Der Agentenjäger. Peter Schmidt

Der Agentenjäger - Peter Schmidt


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seinen aufdringlichen Blick und nickte ihm lächelnd zu.

      Ernüchtert beugte er sich wieder über die Speisekarte.

      «War es wirklich nötig, mich so lange warten zu lassen?», fragte sie.

      Er hob überrascht den Kopf. «Was denn, sind Sie etwa …?»

      «Corinna Menge von der Botschaft», bestätigte sie. «Ich erledige die Sonderaufgaben – seitdem ich meine journalistische Arbeit an den Nagel gehängt habe.»

      «Doch nicht auch noch Journalistin?», fragte er. «Habe ich das richtig verstanden?»

      «Was soll daran so ungewöhnlich sein?»

      «Eine gute Freundin von mir hat den gleichen Beruf Sie wird in der DDR wegen Fluchthilfe festgehalten, aber das ist eine andere Geschichte … Darf ich mich zu Ihnen setzen?»

      «Sicher, ich bitte sogar darum.»

      Faber kam ein wenig zu schwungvoll um den Tisch herum und winkte zum anderen Ende des Saales. Doch der Kellner beachtete ihn nicht, obwohl er ihm kurz das Gesicht zugewandt hatte; er kniete weiter mit einem Stapel weißer Tischtücher über dem Arm vor dem hohen Kommodenschrank.

      «Hier müssen Sie bei allem etwas mehr Geduld haben», sagte das Mädchen. «In Mittelamerika gehen die Uhren anders. Er hat sie gesehen, deshalb wird er es sich als eine besondere Aufmerksamkeit anrechnen, dass er sich nachher noch an Sie erinnert.»

      «Um ein besseres Trinkgeld herauszuschinden?»

      «Wieso nicht?»

      Faber zuckte die Achseln und versuchte nachzudenken. Aus irgendeinem Grund fiel ihm nur ein schäbiger und etwas zu anrüchiger Witz über ihre langen Beine ein. Er unterdrückte ihn gerade noch rechtzeitig und fragte:

      «Sie kommen wegen Reuben, habe ich recht?»

      «Die Botschaft hat mich Ihnen als Begleiterin zugeteilt – als Assistentin, wenn Sie so wollen.»

      «Als Assistentin? Aber ich habe niemanden angefordert!»

      «Sie fahren doch nach Baril, stimmt‘s?»

      «Wer sagt das?»

      «Sie wollen den jungen Goldstein befragen, der dort an einem Entwicklungshilfeprojekt arbeitet. Der Mann, um dessentwillen Reuben herkam …»

      «Mir ist schleierhaft, wie Sie auf diese Idee kommen?»

      «Haben Sie gestern Abend etwa keinen Busfahrschein nach Baril gelöst?»

      «Ja. Und es war die letzte Karte.»

      «Nun, nicht ganz die letzte. Hier ist mein Fahrschein.» Sie zeigte ihm ein gelbes Billett aus hauchdünnem Papier, das den Nachbarplatz belegte. Er erinnerte sich, dass seine Sitzplatznummer 50 lautete, und ihre war 51».

      Der Kellner tauchte neben ihnen auf – das Gesicht mit den schwarzen Hirschaugen treuherzig lächelnd. Faber bestellte bis auf Nachtisch und Vorsuppe die Zusammenstellung des Menüs, die aus drei weiteren Gängen bestand, ließ sich dann aber überreden, auch den Nachtisch – heißen Pfirsich mit Eis – zu nehmen. Er war im Preis inbegriffen. Nachlass für seinen Verzicht würde es nicht geben.

      Es bereitete ihm Vergnügen, in ihren Augen als knauserig zu gelten.

      «Ich verstehe wirklich nicht, was das alles soll?», fragte er, als der Wein eingeschenkt wurde. «Warum man mir eine Aufpasserin zuteilt, meine ich.»

      «Keine Aufpasserin. Die Fahrt im Landesinnern ist ziemlich riskant. Gerade in den abgelegenen Dörfern. Guerillas, Todesschwadronen, Militär ... Es gibt Ausgangssperren für die Anwohner, und wer sie nicht beachtet, wird erschossen. Dazu eine Menge Zivilpatrouillen, einfache Leute, Analphabeten vom Lande, die 24 Stunden pro Woche Dienst ableisten müssen und nicht immer zwischen erwünschten und unerwünschten Ausländern unterscheiden können.

      Wahrscheinlich würden Sie wegen ihres blonden Haars für einen Russen gehalten.»

