Fakten Wissen Denkblasen?. D. G. Berlin

Fakten Wissen Denkblasen? - D. G. Berlin


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solange man sich mit einzelnen Werken befasst und nicht dem Bestreben erliegt, allzu breit gefächert das gesammelte Wissen der Naturwissenschaft kennen zu lernen. Je mehr man sich aber in die allgemein zugänglichen Veröffentlichungen unserer Damen und Herren Wissenschaftler vertieft, je mehr man vergleicht und hinterfragt, je mehr man mit Berechtigung be- und an den fachspezifischen Sprachjonglagen ver-zweifelt, umso mehr wird man in die Irrungen und Wirrungen ihrer Ansichten, Auslegungen und Glaubensbekenntnisse verstrickt. In der Gesamtheit zeugt das auch mehr Verwirrung denn Aufklärung. Das kann schon nerven.

      Ich bekenne: Der Naturwissenschaft habe ich mich hauptsächlich auf dem Weg der allgemein zugänglichen Literatur genähert. Für die Wissenschaftler mag ich daher ein Amateur sein, der sich unberechtigt auf ihrem Gebiet tummelt; die Personifizierung jener „Touristen“, vor denen sich der große amerikanische Physiker Richard Feynman schon vor Jahren so sehr fürchtete. Man mag mir vorwerfen, meine Zweifel und kritischen Bewertungen, wie ich sie im Folgenden unterbreite, seien Anmaßung und würden einem Nichtwissenschaftler so nicht zustehen.

      Ja, sie sind anmaßend. Ich maße mir an, zu fragen und zu hinterfragen, denn ich habe meine Zweifel, die, je mehr ich mich in die Veröffentlichungen der Naturwissenschaftler vertiefe, nicht beseitigt, sondern regelmäßig vervielfacht werden. Das bestärkt mich in der Überzeugung, der Weg der Naturwissenschaft auf den zunächst sehr erfolgreichen, aber immer verschlungeneren Pfaden der reduktionistischen Vereinfachung aller Natur in das Dickicht der mathematischen Abstraktionen könnte an einen Punkt gelangt sein, von dem aus uns die Naturwissenschaft Natur immer weniger erklärt.

      Aber die Natur und das Universum sind nicht das Eigentum der Naturwissenschaftler. Wir alle haben Fragen nach der Natur der Natur, nach dem Wie und dem Warum. Antworten erwarten wir von den Naturwissenschaftlern, aber sie gehen uns alle an. Es ist unser Recht, nicht alles ehrfürchtig hinzunehmen, unsere Pflicht, misstrauisch zu zweifeln und kritisch zu hinterfragen. Es darf uns auch ein Vergnügen sein, etwas spaßig zu finden, was ernst zu nehmen schwer fällt.

      Die aktuell üblichen Antworten der Naturwissenschaftler darzustellen, auf fehlende Antworten oder Unklares zu verweisen, Widersprüche zu kritisieren und auch Unzufriedenheit zu äußern – das ist mein Anliegen mit diesem Text. Man kann mir vorwerfen, kritisieren könne ja jeder, aber Kritik ohne Lösungsvorschläge sei doch moralisch verwerflich, jedenfalls nicht sehr ernst zu nehmen.

      Das ist eine merkwürdige Forderung, die ich schon mehrfach in verschiedenen Zusammenhängen gelesen habe. Wer hat denn diesen Unsinn in die Welt gesetzt? Wenn die Berliner die mitunter katastrophale Unpünktlichkeit der S-Bahn und des Busverkehrs kritisieren, kann man das doch nicht mit der Bemerkung zurückweisen, die Bürger sollten doch erst einmal vormachen, wie man den reibungslosen S-Bahnbetrieb bei Signalausfall organisiert oder selbst mal einen Bus streng nach Fahrplan durch den dichten Stadtverkehr bugsieren.

      Und die Kritik am Jahrhundert-Fehl-Bau Flughafen Berlin mit der Aufforderung beantworten zu wollen, der Kritiker könne ja gern selbst einen Flughafen bauen, ginge wohl weit an der Realität des Lebens vorbei. Kritik darf jeder äußern, dem Missstände, Widersprüche, Fehlverhalten oder Unklares auffallen. Für die Lösungen gibt es fachspezifisch Zuständige.

      Es wird wohl so sein, dass naturwissenschaftlich intern, also in den Instituten, auf den Symposien und Fachkonferenzen, noch mehr in den Kantinen und Uni-Cafeterias anders geredet wird; mitunter schon Ansichten in Frage gestellt, vielleicht sogar eigene Interpretationen bezweifelt und Verwirrungen zugegeben werden. Das wollen wir doch hoffen, obwohl ich nicht recht daran glaube. In der allgemeinen Öffentlichkeit stellt sich das nämlich regelmäßig anders dar.

      Die Oberflächlichkeit der Medien und unsere Ehrfurcht vor Professoren und Doktoren, besonders wenn ihre Namen englisch klingen, werden wohl auch dazu beitragen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung ein hauptsächlich problemloses Bild von der Naturwissenschaft der Gegenwart dominiert. Daran mag auch die Unmöglichkeit ihren Anteil haben, die Summe aller Veröffentlichungen und die Vielzahl der Theorien und Modelle zur Kenntnis nehmen oder gar erfassen zu können.

