Die Sprache des Traumes. Wilhelm Stekel

Die Sprache des Traumes - Wilhelm  Stekel


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und sofort klingelt das Telephon, d. h. es melden sich sexuelle Gelüste. Der Schwager, der bisher ein solider, strenggläubiger Katholik gewesen, allen Reformbestrebungen, die eine Löslichkeit der katholischen Ehe anstrebten, abhold, derselbe Schwager, der keine Zeitung lesen will, die dem Fortschritt dient, dieser Erzklerikale, erklärt ihr jetzt, das Sexualleben der Menschheit sei jetzt auf eine andere, moderne Basis gestellt. Es ist dies das oft besprochene Thema der „freien Liebe“. Herren der besten Stände, gebildete Herren (welcher Gegensatz zu ihrem Manne!) kämen freiwillig, um Telephondienst zu machen und wechselten sich stundenweise ab. Wie wir bemerken, eine Art männlicher Herrendienst, wobei der durch Telephonieren geschwächte Mann sofort von einem zweiten abgelöst wird. Da gibt es natürlich keine Angst und Beschwerden wie bei ihrem Manne, dessen Potenz mit seiner Appetenz in schreiendem Missverhältnis zu stehen scheint.

      Dieses „Telephonieren“ ist nicht mehr unanständig. Im Gegenteil! Es existiert keine anständige Familie in ganz Wien, die kein eigenes Telephon hätte. Die Schuld ist ja umso geringer, je mehr sich derselben Sünde teilhaftig machen. (Die Zahl der Teilnehmer steigt ins Ungeheure; die Gebühr ist dadurch verbilligt.) Auch sie zahlt hundert Kronen für ein Sprachrohr (Das Sprachrohr natürlich ein Symbol für den Penis. Wir merken hier das Bestreben alle Sexualsymbole, womöglich bisexuell aufzudrücken, eine Tendenz des Traumes, über die wir noch viel zu reden haben werden. Das Telephon enthält ein Sprachrohr und eine Muschel.) Soviel kostete bisher ein Automatentelephon (d. h. Onanie = automatisch betriebene Sexualität = Äutoerotismus). Auch meine letzte Rechnung betrug 100 Kronen, womit sich der Schwager als eine Verdichtung aus meiner Person und dem wirklichen Schwager erweist. Der Vorgang der Verdichtung zweier oder mehrerer Personen in eine, oder mehrere Vorfälle in einen, wird uns noch des Öfteren beschäftigen. Eine Erwähnung verdient noch die „an Leere gewöhnte Tasche“, die wieder nichts anderes als die leere Vagina bedeutet, die sich einen ordentlichen sympathischen Mann kaufen will. Der Schwager vermittelt nun den „Anschluss“ an das Telephon. Als erster erscheint ihr eigener Mann, dem sie angetraut wurde, wobei der Schwager Trauzeuge gewesen („dessen Obsorge meine Telephonnummer anvertraut sei“). Die Aufforderung, ihn zum „Nachtessen“ einzuladen, verrät die Zusammenhänge zwischen dem Essen und der Sexualität. Das „Nachtessen“ bedeutet hier ein Nachtlager (Ebenso häufig „einen zum Abendbrot einladen“ in derselben Bedeutung.) Sie verzichtet aber lieber auf das Telephonieren. Das entspricht ja, wie wir eingangs vernommen haben, wirklich den Tatsachen. Sie ist unzufrieden, sie will das Geld zurück (bedeutet hier die Mitgift, die inzwischen aufgezehrt wurde), sie will sich scheiden lassen, was der katholische Schwager bisher mit seinem ganzen Einflüsse verhindert hat.

      Der zum Hineinbeißen appetitliche Tenor, der nun erscheint, gefällt ihr sehr gut. Hie möchte ihn gegen ihren Mann umtauschen. Dieser Mann, der ihr so gefallen hat, ist jetzt leider verheiratet. („Er befindet sich immer in Gesellschaft einer Dame.“) Sie macht im Traume ihren Wünschen gemäß aus der unsympathischen Frau eine ihr sehr sympathische Schwester. Die Schauspielerin ist ein Vorwurf gegen die Frau des Tenors und heißt so viel als: Sie ist eine Komödiantin und hält dich zum Besten. Der Bassist verschwindet endlich schimpfend, sie wird liebenswürdig und lädt den Herrn zum Abendessen ein. Sie hat also einen Mann und eine Frau zu ihrer Verfügung. Durch dieses Bild wird sehr deutlich auf die homosexuellen Neigungen der Patientin hingewiesen. Ihre beiden erotischen Komponenten, Homo- und Heterosexualität werden in Aktion treten. Wir verstehen jetzt ihren begeisterten Ausruf: „Nein! werden das genussreiche Abende sein!“

      Die Schauspielerin soll auch „deklamieren", was offenbar denselben geheimen Sinn wie das „Telephonieren" hat. Das „entzückende“ Geschöpf deklamiert nun das Gedicht, das eine Verhöhnung ihres Mannes bedeutet und in den Vers ausklingt, zu einem Igel gehöre nur ein Igel.

