Die Sprache des Traumes. Wilhelm Stekel

Die Sprache des Traumes - Wilhelm  Stekel


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aufzufassen. Der Träumer ist in seinem Innern noch gläubig, sogar strenggläubig, nach außen hin ein fanatischer Freidenker. Er hatte am Tage vor dem Traume ein Buch gelesen, das sich „La folie de Jésus“ (Dr. Binet-Sanglé: „La folie de Jésus". Paris. A. Maloine. 1908.) betitelt. Er musste plötzlich in der Lektüre abbrechen. Er kann nicht angeben, warum. Es war wie ein Zwang. Wie ein Gebot: Jetzt höre auf, zu lesen! Die tieferen Beweggründe enthüllt uns dieser Traum. Er hat sich etwas gegen seine Gottheit herausgenommen.

      Auf die weitere Bedeutung dieses Traumes und auf die Beziehungen von Angst und Wunsch will ich an dieser Stelle nicht mehr eingehen. Ich habe nur den Versuch gemacht, die Grundlinien der Traumsymbolik mit einigen Strichen zu zeichnen. Das Verständnis der Symbolik ist die Grundlage der Traumdeutung. Wir haben auch vor Freud eine Ahnung gehabt, welche Bedeutung die Symbolik im Leben des Menschen spielt. So hat Schubert und Kleinpaul auf die symbolische Auffassung des ganzen Lebens hingewiesen. Diese Forscher haben auch ungescheut auf die sexuelle Symbolik aufmerksam gemacht. Ist es nicht sonderbar, dass unsere Sprache die Worte nach dem Geschlechte unterscheidet? Erst wenn wir uns mit Traumanalysen beschäftigen, bemerken wir, wie unglaublich tief uns das symbolische Denken und besonders das sexualsymbolische Denken innewohnt. Im Traume kann alles Lange einen Penis und alles Runde eine Vagina repräsentieren. Aber nur im Traume? Man höre einmal, was Kleinpaul in dem Werke „Das Leben der Sprache“ (II. Band in dem Kapitel „Die Psychopathia sexualis des Volkes“, S. 490, 1. c.) ausführt. Er weist darauf hin, wie die ganze Sprache symbolisiert und sexualisiert ist. Die Sprache wimmle von sexuellen Symbolen. „Ja, die Menschheit“, sagt er, „ist liebestoll. Man kann nicht umhin, ihre ewige, auf das Geschlechtliche gerichtete Phantasie halb krankhaft, halb lächerlich, am Ende langweilig zu finden. Sie hat geradezu den Verstand verloren. Das Männliche, das Weibliche will ihr gar nicht mehr aus dem Sinn, sie kann keinen Stiel und kein Loch sehen, ohne daran zu denken — und wenn es ein Turm ist, darin die Gefangenen schmachten, so nennt sie ihn il maschio di Volterra.“ „Nicht deshalb, weil man ein Mädchen darin sieht, heißt der Augapfel: das Mädchen des Auges. Sondern die Iris ist selbst ein Mädchen. Weil sie in der Mitte ein Loch hat — dazu braucht es keine Anatomie, das Schwarze im Auge erschien eben als ein Loch im Auge. Loch, Τϱὺπα, Trou ist in allen Sprachen ein Name für das Weib, das schon in der Genesis (I, 27) die Gelochte heißt, und weil das Auge klein ist, betrachtete man das Auge als ein junges Mädchen.“

      „Besonders nehmen die Gedanken diese erotische Richtung dann, wenn eine Hervorragung in die Höhlung passt, wie der Fuß in den Schuh oder wie das Messer in die Scheide, wenn beide Dinger für einander gemacht sind und ineinander stecken. Dann stellen sie das große Glück aller Geschlechtswesen, die geschlechtliche Vereinigung und das dar, was sie am Ganges Lingam nennen.“ „Qual Buco, tal Cavicchio“, sagen die Italiener sprichwörtlich, wie Fischart einmal bemerkt: Es war eben ein Zapff für diese Flasch, denn faul Eyer und stinkend Butter gehören zusammen, oder wie sich das Volk bei uns ausdrückt: Auf jedes Töpfchen gehört sein Deckelchen. Es ist eben recht dahinterher, und unzählige technische Ausdrücke lassen sich nur durch seine unablässige Adam- und Eva-riecherei erklären. So die vielen Mütter, Nonnen und Matrizen in den Gewerben.“

      „Mutter, Nonne, Weib auch Schnecke; auf der anderen Seite Vater, Mönch und Mann stehen hier nur für den wesentlichen Teil. Das lässt tief blicken: Mönch und Nonne. Oft ist es so, dass die männliche Hälfte noch einen vernünftigen Namen führt, wie Stempel oder Spindel, und nur die bessere weibliche poetisch verklärt wird. Ein eheliches Verhältnis scheint für die Schraube zu bestehen (Spindel und Mutter).“

      Wahrlich, Kleinpaul hat recht: die Sprache wimmelt von sexuellen Symbolen. Wir müssen eigentlich nur den Geist der Sprache erfassen, und wir können manche Träume deuten. Ein junger Bursche von 16 Jahren, dessen Vater ein berühmter Künstler und ein liebenswürdiger, von allen Frauen vergötterter Don Juan ist, erzählt mir einen Traum:

      (10.) „Der Vater entdeckt in den Zimmern verschiedene Löcher. Ich ärgere mich, dass er sie alle allein verstopfen will.“

      Als ich ihn frage, warum er sich geärgert habe, sagt er: Weil er sich der Mühe unterzieht. Ich konnte ihm ja helfen. Das ist keine passende Arbeit für einen so großen Künstler.“ Er rationalisiert — nach dem treffenden Ausdrucke von Jones seinen Traum. Aber wir fassen den Traum lieber wörtlich auf. Der junge Mann ist ein Alexander, der sich ärgert, weil Philipp ihm nichts zu erobern übrig lässt. Alle Frauenzimmer im Hause verehren den Vater: die Mutter, die Tante, die Französin, die Sekretärin. Er verdächtigt den Vater grob sexueller Beziehungen. Vielleicht nicht mit Unrecht. Die Löcher in der Mauer sind im Sinne Kleinpauls aufzufassen.