      «Ich wüsste nicht, dass meine Haarfarbe für Kommunisten besonders typisch wäre?»

      Sie schien einen Augenblick zu erstarren, seine harmlos gemeinte Antwort veränderte ihren Gesichtsausdruck so krass und unerwartet, dass Faber sich etwas vorbeugte, damit etwas mehr Licht von der Wandlampe auf ihr Gesicht fiel. Aber sie hatte sich schon wieder gefangen.

      «Diese einfachen Leute machen keinen Unterschied zwischen Skandinaviern und Russen. Es wäre wohl auch etwas zuviel verlangt, die meisten von ihnen haben noch nie eine Landkarte gesehen.»

      «Vielleicht sollte ich telefonieren», sagte Faber missmutig. «Mit dem Botschafter.»

      Sie aßen schweigend. Das einzig wirklich Genießbare, fand er, waren die heißen Pfirsiche mit Eis. Dosenpfirsiche, aber immerhin. Er beglückwünschte sich noch im Nachhinein, dass er nicht darauf verzichtet hatte. Seine Körpergröße verlangte nach ausreichend Kalorien.

      Darin glich er seinem übergelaufenen Kollegen Tiedge, der in keinen Anzug von der Stange passte. Angeblich fraß er bei festlichen Veranstaltungen regelrechte Schneisen ins kalte Büfett.

      «Weil Sie niemand in Ihrer Nähe dulden?», fragte sie. «Oder weil es Sie stört, dass Ihnen jemand nachläuft?»

      «So ungefähr.»

      «Sie werden noch froh über meine Begleitung sein.»

      «Kann ich mir schlecht vorstellen.»

      «Waren Sie jemals im Landesinnern?»

      «Das klingt ja, als gingen wir auf Expedition?»

      «Meiner Meinung nach sollten Sie Ihre Nachforschungen besser einstellen. Wie mir der Botschafter sagte, gehört es gar nicht zu Ihrem Auftrag. Ihre Vorgesetzten in Köln werden sehr ungehalten sein.»

      «Der Botschafter?»

      «Er gab mir den Auftrag. Er ist besorgt um Sie.»

      «Ich schlage mir nur die paar Tage bis zur Freigabe von Reubens Leiche um die Ohren. Und dabei versuche ich mir ein Bild über seine Arbeit hier in Guatemala zu machen, über seine wirklichen Absichten. Er kam wegen Goldstein her. Ich werde ihm einige Fragen dazu stellen. Das ist alles.»

      Sie schürzte die Lippen und betastete sie mit ihrem Zeigefinger, dessen Nagel perlmuttfarben lackiert war. «Wenn Sie nur auf die Freigabe seiner Leiche warten», sagte sie nachdenklich, «könnte ich das für Sie erledigen.»

      «Sieht ganz so aus, als wollten Sie mich loswerden?»

      «Und Sie mich ebenfalls!»

      «Na prächtig, dann sind wir uns ja einig. Ich schlage vor, dass wir uns bis zu meinem Rückflug aus dem Weg gehen.»

      Er stand auf, und sie folgte ihm in einigem Abstand zur Saaltür. Der Kellner kam eilig aus seinem Verschlag hinter den Lamellenwänden, die Rechnung mit ihren verschiedenartigen Durchschlägen wie einen welkenden Blumenstrauß in der Hand.

      «Geht alles zu Lasten des deutschen Botschafters», sagte Faber. «Einschließlich 15 Prozent Trinkgeld. Ich glaube, ich war von der Dame eingeladen.»

      Als er unmerklich den Kopf drehte, bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass sie zahlte. Sie drückte dem Kellner eine größere Banknote in die Hand, ohne das Wechselgeld abzuwarten. Sie war Lea wirklich sehr ähnlich. «Nur noch etwas langbeiniger …», murmelte er mit einem Anflug von Selbstironie. «Ein Anblick, der mir bei der Arbeit gar nicht bekommt.»

      Selbst ihre Art, sich zu bewegen, war die gleiche. Manchmal hielt sie für Sekunden inne und legte den Kopf ein wenig schief, als erwarte sie irgendeine Lügengeschichte. Wie eine jüngere Schwester, genauso hartnäckig und verbissen!

      Wenn etwas an dieser Fluchthilfegeschichte dran war, wenn sie kein Vorwand war, um sie in Ostberliner Untersuchungshaft zu halten – Lea hätte eine ebenbürtige Helferin gefunden.

      Am Fuß der Treppe wandte er sich nach ihr um und versuchte seiner Stimme einen mürrischen Tonfall zu geben. «Verschwinden Sie …»


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