      In zweiter Bedeutung ist sie selber das „entzückende“ Geschöpf. So wurde sie als Mädchen oft charakterisiert. Sie identifiziert sich mit der Frau des geliebten Mannes (Hier verrät sich ihre starke Eigenliebe, der sogenannte Narcissismus, der auch schon im „Automatententelephon" angedeutet wurde.)

      Endlich hat das „Telephonieren“ noch eine andere Bedeutung, die ihr bekannt ist. In congressu pflegt der Constrictor cunnei in Funktion zu treten, was durch eine entsprechende Muskelbewegung des Mannes erwidert wird. Die erste Zeit ihrer Ehe war sie glücklich und ... telephonierte. Bald verschwand die Libido beim Akte und wurde durch Angst vor der Libido ersetzt. Das Telephonieren hatte aufgehört (Die Telephonsymbolik führt über die „Muschel“. Im VI. Buch der Antropophyteia findet sich eine sehr instruktive Abhandlung von Dr. Aigremont „Muschel und Schnecke als Symbole der Vulva ehemals und jetzt“-. Die Schnecke ist übrigens ein bisexuelles Symbol und steht auch als „Der Schneck“ für den Penis.)

      Der Traum würde natürlich noch eine Menge von Beziehungen verraten können. Wir wollen uns nicht aufhalten und rasch zu anderen Analysen übergehen. Ich möchte nur noch eine Bemerkung über den Typus des Traumes sagen. Ich habe ihn einen „Phantasietraum“ genannt. Das hat die Bedeutung, dass dieser Traum offenbar die Übersetzung einer Tagesphantasie in die wenig veränderte Traumsprache vorstellt. Bei Hysterischen trifft man diesen Typus sehr häufig. Sie geben dem Traumdeuter die wenigsten Rätsel auf.

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      Auf der Oberfläche der Probleme

       Auf der Oberfläche der Probleme

      „Suche in das Innere jedes Menschen einzudringen;

      aber gestatte auch jedem anderen

      in deine Seele eizugehen. Marc Aurel

      Versuchen wir wieder an einigen Beispielen die oberflächlichen Beziehungen des Traumlebens festzustellen. Betrachten wir wieder einen Traum, der eine einfache Symbolik zeigt.

      Es ist dies der Traum des Fräulein Gamma.

      (15.) „Ich habe einen Waschsack in der Hand. Den habe ich ganz ausgeleert. Es war lauter schmutzige, graue Wäsche darin. Ein Kissenüberzug, der grauschmutzig war, Monatsbinden (ganz unten!), ein ganzer Pack — alles eklig. Ich musste alles ausleeren.“

      Eine symbolische Darstellung ihrer psychoanalytischen Kur. Sie muss jetzt bei mir ihre ganze „schmutzige Wäsche“ waschen. Sie erzählte mir die letzte Stunde von ihren Beschwerden bei der Menstruation; „der Kissenüberzug“ bezieht sich auf intime Dinge, die sich im Bette zugetragen haben. Sie hat vor diesen Dingen einen großen Ekel. Sie hat aber die Empfindung, sie müsse alles sagen („den Sack ganz ausleeren“), damit sie mit ihren Beschwerden fertig werden könne. Ihr ganzes Denken dreht sich um die Begriffe „rein“ und „schmutzig“. Sie besorgt jetzt eine Art Mohrenwäsche. Es graut ihr davor. (Doppelsinn des Wortes grau, das sowohl die Anspielung auf Schmutz als auf den Ekel und die Angst enthält.) Der ganze Traum eine schöne symbolische Übersetzung ihrer wachen Gedanken.

      Diese Deutung entspricht der oberflächlichsten Schichte. In ihr vereinigen sich die rezenten Anlässe. Ein jeder Traum muss aber aus mehreren Traumquellen eine Einheit gemacht haben. Er muss mehrfach zu deuten („überdeterminiert“ sein. Er muss auch eine infantile Wurzel haben.

      Die früheren Schichten der Traumgedanken erzählen von ihren ersten Empfindungen bei der Menstruation. Sie kam sich damals unrein vor. (Bei manchen Völkern gilt die menstruierende Frau als „unrein“ und ist während einer gewissen Zeit tabu.) Weitere Erlebnisse beziehen sich auf die Jugend, da sie nach solchen Flecken im Bette der Eltern geforscht hatte. Und schließlich tauchen infantile Begebenheiten auf, die beweisen, dass ihrem Ekel vor dem Schmutz eine intensive Mysophilie (Geruchsfetischismus) vorangegangen ist.

      Die weitere Bedeutung des Waschsackes geht auf einen andern Sack — das scrotum. Zwei schwere Traumen tauchen vor ihrem geistigen Auge auf. Ein Onkel gab ihr seinen Phallus in die Hand. Die Erinnerung an die Ejakulation („Ich musste alles ausleeren“) ist mit großem Ekel verbunden. Eine frühere Erinnerung erzählt von einer ähnlichen Aggression ihrerseits auf den jungen Bruder. Auffallend ist wieder die bisexuelle Verwendung des Waschsackes, der noch eine Beziehung zur Onanie aufweist.

      Doch halten wir uns nicht auf und versuchen wir noch unser Glück bei einigen oberflächlichen Analysen. Begnügen wir uns meistens


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