Der Agentenjäger. Peter Schmidt
Anwalt. Und er verfügt über gute Verbindungen nach Bonn.»
«Also auch keine Ausnahmegenehmigung drin?», fragte der andere vorsichtig.
«Wenn etwas gegen ihn oder seine Kanzlei vorläge, ja. Dann vielleicht. Aber Waldmann tritt gegenüber Wendland nur als Vermittler für Vogel und seine Klientin auf. Wir hätten niemals grünes Licht dafür bekommen.»
Sie warteten eine Zeit lang ab, obwohl sie wussten, dass es nicht mehr viel zu tun gab. In einer halben Stunde würde der Wagen des Unterhändlers wieder vor der Haustür der Kanzlei auftauchen, Wendland einladen und ihn über den Kontrollpunkt nach Ost-Berlin zurückbringen.
Marten strich sich gedankenverloren mit drei Fingern über die Stoppeln an seiner Kehle.
«Die Dienste sind zahnlos und fromm geworden …», sagte er mehr zu sich selbst als an seinen Begleiter gerichtet. «Zahme Haushunde, die sich nur noch von durchgedrehtem Fleisch und gekochten Kartoffeln ernähren! Bellen zwar und verbuddeln ihren Knochen, als sei‘s das alte Spiel, aber dann geht ihnen schnell der Atem aus. Eines Tages wird es uns das Genick brechen ... wie im Fall Tiedge. Ja, genau wie im Fall Tiedge», bekräftigte er, als drohe ihm damit eine persönliche Gefahr.
«Ich bin gar nicht mal so sicher, ob eine Weibergeschichte das Risiko überhaupt wert ist», erklärte der junge Mann. «Ich selbst würde an seiner Stelle lieber …»
«Sie vergessen, dass auch Leas Tochter drüben ist. Er hat sie angenommen wie sein eigenes Kind.»
«Und wenn er jetzt einfach in ihren Wagen stiege? Der Grenzübergang ist nicht weit.»
«Nein, Faber ist einer unser erfahrensten Abwehrspezialisten. Deshalb würde er es nie ohne Gegenleistung tun. Er müsste sicher sein, dass sie freikommen – und dass Lea überhaupt zurückkehren will. Der fragliche Punkt an dieser dubiosen Fluchthilfegeschichte … sehr mysteriös.»
Marten wiegte skeptisch den Kopf.
«Auf jeden Fall aber würde Faber es nur als direkten Austausch akzeptieren. Im Gegenzug, Person um Person. Und natürlich würden wir ihn daran zu hindern wissen.»
«Natürlich. Ja, natürlich», sagte der junge Mann.
1
Reuben war zweieinhalb Wochen in Mittelamerika verschollen gewesen, ehe man seine Leiche an einer Wegkreuzung im dünnbesiedelten Nordosten Guatemalas fand. Die nächste Ortschaft, eine Ansammlung armseliger Hütten, lag etwa fünfzehn Kilometer entfernt.
Seine Identifizierung bereitete den örtlichen Behörden keine Schwierigkeiten; Gerüchten nach, die überall im Umlauf waren, sollte er für einen westdeutschen Geheimdienst gearbeitet haben. Das zuständige Konsulat in der Hauptstadt sah wenig Anlass, diese Version zu leugnen.
Er hatte entkleidet zwischen zwei großen, glattgewaschenen Basaltsteinen gelegen – mit einem weißen Lendentuch als einzigem Schutz.
Seine Haut war von seltsamer Blässe und grünlich durchscheinend, als man eine Lampe auf sie richtete. Anfangs glaubte der herbeigerufene comisario, ein dicklicher, völlig kahlköpfiger Mann, dessen Wangen von Pigmentflecken übersät waren, Reuben sei die Kehle durchgeschnitten worden.
An seinem Hals hatte man eine blutverkrustete Schnittwunde gefunden. Das wäre eine Todesursache nach Urbicos Geschmack gewesen, sie passte ins politische Bild. Die Guerillatrupps der kommunistischen PGT hatten niemals Skrupel gezeigt, was diese einfache und erfolgreiche Mordmethode anbelangte.
Einen Tag danach widerrief man Reubens Berufsstand und behauptete, er sei Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Guatemala gewesen. Ein bedauerlicher Fauxpas. Eine Namensverwechslung, dazu derselbe Geburtsort.
Faber, der zwei Tage später mit der Bahn aus Guatemala City eintraf erklärte sich als Beauftragter der deutschen Behörden und Reubens Schwester.
