Die Superaugen ... und der Schuhdieb. Heidi Troi

Die Superaugen ... und der Schuhdieb - Heidi Troi


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ist zum ersten Mal mit etwas Schnee überzuckert und die Lärchen leuchten wie gelbe Tupfen aus dem Wald.

      „Jetzt sind sie vielleicht schon bei unserem Lager“, sagt Olli sehnsüchtig.

      „Oder beim Bach“, ergänzt Ulli. Auch sie seufzt. Egal wo die beiden sich jetzt befinden: Es wird nach feuchtem Moos duften und nach Baumharz, der Wind wird in den Wipfeln der Kiefern flüstern und die Baumstämme werden sich quietschend aneinanderreiben. Ob Jakob und Philipp ohne die Zwillinge auch so viele Schätze finden? Eigentlich war es immer Ulli, die alles Mögliche entdeckt hat. Eine Feder von einem Eichelhäher, ein Eichhörnchen, eine Baumhöhle, aus der ein Käuzchen geschaut hat … Jetzt werden die beiden wohl an all diesen Wundern vorbeilaufen. Ob sie auch in der Stadt solche kleine Wunder entdecken wird? Sicher nicht. Ulli sehnt sich nach ihrem Dorf. So sehr, dass es weh tut.

      „Du hast Heimweh?“, fragt Djamila mitfühlend.

      Statt einer Antwort seufzt Ulli.

      „Das kann ich verstehen.“

      Ulli sieht das Mädchen an und erkennt, dass ein trauriger Schleier sich über sein Gesicht gelegt hat. „Du hast auch Heimweh?“

      Djamila schneidet eine wehmütige Grimasse. „Ja, nach meiner Heimat. Marokko. Immer wenn wir nach den Ferien hierher zurückkommen, muss ich mich neu an die Kälte gewöhnen und daran, dass die Farben anders sind und die Gerüche. Und ich vermisse meine Cousinen und meine Oma“, fügt sie hinzu.

      Das kann Ulli verstehen. „Ich auch. Und den Hund von meiner Oma.“

      Ein Leuchten zieht über Djamilas Gesicht. „Deine Oma hat einen Hund?“

      „Ja, einen Wuschel“, sagt Ulli. Die kleine wuschelige Promenadenmischung, die Oma bei sich aufgenommen hat, ist das süßeste Hundchen, das es auf der ganzen Welt gibt.

      „Können wir jetzt endlich nach Hause gehen?“, fragt Olli.

      Tim fragt, wo sie wohnen, und als sie ihm das hohe graue Haus mit dem Fußballkäfig beschreiben, meint er: „Ist bei mir auf dem Weg. Ich geh ein Stückchen mit euch.“

      Auf dem Weg nach draußen begegnet ihnen die Schuldienerin Dragomira. Sie sieht die Kinder, seufzt und sieht vorwurfsvoll auf die Uhr. „Zeit zum Heimgehen“, sagt sie und seufzt noch einmal.

       Kapitel 3

      Die Hausaufgaben sind schnell gemacht, danach sitzen Ulli und Olli zwischen lauter Umzugskartons in ihrem gemeinsamen Zimmer.

      „Sollen wir auspacken?“, fragt Ulli lustlos.

      „Vielleicht“, meint Olli. Genauso lustlos. Er öffnet einen Karton, zieht seinen alten Stoffhasen heraus und wirft ihn aufs Bett. Dann sieht er aus dem Fenster. „Was Jakob und Philipp jetzt wohl tun?“

      „Was wohl“, sagt Ulli grantig. Ihre beiden besten Freunde spielen sicher im Wald. Heute ist Lager-Bau-Wetter oder Waldläufer-Wetter oder vielleicht auch Kastanien-Sammel-Wetter. Auf jeden Fall ein Wetter zum Draußensein. Sie seufzt, öffnet den Umzugskarton, der ihr am nächsten ist, und findet darin ihren Downhill-Helm und ihre Arm- und Beinschützer. Da hat sie eine Idee.

      „Hat Tim nicht was von einem Fahrrad-Parkour gesagt, der da sein soll?“

      Hat er. Daran kann sich auch Olli erinnern. „Er soll gleich neben dem Spielplatz sein. Wollen wir?“

      „Wir wollen“, sagt Ulli.

      „Und die Kartons?“

      „Packen wir nachher aus.“ Ulli ist schon an der Tür. Wenn sie irgendwo ihre Fahrtechnik verbessern kann, hält sie nichts mehr. Im Hinausstürmen setzt sie sich bereits den Helm auf, ruft Papa einen Gruß zu und ist fort.

      „Wo wollt ihr hin?“, fragt Papa. Er sitzt am Computer. Nachmittags hat er immer Homeoffice.