      Wir haben mit der allgemeinen harmlosen Symbolik begonnen — man denke an die Garben im Felde (Vielleicht lässt auch der Traum Josefs noch eine zweite, erotische Bedeutung zu. Größenwahn und der Wunsch einer außerordentlichen Potenz, eines außerordentlichen Phallus gehen oft Hand in Hand. Paranoiker mit Größenwahnideen pflegen sich zu rühmen, sie hätten 1.000 Frauen, 1.000 Söhne und dergleichen Renommistereien mehr.) — und sind schon mitten in der tiefsten Erotik drinnen. Das ist schon das Schicksal der Traumdeutung. Wer sie betreiben will, muss sich auf ärgere Dinge gefasst machen.

      Ich möchte hier noch einen Vorgänger Freuds anführen, den bekannten Traumforscher Scherner („Das Leben des Traumes“, Berlin, Heinrich Schindler, 1861.), der sich in die Hypothese verrannt hatte, alle Träume auf Leibreize zurückzuführen. Diese Hypothese hat sich als ganz unhaltbar erwiesen. Trotzdem drängte sich diesem Forscher die Sexualsymbolik in vollkommen richtiger Form auf. Manches mag lächerlich erscheinen. Aber Tatsachen verlieren dadurch, dass sie lächerlich erscheinen, nichts von ihrem Werte. Scherner bemerkt zum Thema der Sexualsymbolik: „Die Geschlechtsregung symbolisiert sich in Form von Nachbildungen des erregten Organs selbst oder in Bildern und Phantasieaktionen, welche das erregte Verlangen nach Geschlechtsbefriedigung ausdrücken. Auch hier herrscht aber das verhüllte Schaffen, welches die malerische Kraft der Phantasie aufrechterhält. Z. B. man findet auf der Straße des Ortes, wo man gerade geht, den oberen Teil einer Klarinette, daneben den gleichen Teil einer Tabakspfeife, daneben wieder einen Pelz (die oberen Teile von Klarinette und Tabakspfeife stellen unverkennbar die annähernde Form der vordringenden männlichen Gliedmasse dar, die röhrenartige Beschaffenheit des Gefundenen die durchgehende Röhre des Geschlechtorganes; die gefundenen Gegenstände sind aber doppelt gesetzt aus Anregung des paarigen Gesichtssinnes, welcher beim Erblicken des Gefundenen wesentlich interessiert ist. Endlich steht der wolligste Pelz für das Schamhaar, so wie die Bürste für die Augenbrauen und Wimpern sich vorfindet, anstatt des sonst üblichen symbolischeren Geästs; alle drei Bilder nebeneinander gefunden, bedeuten die Zusammenverbindung des dadurch Ausgedrückten). Oder man findet in Verbindung mit Harnreizen eine ganz kurios zusammengeschrumpfte kurze Tabaks- oder Zigarrenpfeife, womit sich der Gesamtriss der männlichen Organik versinnbildlicht. Schärfer ausgeprägt aber erscheint die Symbolik bei angespanntem Zustande der Sexualität, welcher gemeiniglich dem Harnreize folgt, und es steht der schärfere symbolische Ausdruck dem schärferen Reize kongruent. Z. B, man sieht durch das Geäst von Bäumen hindurch, unter welchen man steht, nach einem hochragenden Turm der Gegend, an dem (aus der Wirklichkeit bekannten) Turme gewahrt man zur Verwunderung, dass seine oberste Spitze eine abgestumpfte Gestalt angenommen habe und indes man die runde Kuppel darunter betrachtet, meint man, ein zweiter Knopf (der niemals in Wirklichkeit war) müsse herunter gefallen sein; während dieses aufmerksamen Hinsehens aber sieht man sich unter Frauen, oder solche an sich vorübergehen. Der hochragende Turm steht für die Gespanntheit des aktiven Organs, die Turmspitze erscheint abgestumpft der oberen Struktur des Organes gemäß; die Phantasie sucht mit Gewalt zwei Kuppeln, wo nur eine vorhanden ist, um die Paarigkeit des unteren Organes auszudrücken; sie lässt den Träumer unter dem Geäst hervor auf den ragenden Turm blicken, weil das aktive Organ aus dem umgebenden Schamhaar (Geäst) hervortretend gesetzt ist. Turm, Spitze, doppelte Kuppel, Baumgeäst aber drücken allzusammen nur einen zusammengehörigen Begriff aus, weil die Phantasie durch die Aktion des Sehens, welche aus dem Geäst hervor nach dem Ziele des Blickes verläuft, alle Bilder in eins verschmilzt.“ (Das Leben des Traumes, S. 197 l. c.)

      Nun hören wir einmal einen Traum eines sitzengebliebenen 30 jährigen Mädchens an:

      (11.) „Papa geht im Zimmer herum und schneidet allen Figuren die Spitzen der Blätter ab. Ich


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