Sobald die Obduktion abgeschlossen sei und die Genehmigung des zuständigen Amtes in Zacapa vorliege, werde er für seine Beerdigung in der Provinzstadt sorgen. Seine Schwester, die Deutschland nicht verlassen könne, lehne Reubens Überführung aus Kostengründen ab. «Arme Leute», erklärte Faber hinter vorgehaltener Hand. Er wolle ihr telegrafisch übermitteln lassen, dass hinter der Kirche ein hübscher kleiner Friedhofliege, auf dem Reuben zweifellos seinen Frieden finden werde.
Dem comisario kam es so vor, als sei Faber überhaupt nicht an der Todesursache interessiert. Er schien eigentümlich gleichgültig zu werden, ja fast vor Abneigung zu erstarren, wenn Urbico die Sprache auf seine ungewöhnliche, grüngraue Hautfärbung brachte. Es erweckte den Eindruck, als hinge sein Tod mit seinem Auftrag zusammen; und damit halte man besser hinterm Berg.
«Machen Sie sich darüber nur keine Gedanken, comisario», sagte Faber, als Urbico erwähnte, dass Reubens Obduktion noch immer keine Hinweise gebracht hatte. «Er trank zuviel mexikanischen Tequila. Zusammen mit Zitrone und Salz … Ich meine: im Übermaß genossen, und wenn sich die Leber zu zersetzen beginnt – soll sich dabei nicht genau jene Hautfarbe einstellen?»
«Nicht, dass ich wüsste.»
«Die Zeit eingerechnet, die er dort in der Sonne lag?»
«Im Schatten. Er lag im Schatten zwischen zwei Basaltsteinen. Man fand ihn in den späten Abendstunden und er konnte nicht vor dem Nachmittag gestorben sein.»
«Das beweist wohl, wie betrunken er war. Oder gehe ich fehl in der Annahme? Wer, außer einem Betrunkenen, verirrt sich schon in ein so abgelegenes Stück Sumpfland?»
«Bei Leberzirrhose sind die Augäpfel gelb. Man erkennt die zersetzte Leber auch an der Rotfärbung der Fingerkuppen und des Handballens. Nichts davon ist bei Reuben zu finden.»
«Und sein Blutalkohol?»
«Normal. Ich würde sagen, völlig normal. Was mir mysteriös erscheint, ist seine grüne Hautfarbe.»
Sie standen auf der Dachterrasse des Hotels Incommente.
Unter ihnen bewegten sich Indiomädchen, die Obst und Gemüse und bemalte Tonkrüge zum Markt trugen. Straßenverkäufer boten laut ausrufend tacos an, flache, gerollte Maisfladen, mit Schweine- und Truthahnfleisch in pikanter Soße gefüllt. Heilhäutige Mädchen, eine Gruppe ladinos, Mestizinnen auf dem Wege zu irgendeiner Fachschule, nahm Faber wegen der blauen Uniformjacken an, winkten ausgelassen zu ihnen hinauf, als sie die beiden Männer auf dem Dach erblickten.
Faber winkte zurück. Gleich darauf schien er sich der Pietätlosigkeit seiner Gebärde angesichts eines unaufgeklärter Mordfalls bewusst zu werden und er fragte mit ernstem Gesicht:
«Dafür gibt es doch sicher irgendwelche Vergleichsfälle, comisario?»
«Nein, keine.»
«Nicht einen einzigen?»
«Wie ich schon sagte: völlig mysteriös.»
«Und was vermuten Ihre Chemiker?»
«Sie sind noch nicht mit den Analysen zu Rande. Möglich, dass es sich um einen indianischen Zaubertrunk handelt.»
«Einen Zaubertrunk?»
«Diese Burschen sind sehr abergläubisch. Und manches ist ja auch nicht von der Hand zu weisen», setzte er hinzu; dabei deutete er mit den Fingerspitzen auf seinen Jackenärmel. «Ich hatte selbst einmal ein sehr hartnäckiges Nervenleiden im linken Arm, dauernde Schmerzen, als kröchen Ameisenströme durch meine Adern. Kein Arzt in der Stadt konnte mir helfen.
Dann traf ich eine alte Indiofrau, die vom Land kam, um auf dem Markt ihre Heilkräuter anzubieten. Sie empfahl mir, meinen Arm zu besprechen. Das könne ich selbst tun, es komme nur auf die richtigen Worte an.
Glücklicherweise nahm ich ihren Rat ernst. Ich setzte mich in eine ruhige, abgedunkelte Ecke meiner taberna, wo ich auch zu essen pflegte, und sagte dreimal: Weiche von mir, Satan! Es waren die Worte, die sie mir auf den Weg gegeben hatte. Und seitdem sind meine Beschwerden verschwunden …»