Sky-Troopers 2 - Die Beutewelt. Michael Schenk
Ebene. Geruchsbarrieren trennten die offenen Auslagen voneinander, dennoch mischten sich die Aromen von frischem Brot, Gemüse und anderen Waren.
Die Passage unterschied sich kaum von einem der Einkaufszentren auf dem Mars, der Hauptwelt der Menschen. Nur das orangerote Leuchten der Sonne Arcturus, jenseits der riesigen Klarstahlwand an der Stirnseite, erinnerte daran, dass man sich inmitten des Weltraums und über sechsunddreißig Lichtjahre weit vom irdischen Sonnensystem entfernt befand.
Von der Decke der Passage hing eine ungewöhnliche Konstruktion herab. Ein Gebilde aus einem hölzernen Rahmen, mit Stoff und Lederhäuten bespannt, war an transparenten Fäden befestigt. Vorne befand sich eine hölzerne Luftschraube, die einst über ein System von Zahnrädern von der Muskelkraft der Beine des Piloten angetrieben worden war. Gläserne Behälter in dem länglichen Rumpf zeigten, wo man das Gas für den erforderlichen Auftrieb eingefüllt hatte. Die kleinen Tragflächen dienten der besseren Manövrierbarkeit des Luftgefährtes.
Ein klein wenig erinnerte die Konstruktion an die ersten Flugversuche der Menschheit, und doch war sie so fremdartig, dass sie nicht von Menschenhand erschaffen sein konnte. Es war eine Erfindung der Hanari, der ersten intelligenten, außersolaren Spezies, auf welche die Menschen getroffen waren.
Das Gerät hing nun seit über fünf Jahren von der Decke der Einkaufspassage und fand kaum noch Beachtung. Nur eine grauhaarige Passantin schien sich dafür zu interessieren und sah, in Gedanken versunken, auf den ersten Versuch der Hanari, den Luftraum zu erobern.
Ein kleines Mädchen zerrte seine Mutter mit sich und starrte, hektisch an seinem Eis leckend, auf das Gebilde. „Mama, was ist das?“
Die Mutter war auf ihre Einkäufe konzentriert und sah die obere Ebene der Passage entlang, ohne das Objekt eines Blickes zu würdigen. „Irgend so ein Kunstwerk, Schatz. Die stellen doch ständig etwas auf, um uns die Kultur näher zu bringen.“
„Verzeihen Sie, Ma´am, doch das ist kein Kunstwerk“, sagte die grauhaarige Frau freundlich, die nun näher kam. „Das ist eine Schwinge der Hanari.“
Das Mädchen leckte weiter und lächelte dabei die Ältere an. „Und was ist eine Schwinge der Hama … Hamamris?“
„Komm, Schatz, wir müssen jetzt wirklich weiter“, drängte die Mutter, nickte der anderen Frau kurz zu und zog das Kind mit sich ins Gedränge.
Die Ältere seufzte unmerklich.
Eine weitere Frau trat heran. Sie war schlank und relativ groß. Die schlichte weiße Tunika und das modische bunte Beinkleid betonten ihre weiblichen Proportionen. Der leichte Kupferton ihrer Haut verriet die indianische Abstammung. „Vor einigen Jahren wollte jeder wissen, was es mit den Hanari auf sich hat. Heute interessiert sich kaum noch jemand für sie.“
Die Ältere nickte. „Wir Menschen vergessen schnell.“ Sie musterte die kurzen Haare ihres Gegenübers. „Militär? Sky-Navy?“
„Sky-Cav“, korrigierte die Jüngere. „Joana Redfeather. Von der fünften Raumkavallerie.“ Kein Trooper würde es zulassen, dass die Sensoren seines Kampfhelmes von Haarwuchs beeinträchtigt wurden und manche ließen sich das Haupthaar auf Dauer entfernen. Joana hatte ihr blauschwarzes Haar während der Jugend hüftlang getragen, doch diese Zeit schien schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. Der Tradition ihrer Familie folgend, war sie dem Militär beigetreten.
„Redfeather? Wie unser verehrter Hoch-Admiral?“
Joana zuckte mit den Schultern. „Nun, mein Vater mag der Boss sein, aber ich bin ein echter Schlammfuß.“
Die Ältere lachte nun unbeschwert. „Sergeant Quintain“, stellte sie sich ihrerseits vor. „Ich war Major bei der siebzehnten Cav und hatte Glück, nach dem Ende der Rettungsmission und dem beginnenden Abbau der Streitkräfte als Sarge im neunten Regiment übernommen zu werden.“
Die Rettungsmission.
Wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit hatte diese eine gemeinsame Anstrengung unternommen, um die Evakuierung einer fremden Welt durchzuführen. Eine Aufgabe, welche die Menschen mit Stolz erfüllte, denn es handelte sich um eine Rettungsmission unglaublichen Ausmaßes. Inzwischen war die Heimatsonne der Hanari zur Nova geworden, aber es war gelungen, die meisten der Planetenbewohner zu evakuieren und in ihre neue Heimat umzusiedeln. Damals gab es noch keine Verständigungsmöglichkeit mit den Hanari und die Zeit war kurz gewesen. So hatte man die Fremdintelligenzen förmlich überfallen müssen, um sie mit Betäubungsgasen und Schockwaffen auszuschalten. Dennoch war es zu Kämpfen mit Verlusten auf beiden Seiten gekommen, denn die Überfallenen ahnten nichts vom Hintergrund der humanitären Aktion, welche der Rettung der „Brüder im All“ diente.
Joana Redfeather war in einen dieser Kämpfe verwickelt worden und sie lernte dabei sogar jenen Hanari persönlich kennen, der einst das seltsame Luftgefährt gesteuert hatte, welches nun als Dekoration und Erinnerung von der Decke der Passage hing.
Inzwischen waren Jahre vergangen und Joanas Alter schien dem nicht zu entsprechen. Doch die jeweils zwölf Jahre des Hinflugs zur Hanari-Welt und des Rückflugs hatten sie und die Besatzungen im Kälteschlaf verbracht.
Sergeant Quintain, im Augenblick außer Dienst und daher ebenso in Zivil wie Joana, konnte sich gut an die zahlreichen Berichte in den Medien erinnern, die Joanas Angriff auf die geheime Festung der Hanari zum Inhalt hatten. Einige stilisierten die junge Indianerin zu einer regelrechten Heldin, doch dies war ihr offensichtlich nicht zu Kopf gestiegen. Quintain empfand Sympathie für die bescheiden gebliebene Kameradin und deutete lächelnd auf die Schwinge. „Inzwischen wissen die schlauen Burschen von uns, dass es bessere Möglichkeiten gibt, den Luftraum zu erobern, und das man sogar zwischen den Sternen fliegen kann. Angeblich hängen sie unseren Leuten ständig in den Ohren, damit wir ihnen unser Wissen preisgeben.“
Zwischen Menschen und Hanari gab es eng begrenzte Kontakte. Inzwischen wussten die intelligenten Humanoiden, warum die Invasion stattgefunden hatte und sie nun auf einem anderen Planeten unter einer neuen Sonne lebten. Eine Forschungsgruppe der Menschen begleitete sie auf ihrem Weg.
„Ja, davon hat mir mein Vater erzählt“, gestand Joana Redfeather. „Aber der Leiter der Beobachtungsmission auf der neuen Hanari-Welt war klug genug, an ihren Stolz zu appellieren. Das Geschenk des Wissens sei eine Gabe, die zu Dank verpflichte, doch dieses Wissen selbst zu erlangen, sei für alle Hanari Grund zum Stolz.“
„Recht so“, brummte der Sergeant. „Wir haben lange um unser Wissen kämpfen müssen und teuer dafür bezahlt. Wir haben unsere alte Heimat, die Erde, nicht durch eine Nova verloren, sondern weil wir sie in unserer Überheblichkeit und unserer Gier selbst zugrunde richteten. Ich hoffe sehr, eine solche Erfahrung bleibt den Hanari erspart.
„Es gehört zu den Aufgaben unserer Beobachtermission, sie vor dem Schlimmsten zu bewahren.“
Sergeant Quintain drehte sich um und lehnte sich gegen das Geländer der Einfassung. „Man hat mir die Versetzung zur Hanari-Welt angeboten. Dort gibt es ja ein kleines Kontingent von uns Sky-Troopern. Es gibt eine Zulage zum Sold und im Hinblick auf die dürftige Pension altgedienter Soldaten, könnte mir das den Ruhestand ein wenig versüßen. Auch wenn mir nicht ganz klar ist, warum man dort Raumkavallerie benötigt. Die Hanari sind doch ganz friedliche Leute.“
Joana schüttelte den Kopf. „Lassen Sie sich da nicht täuschen, Sarge. Immerhin haben die, genau wie wir Menschen, auch Kriege untereinander geführt. Aber die dortigen Trooper haben weniger die Aufgabe, die Beobachter vor den Hanari zu schützen, als vielmehr die Hanari vor uns.“
„Vor uns?“
„Wir Menschen mögen den Krieg überwunden haben, aber das gilt leider nicht für Gewinnstreben und Habsucht. Die Ressourcen der neuen Hanari-Welt stellen eine Verlockung dar, und so klug diese Wesen auch sind, es fänden sich sicherlich Möglichkeiten, sie gründlich über den Tisch zu ziehen.“
„Das hätten sie nicht verdient.“ Der Sergeant grinste. „Obwohl sie uns sicherlich einiges schulden. Der Bau der riesigen Rettungsflotte, die Einberufung und Ausbildung all der Freiwilligen und der Trooper … Zudem hat es uns Blut gekostet.“