      „Da gibt es einen Fahrrad-Parkour“, sagt Olli. „Und Ulli …“

      Papa grinst. „… muss wieder einmal auf die Nase fallen.“

      „Genau.“ Olli grinst auch.

      „Verbandszeug und Desinfektionsmittel sind in dem kleinen Karton auf dem Küchentisch.“ Papa deutet mit dem Kinn drauf und Olli kramt in dem offenen Karton nach dem Verbandszeug. Dann folgt er seiner Schwester.

      Als er an dem Parkour ankommt, ist Ulli schon voll im Fahren. Sie tritt in die Pedale, fährt einen Erdhügel rauf und holt beim Abwärtsfahren Schwung, um den nächsten Hügel als Rampe zu benutzen. Dann fliegt sie durch die Luft und genießt das Kribbeln im Bauch, bevor sie wieder am Boden ankommt. Aus dem Augenwinkel sieht sie Olli mit dem Verbandsbeutel in der Hand, fährt mit Karacho auf ihn zu und vollführt eine Vollbremsung. Eine Staubwolke wirbelt auf, hüllt Olli ein. Hustend wedelt er vor seiner Nase herum.

      „Muss das sein?“

      „Muss nicht. Macht aber Spaß.“ Ulli grinst.

      Dann fährt sie wieder los, reißt das Vorderrad hoch und fährt ein Stückchen auf dem Hinterrad weiter, bevor sie wieder nach vorne herunterkracht und in die Pedale tritt. Den Erdhügel hoch, auf der anderen Seite hinunter, Anschwung nehmen und … wieder fliegt sie durch die Luft, überquert das kleine Tal zwischen einem Erdhügel und dem nächsten und kommt auf der anderen Seite unsanft auf. Dabei rutscht sie mit dem rechten Fuß vom Pedal und kracht mit voller Wucht auf die Lenkstange.

      „Ulli!“, hört sie die entsetzte Stimme ihres Zwillingsbruders.

      Dann dreht sich alles und sie findet sich auf dem Boden wieder. Ihre Brille ist staubbedeckt und zwischen ihren Zähnen knirscht der Sand. Sie schmeckt Blut.

      „Autsch“, sagt sie. Sie versucht sich aufzurappeln, aber ihre Beine haben sich im Fahrrad verstrickt und sie schafft es nicht. Wie ein Käfer auf dem Rücken liegt sie da. Noch einmal versucht sie es, da wird das Fahrrad hochgenommen und eine Frauenstimme sagt:

      „Alles in Ordnung, Junge?“

      „Von wegen Junge. Ich bin ein Mädchen“, krächzt Ulli, stemmt sich jetzt doch auf die Ellbogen hoch und nimmt den Helm ab.

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      „Danke.“ Sie mustert die Frau, die gerade damit beschäftigt ist, die Lenkstange von Ullis Fahrrad wieder gerade zu biegen. Sie ist alt, ihr Haar ist silbrig und ihr Gesicht von Fältchen überzogen. Vor allem in den Augenwinkeln hat sie tausende von diesen Fältchen. Sie sieht freundlich aus und lustig und … Ulli schluckt … ein bisschen wie Oma.

      „Alles in Ordnung, Ulli?“, fragt Olli, der es jetzt auch endlich zu ihr geschafft hat.

      „Na passt schon“, sagt Ulli und versucht ein Grinsen.

      „Na ja …“ Olli spricht nicht weiter.

      „Du siehst aus, als wärst du unter die Räuber geraten, Mädchen“, sagt die Frau. Dann wendet sie sich Olli zu. „Du bist der Bruder?“

      „Ja. Olli“, stellt der sich vor.

      „Das Verbandszeug brauchen wir nicht. Was wir brauchen, ist Wasser. Kommt mit mir in meinen Schrebergarten, dann versuchen wir mal, dich zu flicken.“ Als Ulli zögert, meint sie: „Ich bin Berta. Ihr könnt auch Oma Berta zu mir sagen.“

      Ulli schluckt. Sie wird ganz gewiss zu niemandem Oma sagen. Ihre Oma ist vor einem halben Jahr gestorben. Gleich nach dem Begräbnis hat Herr Maifeld, der Besitzer von Omas Haus, den Mietvertrag gekündigt. Nur Wuschel durfte bei ihm bleiben, zum Glück. Denn in dem großen grauen Haus in der Stadt sind Tiere nicht erlaubt.

      Ulli richtet sich auf. „Danke für die Hilfe. Aber wir wohnen gleich da drüben.“ Sie deutet auf den grauen Klotz.

      „Das ist mir ganz egal. Du kommst jetzt mit. Nach so einem Sturz soll man aufpassen.“ Oma Berta streckt ihr noch einmal auffordernd die Hand hin und als Ulli immer noch zögert, beugt


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