      Wir „Touristen“ sind zudem zeitlich überwiegend mit ganz anderen Fragen beschäftigt und die Naturwissenschaft ist für uns tatsächlich nur eine gelegentliche touristische Attraktion.

      Wissenschaftler, die mehr oder weniger zufällig in die Nähe dieses Textes geraten, sollten nicht gleich in Aufregung über die Anmaßungen eines Außenstehenden geraten. Der Text kann ihnen durchaus gewissen Aufschluss darüber bieten, was von ihrem Schaffen bei uns „Touristen“ so ankommt und wie wir es bewerten. Das ist für sie auch nicht gerade unwichtig.

      Hauptsächlich habe ich den Text aber für alle „Mit-Touristen“ verfasst, um sie in ihren Zweifeln zu bestärken und anzuregen, nicht einfach zu glauben, wo Wissen und Verstehen notwendig sind.

      Wir leben im 21. Jahrhundert. Seit den Babyloniern, Phöniziern, Ägyptern und den naturphilosophischen Vermutungen der alten Griechen ist also schon viel Wasser durch die Flüsse geflossen.

      Große Entdeckungen wurden gemacht, Namen wie Thales und Pythagoras, Archimedes und Galilei, Kopernikus und Kepler, Descartes und Newton, Faraday und Maxwell, Planck und Einstein, Heisenberg und Bohr, Weinberg und Hawking stehen eingemeißelt in den Annalen der Physik. Chemie und Optik, Mechanik und Metallurgie, Astronomie, Kosmologie, Biologie und die anderen Wissenschaftsgebiete haben die Palette der Erkenntnisse und des Wissens um Zehnerpotenzen erweitert. Nun haben wir es – das moderne wissenschaftliche Bild von der Welt außer uns; das Weltbild, das uns die Naturwissenschaft, unter maßgeblicher Prägung durch die Physik, in prächtigen Farben und klaren Konturen, in logischen Strukturen und als beeindruckende mathematische Kompositionen gezeichnet hat.

      Eine kurze Geschichte der Zeit, Die kürzeste Geschichte der Zeit, Eine kurze Geschichte von fast allem und sogar Die kürzeste Geschichte allen Lebens (Stephen W. Hawking; St. W. Hawking/L. Mlodinow; Bill Bryson; H.Lesch/H.Zau) – Naturwissenschaftler versuchten in den letzten Jahren, sich gegenseitig mit ihren Kurzgeschichten zu übertreffen, um uns das naturwissenschaftliche Weltbild so nahe wie nur irgend möglich zu bringen. Das waren, so hörte man, recht erfolgreiche Publikationen – die Autoren dieser Bücher sind ja auch namhafte Wissenschaftsexperten.

      Wollten sie uns mit der Titelwahl suggerieren, im Gegensatz zum langen Weg der Naturerkenntnis sei es mit dem Verstehen der Natur eine ganz einfache Sache, so schnell geklärt wie schnell erzählt?

      Sind es denn so kurze Geschichten? Sind sie schon erzählt? Sind wir am Ziel unserer Suche nach Wissen und Begreifen? Ist alles Wichtige geklärt? Haben wir alles verstanden, was es zu verstehen galt? Hat die Naturwissenschaft alle unsere Fragen an die Natur beantwortet? Oder ist die moderne Erklärung der Natur tatsächlich eine Kurzgeschichte – einfach zu kurz geraten?

      Gibt es nicht noch viel Unklares und Unbewiesenes in allen Fragen nach dem Wie? Sind nicht ganz wesentliche Fragen nach dem Warum weitestgehend unbeantwortet und nicht einmal Ansätze in Sicht, wie die Naturwissenschaft sie beantworten will – wenn sie das überhaupt will?

      Zur Enttäuschung der Naturwissenschaftler müssen wir es zugeben: Unser Denken und unsere Vorstellungen von der Welt außer uns sind noch immer vor allem auf das Alltägliche gerichtet, denn wir müssen uns zunächst nicht im Universum, sondern im Leben zurecht finden, unseren individuellen Platz bestimmen, mit unseren Mitmenschen auskommen, etwas aus unserem Leben machen, oder schlicht nur ‚überleben’. Wir wollen auch viel erleben, Spaß haben, alles genießen, was Leben und Welt für uns an Genussvollem bereithalten.

      Ob wir als Individuen mehr Genuss und Spaß haben oder mehr ums Überleben kämpfen müssen, wird nicht von unserem Verständnis für die Natur der Natur bestimmt, sondern von Ort und Zeit unseres Da- oder Hierseins, von der Gnade unserer Herkunft, der Brutalität der Mächtigen, der Gier der Reichen und anderen Umständen, auf die wir häufig wenig Einfluss haben.

      Die Welt außer uns kann bedrohlich, Angst einflößend, grau und kalt, voller Gefahren, Krankheit und unbarmherziger Härte sein. Manchem scheint dagegen jeden Tag die Sonne, bietet die Welt ein farbenprächtiges Bild der Harmonie und Schönheit, der Eleganz und des Überflusses.


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