sehr ergiebig, war aber angezeigt, geheim gehalten zu werden.“ Auch diesem Mann ist der Wunsch vor der Tat Gevatter gestanden. Er träumte zuerst das, was er auszuführen noch nicht wagte. Da er den Traum als eine Mahnung der Götter auffassen konnte, löste der Traum möglicherweise eine Tat aus, die wahrscheinlich auch ohne Traum geschehen wäre. Vielleicht nur einige Zeit später. Der Traum ist ein Ungeduldstraum. Der Träumer kann es kaum erwarten, seine Frau zu verkaufen und den Gewinn einzuziehen.

      Von der Traumdeutekunst der Orientalen könnte man auch manche köstliche Probe gehen. Ich beschränke mich auf die Mitteilung eines Schwankes von Buadem, der nach Dr. Müllendorf nur ein von dem Herausgeber Mehemed Tewfik gefundener Deckname für den bekannten Schwänkedichter Nassr-ed-din ist. Dieser türkische Eulenspiegel soll im 14. Jahrhundert gelebt haben. In schlagender Weise legt der folgende Schwank dar, dass der Traum eine Wunscherfüllung ist: Buadem (Deutsch: Dieser Mann.) war kaum fünf bis sechs Jahre alt, da erzählte er eines Morgens seinem Vater folgenden Traum:

      (6.) „Vater, heute Nacht habe ich im Traum Kuchen gesehen." „Mein Sohn, das ist eine gute Vorbedeutung. (Im Scherz) Gib mir zehn Para (Kleinste in Konstantinopel kursierende Scheidemünze, nicht ganz 5 Pfennig.), und ich will dir den Traum auslegen!“ „Wenn ich zehn Para hätte, so hätte ich nicht von Kuchen geträumt.“ („Die Schwänke des Nassr-ed-din und Buadem“. Reclam 2735.)

      Machen wir jetzt einen kühnen Sprung ins 16. Jahrhundert und teilen wir einen Traum des berühmten Arztes, Philosophen und Mathematikers „Cardanus" mit, der ein Buch „De somniis“ geschrieben, und dessen Glaube an die prophetische Wahrheit seiner Träume so unerschütterlich war, dass er seine Gattin, die Tochter eines Straßenräubers nach einem Traumgesicht wählte; der Traum hatte ihm bei dieser Frau das Erwachen seiner bisher schlummernden Natur vorhergesagt. Er war bis zum 34. Lebensjahre impotent. Dass ein Impotenter sich darnach sehnt, in den „Garten der Liebe“ einzudringen, dürfte jedermann verständlich sein. Hören wir, wie Cardanus dies ausdrückt.

      (7.) „Ich befand mich einstmals des Nachts in einem schönen von Blumen und Früchten erfüllten Garten. Es wehte eine sanfte Luft, so dass kein Maler, kein Dichter, kein menschlicher Gedanke etwas Angenehmeres hätte hervorbringen können. Ich befand mich am Eingange des Gartens. Die Türe stand offen, als ich ein Mädchen in weißem Kleide erblickte. Ich umarmte und küsste sie; aber beim ersten Kusse schon riegelte der Gärtner die Türe zu. Ich bat ihn inständigst dass er sie offen lassen möchte. Es kam mir also vor, indem ich darüber traurig war und immer noch an dem Mädchen hing, dass ich hinausgeschlossen wurde." Wovon soll ein phantasiereicher Mensch träumen, wenn ihm der Garten der Liebe verschlossen ist? An diesem schönen Beispiel sehen wir die Tageswünsche in einer nur halbverhüllten Symbolik. Aber nicht immer ist die Symbolik so durchsichtig, wie in diesem Falle. Oft kann ein ganzer Traum im Dienste einer symbolischen Darstellung stehen. Ich will den komplizierten Problemen, die wir zu besprechen haben werden, hier aus dem Wege gehen. Ich möchte nur zu der Art, wie der Traum die Redewendungen durch Bilder ausdrückt, ein Beispiel aus der Traumdeutung von Freud anführen.

      Im Traume einer Dame heißt es:

      (8.) „Ein Stubenmädchen steht auf der Leiter wie zum Fensterputzen und hat einen Schimpanse und eine Gurillakatze (später korrigiert: Angorakatze) bei sich. Sie wirft die Tiere auf die Träumerin; der Schimpanse schmiegt sich an die letztere an, und das ist sehr ekelhaft.“ „Dieser Traum hat seinen Zweck durch ein höchst einfaches Mittel erreicht, indem er nämlich eine Redensart wörtlich nahm und nach ihrem Wortlaute darstellte. „Affe“, wie Tiernamen überhaupt, sind Schimpfwörter, und die Traumsituation besagt nichts anderes als „mit Schimpfworten um sich werfen“. (Traumdeutung S. 250.) Wir sind also hie und da gezwungen, die Situationen und Bilder des Traumes auf Redewendungen zurückzuführen. Der Traum nimmt die Rede wörtlich; wir müssen die Vorgänge bildlich nehmen. Das erfordert eine eigene Kunst und eigene Übung. Die will erst erworben sein. Zur Illustration des Gesagten will ich hier noch einen kleinen Traum sehr sonderbaren Inhaltes mitteilen. Ein an Angstzuständen leidender Herr namens Beta (Ich habe für häufig wiederkehrende Träumer willkürliche Namen gewählt. Auch sonst sind die Namen häufig verändert, um das Erkennen der Personen zu verhindern. Das ist der große Nachteil dieses Werkes. Aber es geht nicht anders. Die erste Pflicht des


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